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Bildung: Mit Respekt gegen Feindbilder

Wie Pädagogen antisemitischen Äußerungen junger Migranten begegnen können.

Blitzschnell meldet sich Bilgun* zu Wort. Es geht um die Frage, warum Zwi Wasserstein in der Dusche von einem Schulfreund gefragt wurde, ob er Jude sei. „Na, weil er beschnitten ist“, sagt Bilgun. Die Antwort ist richtig. Gewusst haben sie nur Schüler aus muslimischen Familien. Eineinhalb Stunden lang geht es an diesem Morgen in der 11. Klasse eines Berliner Gymnasiums um die Frage, wie es eigentlich war, nach 1945 als Jude in Deutschland aufzuwachsen.

Alexander Green, Workshop-Leiter vom Jüdischen Museum in Berlin, ist sichtlich bemüht, auch das Interesse der Schüler mit Migrationshintergrund zu wecken. Die Geschichte von Zwi Wasserstein eignet sich dafür. Denn Zwi hatte – in den 60er Jahren in Frankfurt am Main – eine türkische Schulfreundin: Seher Genç. In ihrer Familie habe er sich wohler gefühlt als bei deutschen Freunden, berichtet Zwi: „Sie war nicht befangen, ihre Eltern waren nicht befangen. Und ich musste mich nicht fragen, ob Herr Genç zufällig meine Großmutter ermordet hatte.“ Die 17-jährige Sanem* wirkte bisher abwesend. Doch als es um die Freundschaft zwischen Zwi und Seher geht, hört sie aufmerksam zu.

Der Workshop ist Teil der Bildungsarbeit des Jüdischen Museums an Schulen, er soll auch helfen, die Jugendlichen immun zu machen gegen Antisemitismus. Dass es Judenfeindlichkeit nicht nur unter jungen Menschen mit deutschen Eltern, sondern auch unter Migranten gibt, wird seit etwa fünf Jahren verstärkt diskutiert. Forschungsergebnisse, die über das Ausmaß des Phänomens Aufschluss geben könnten, gibt es aber kaum. Vielmehr scheint sich die Sozialwissenschaft mit einer einzigen Zahl aus einer Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums von 2007 zu begnügen. In einer Befragung von 500 Schülern mit muslimischen Wurzeln stimmten 15,7 Prozent der Aussage zu, Menschen jüdischen Glaubens seien „überheblich und geldgierig“, bei den übrigen Migranten waren es 7,4 Prozent, bei Herkunftsdeutschen 5,4 Prozent. Diese Werte seien zwar ein Hinweis, aber nicht verallgemeinerungsfähig, sagt der Erfurter Islamwissenschaftler Michael Kiefer.

Zwar sei bekannt, dass arabische Fernsehsendungen, in denen antisemitische Inhalte vorkommen, in Deutschland konsumiert werden. „Inwieweit das aber hier Einstellungen verändert, darüber wissen wir gar nichts“, sagt Kiefer.

Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus (Kiga) arbeitet seit Jahren mit Schulklassen aus Berlin. Die Mitarbeiter warnen vor Verharmlosung, aber auch vor Alarmismus. „Ein antisemitisches Weltbild kommt bei den Schülern äußerst selten vor. Bei manchen sind allerdings Fragmente von Antisemitismus vorhanden“, sagt Mirko Niehoff von Kiga. Die Initiative arbeitet zwar mit „gemischten“ Schulklassen, hat aber Konzepte zum Umgang mit Judenfeindlichkeit insbesondere unter jungen Muslimen erarbeitet.

Wer sich jedoch mit Judenfeindlichkeit speziell unter Migranten beschäftigt, liefert Ausländer- und Islamfeinden scheinbar eine Steilvorlage. „Deshalb betonen wir immer wieder: Es ist nicht so, dass die Muslime ein Antisemitismusproblem hätten. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem“, sagt Niehoff. Die Initiative wolle auf keinen Fall ein Feindbild judenfeindlicher Muslime schaffen, die den Antisemitismus nach Europa bringen, sagt Aycan Demirel von Kiga. Die Arbeit der Initiative sei deshalb immer begleitet von antirassistischer Arbeit. Es dürfe keine „Entlastungsstrategie“ der Mehrheitsgesellschaft geben, die selbst keineswegs frei von Antisemitismus und schon gar nicht Rassismus sei, sagt Niehoff.

Tatsache ist aber: Während der pädagogische Umgang mit Antisemitismus unter eingeborenen Deutschen jahrzehntelang erprobt ist, sind die Ansätze für die Bekämpfung von Antisemitismus unter Migranten noch Projekte oder Modellversuche. Viele Lehrer fühlen sich mit dem Problem überfordert. Einfach übertragen lassen sich pädagogische Konzepte schließlich nicht. So spielt nach Meinung von Experten bei antisemitischen Tendenzen unter Jugendlichen vor allem arabischer Herkunft der Nahostkonflikt eine wichtige Rolle. „Dabei gibt es ein weites Feld, das von der Kritik israelischer Politik bis zu dem reicht, was man als ideologischen Antisemitismus bezeichnen kann“, sagt der Islamwissenschaftler Jochen Müller, der „ufuq.de“ betreibt, ein Internetportal über muslimische Jugendkulturen. Für die pädagogische Praxis warnt er davor, provokative Äußerungen „gleich mit dem Etikett des Antisemitismus zu belegen“.

Da die Jugendlichen in der Regel keine umfassende antisemitische Weltanschauung hätten, könnten Lehrer durchaus pädagogisch intervenieren. Hilfreich sei vor allem, im Unterricht verschiedene Perspektiven zu behandeln. Bezogen auf den Nahostkonflikt könne neben dem Schicksal der Palästinenser auch die Flucht von Juden aus arabischen Ländern nach der Staatsgründung Israels thematisiert werden, sagt Islamwissenschaftler Müller. Auch die Komplexität der israelischen Gesellschaft sei vielen Jugendlichen nicht bewusst. Gleichzeitig könne man eigenen Erfahrungen der Jugendlichen oder deren Familien, etwa während des Libanonkrieges 2006, Platz einräumen. „Damit signalisiert man Anerkennung, Empathie und Respekt, den viele Jugendliche in ihrem Umfeld vermissen.“

Anerkennung sei in der pädagogischen Arbeit wesentlich. „Die Nichtanerkennung und mangelnder Respekt gegenüber den Jugendlichen fördert bei vielen von ihnen Feindbilder wie den Antisemitismus“, sagt Müller. „Judenfeindlichkeit unter muslimischstämmigen Jugendlichen hängt zwar stark mit dem Nahostkonflikt zusammen, möglicherweise aber auch mit dem Rassismus ihnen gegenüber hier in Deutschland“, betont auch Birgit Rommelspacher, Psychologin an der Alice-Salomon-Hochschule. Dafür müssten Lehrer sensibilisiert werden.

„Bei uns können sich die Schüler sicher sein, dass wir sie nicht wegen ihrer kulturellen Herkunft oder ihrer Religion ablehnen“, sagt Demirel von Kiga. Die Kritik an Israel, die antisemitische Fragmente enthalten könne, erfülle für viele Jugendliche auch eine „gemeinschaftsbildende Funktion“, die umso attraktiver werde, wenn sie sich nicht anerkannt fühlten, sagt Islamwissenschaftler Müller. So seien die Demonstrationen gegen den Gazakrieg Anfang des Jahres auch „Manifestationen einer arabisch-muslimischen Gemeinschaft“ gewesen. „Es gibt aber auch eine echte emotionale Empörung der Jugendlichen über die Kriegshandlungen, die man auf jeden Fall ernst nehmen muss.“ Pädagogen müssten daher eine Balance halten: „Einerseits sind Respekt und Anerkennung wichtig, andererseits eine Konfrontation von antisemitischen Positionen.“

* Namen von der Redaktion geändert

Karin Schädler

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