zum Hauptinhalt

Meinung: Nikotinprodukte sind keine Energydrinks

So wünschenswert der Verzicht unserer Industriegesellschaften auf Drogen wie Nikotin und Alkohol wäre, so unrealistisch ist ein Verbot.

Außerdem zeigen die Erfahrungen mit Drogenverboten, dass der Mensch immer nach Ausweichsubstanzen sucht. Auch beim Umgang mit Nikotin ist eine rückwärtsgerichtete „Drogenpolitik“ wenig sinnvoll und erfolgversprechend. Die konventionelle Zigarette ist ein Produkt aus dem vorletzten Jahrhundert mit verheerenden Nebenwirkungen. Jeder Versuch, es durch eine bessere Nikotindroge zu ersetzen, ist deshalb eine Überlegung wert. So wie in Schweden, wo man den in allen anderen EU-Ländern verbotenen Kautabak („Snus“) als Alternative anbietet.

Dennoch haben e-Zigaretten und ihre Liquide in Deutschland nichts im Genuss- oder Tabakgesetz verloren. Hier handelt es sich um einen hochwirksamen Arzneistoff, der in einem Medizinprodukt, nicht einem harmlosen Applikator dem menschlichen Körper zugeführt wird. Werden die nikotinhaltigen Lösungen dem Arzneimittelgesetz unterstellt, ergibt sich daraus fast zwangsläufig, dass die e-Zigarette als Medizinprodukt zu klassifizieren ist. So wird es übrigens bei unseren Nachbarn in Österreich vom sogenannten „Abgrenzungsbeirat“ gehandhabt. Medizinprodukte sind schwer verschreibungs- oder apothekenpflichtig zu machen. Allerdings können sie verboten werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie die Gesundheit gefährden.

Als größtes Problem könnte sich am Ende der Missbrauch der e-Zigarette zur Verbringung aller möglichen Stoffe in die menschliche Lunge herausstellen. Denn sie öffnet Schleusen im Körper, die bisher mit gutem Grund verschlossen waren.

Dass eine Industrie, die nach eigenen Angaben in Deutschland schon zwei Millionen Kunden haben soll, sich standhaft wehrt, Sicherheit und Wirksamkeit nach wissenschaftlichen Kriterien unter Beweis zu stellen, ist nicht akzeptabel. Wenn die e-Zigarettenindustrie die Wirkungen und Risiken durch Studien wissenschaftlich sauber darstellt und die Arzneimittelzulassungsbehörden eine Zulassung aussprechen, dann ist das zu akzeptieren. Derzeit unbekannte Risiken wird ihre breite Anwendung zeigen. Aber Nikotinprodukte sind keine Energygetränke, deren Vermarkter ungestört zu Multimilliardären werden können. Die Grenzen zwischen Arzneistoffen und Genuss- oder Lebensmitteln verschwimmen immer mehr. Zu viele Marketingmodelle gibt es, von den Homöopathika und Bachblüten über Nahrungsergänzungsmittel bis hin zum „Functional Food“, mit denen in erster Linie Kasse gemacht wird. Wie soll selbst der gut informierte Verbraucher in Zukunft rational entscheiden, was nützlich und wirksam ist, was verträglich oder gefährlich. Oder wann der Besuch beim Arzt, der oft in der Verschreibung eines geprüften, wirksamen Arzneimittels endet, die bessere Lösung ist.

Der Autor ist Pharmakologe und Leiter des Instituts für Pharmazeutische und Biomedizinische Forschung in Nürnberg.

Fritz Sörgel

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false