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Wider das Vakuum. Mit Pferdegespannen versuchten Guerickes Zeitgenossen, seine Magdeburger Halbkugeln zu trennen.

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Meister der Leere: Der deutsche Galilei? Warum Otto von Guericke noch immer unterschätzt wird

Durch die Magdeburger Halbkugeln wurde Otto von Guericke berühmt. Aber der Teilzeitforscher hat noch viele weitere wissenschaftliche Verdienste.

Dicht gedrängt stehen die Schaulustigen, wenn der Versuch von Otto von Guericke mit den berühmten Magdeburger Halbkugeln wie ein Theaterspektakel in der Stadt aufgeführt wird. Ein Schauspieler, in der spanischen Mode des 17. Jahrhunderts gekleidet, tritt auf den Platz und kommandiert als Otto von Guericke acht Pferdeknechte. Sie führen 16 Kaltblüter auf den Platz und spannen je acht zu einer Mannschaft zusammen. Gibt Guericke das Kommando, beginnt ein Tauziehen wie in der Schule: Mal ziehen die acht Pferde auf der einen Seite die Kugel samt den gegnerischen Pferden rückwärts, mal ist es umgekehrt. Setzen sich die gegnerischen Pferde ausreichend zur Wehr, kommen die Kraftprotze kurzzeitig zum Stehen und schleudern die 250 Kilogramm schwere Kugel etwa einen halben Meter hoch in die Luft. In diesen Sekunden reißen die Titanen mit brachialen Kräften an den Halbkugeln. Diese Momente entscheiden über Sieg oder Niederlage – jeden Augenblick erwarten die Zuschauer das Auseinanderreißen der zwei Halbkugeln. Doch meistens siegt der Luftdruck. Er drückt die luftleer gepumpten Halbkugeln stärker zusammen als die Pferde ziehen können.

Otto von Guericke war jedoch viel mehr als nur der Erfinder dieses Spektakels – sein Interesse galt dem Weltraum: „Was mag das für ein Etwas sein, das jegliches Ding umfasst und ihm die Stätte seines Seins und Bleibens darbietet? Ist es wohl irgendein feuriger Himmelsstoff, fest … oder flüssig … ? Oder ist es eine zarte Quintessenz– der Äther? Oder am Ende doch der stets geleugnete leere Raum, bar jeden Stoffes? Oder was sonst?“

Otto von Guericke forschte mit Experimenten, maß, berechnete, prüfte die Berechnungen – er begründete die experimentelle Naturforschung in Deutschland. 1842 ließ König Ludwig I. für berühmte "Persönlichkeiten teutscher Zunge" die Ruhmeshalle Walhalla errichten. Unter den ersten 160 rühmlich ausgezeichneten Teutschen befanden sich nur zwei Erfinder: Johannes Gutenberg und Otto von Guericke. Als 1925 in München das Deutsche Museum von Meisterwerken der Naturwissenschaft und Technik die Pforten öffnete, wurde im Ehrensaal ein Gemälde zu Otto von Guericke und seinen Experimenten aufgehängt. Guericke habe, so steht darunter zu lesen, als Experimentator "ein weites Gebiet physikalischer Erkenntnis erschlossen" und "wesentliche Grundlagen der Maschinentechnik geschaffen".

Guerickes Erfindung reicht bis in die Gegenwart - zum Forschungszentrum Cern

Guerickes Ruhm als deutscher Galilei gründet sich auf viele Erfindungen und Entdeckungen. An vorderster Stelle steht die Erfindung der Luftpumpe. Vor Guericke war kein Mensch auf den Gedanken gekommen, aus einem Gefäß die Luft herauszupumpen. Damit begann für Guericke das „Abenteuer Vakuum“. Bald sollte es weitere Forscher in seinen Bann ziehen: Nur sechs Jahre später eroberte die Luftpumpe die Royal Society in London, kurz darauf die Académie des Sciences in Paris – und am Ende einer langen Kette von Nachbauten und Verbesserungen von Guerickes Luftpumpe stehen heute bei Genf die Versuchsanlagen des Kernforschungszentrums Cern mit einer luftleer gepumpten Röhre, durch die Elementarteilchen flitzen.

Noch eine Erfindung Guerickes würde heute auf Weltausstellungen eine Goldmedaille erhalten: Guerickes Hebemaschine – die „ein ungeheures Gewicht“ zu heben vermag: Auf dem Erdboden lag eine Waagschale, die Guericke mit Gewichten beladen ließ. Die Ketten der Waagschale spannten sich zu einem Haken, von dem aus ein Seil über zwei Rollen zum Kolben des Kupferkessels führte. Saugte Guericke im Kessel unter dem Kolben die Luft heraus, drückte der Luftdruck den Kolben nach unten und hob die Waagschale mit den Gewichten an.

Diese Idee, den Luftdruck Arbeit verrichten zu lassen, nutzten Christiaan Huygens und Denis Papin in Paris für einen Explosionsmotor, mit dem sie die Wasserspiele von Versailles mit Wasser versorgen wollten. Kurz darauf baute Papin einen Dampfmotor für die Wasserspiele in Kassel und Thomas Savery entwickelte eine in Bergwerken brauchbare Wasserhebemaschine. Der endgültige Durchbruch gelang Thomas Newcomen mit der „atmosphärischen Feuermaschine“. Doch der „Urahn“ all dieser Maschinen stand in Guerickes Hof!

Eine Schwefelkugel als Modell der Erde

Noch eine bahnbrechende Erfindung Guerickes wird häufig unterschätzt: Der Bau einer Schwefelkugel als Modell für die Erde. Aus Messungen und Berechnungen war Guericke zu dem Schluss gekommen, dass „oberhalb der Atmosphäre, wo die Luft aufhört, der reine, von jeglichem Körper leere Raum“ beginnt. Nunmehr suchte er eine Antwort auf das Rätsel: Worin besteht die Kraft, welche die freischwebenden Planeten durch den leeren Kosmos bewegt?

Guericke hegte eine Vermutung: Die Sonne besitze "kosmische Wirkkräfte", die über den leeren Raum bis zu den Planeten wirke. Gleiche Kräfte besitzen die Planeten. Diese Idee stützte er mit Experimenten. Dazu fertigte er eine Modellerde aus Schwefel. Er wählte Schwefel, weil von geriebenem Schwefel anziehende Kräfte ausgehen und weil nach damaligen Vorstellungen der Kern der Erde aus feurigem Schwefel bestand.

Über diese Versuche berichtete er 1672 in dem Buch "Otto von Guerickes neue (sogenannte) Magdeburger Versuche über den leeren Raum". Bereits die Voranzeige des Werks für die Frankfurter Buchmesse erregte Aufmerksamkeit. So schrieb Gottfried Wilhelm Leibniz Anfang Mai 1671 aus Paris an Guericke:

„Dringlich wünsche ich etwas von Ihnen veröffentlicht zu sehen. Ihre Versuche und Erfindungen wünschen wir alle angelegentlich, auch die Franzosen und Engländer, darunter Hr. Oldenburg, Sekretär der Englischen Sozietät, und Hr. Carvay, Direktor der Französischen Akademie, usw“

Guerickes Erfindung führte zur Elektrisiermaschine

Daraufhin sandte Guericke an Leibniz in Hannover und an Carvay in Paris je eine Schwefelkugel. In London fertigte Robert Hooke selbst eine Kugel an, mit der er der Royal Society Guerickes Versuche vorführte. Diese regten die Forscher in London zu Experimenten an, die in die Entwicklung der Elektrisiermaschinen mündeten. 1881 zeigte das Deutsche Reich auf der „Weltausstellung zur Elektrizität“ in Paris eine Schwefelkugel von Guericke und würdigte damit dessen Anteil an der Entwicklung der Elektrotechnik.

Noch viele Leistungen Guerickes müssten hervorgehoben werden: Mit Guerickes Namen verbunden ist die Geburtsstunde der auf Messungen beruhenden Wettervorhersage in Deutschland. Guericke hatte erkannt, dass sich der Luftdruck und mit diesem das Wetter verändert. An einem von ihm gebauten und geeichten „Wettermännchen“ hatte er „eine absonderliche und außerordentliche Veränderung der Luft wahrgenommen“. Gegenüber Gästen schloss er: „Zweifellos ist irgendwo ein schweres Unwetter ausgebrochen. Kaum waren zwei Stunden verflossen, da fegte dieser Sturmwind auch über unsere Gegend daher.“ Guericke erprobte auch das Konservieren im Vakuum und stellte fest, „dass sich Weintrauben bei kühler Lagerung ein halbes Jahr lang halten. Sie verlieren aber jeden Geschmack.“

Otto von Guericke erreichte seine Erfolge auf einer „Teilzeitstelle“. Zuerst war Guericke Bürgermeister der Stadt Magdeburg. Auf diplomatischem Parkett war er ihr Außenminister. Privat verwaltete er ansehnliche Besitzungen im Umfeld der Stadt. Blieb dann noch Zeit, konnte er forschen.

Der Autor ist Physiker und war außerplanmäßiger Professor an der Universität Potsdam.

Klaus Liebers

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