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Nach Pisa: Schulen im toten Winkel

Keine nationale Schulstudie Pisa mehr: Die Politiker wollen stattdessen nur noch „Hofberichterstattung“, sagen Kritiker.

Gleich drei neue große Schulstudien sind in den vergangenen Wochen erschienen: die nationalen Auswertungen Pisa E und Iglu E sowie der internationale Vergleich Timss. Der Eindruck entsteht, noch nie seien die Kultusminister so entschlossen gewesen, die ganze Wahrheit über das deutsche Schulwesen ans Licht zu bringen. Tatsächlich aber mehrt sich die Kritik an den Politikern. Sie wollten in Zukunft lieber wieder den Kopf in den Sand stecken, weil sie die öffentliche Aufregung über die Ergebnisse der Schulstudien nicht mehr aushielten, heißt es. Denn nationale Zusatzstudien zu Pisa und Iglu, mit denen sich die Bundesländer nun schon mehrfach an internationalen Maßstäben messen konnten, soll es in Zukunft nicht mehr geben.

Die Politiker wollten statt Pisa und Iglu nur noch „Hofberichterstattung“, sagt ein Wissenschaftler, der lieber anonym bleiben will. Der Pisa-Forscher Manfred Prenzel spricht vorsichtiger von „Tendenzen“ bei den Politikern, „sich von internationalen Verbindlichkeiten zu befreien“ (Tagesspiegel vom 18. November). Ein großer Vorteil von Pisa seien aber die internationalen Spielregeln und Kriterien, „die einem viele Diskussionen auf der nationalen Ebene ersparen“.

Renate Valtin, selbst Mitglied im Konsortium von Iglu nennt das Aus für die nationalen Iglu- und Pisastudien „höchst bedauerlich“. Mit Iglu und Pisa liege ein „theoretisch fundiertes, international validiertes Instrumentarium vor“. Es erlaube den Ländern, die Leistung ihrer Schülerinnen und Schüler auch im internationalen Vergleich zu verankern.

Außerdem würden die Schulstudien wichtige Zusatzinformationen geben. So hätten sie die große Abhängigkeit des Schulerfolgs von der sozialen Herkunft offen gelegt. In Befragungen von Eltern, Lehrern und Schulleitern seien die Rahmenbedingungen von Schulerfolgen beleuchtet worden. „Durch einen Verzicht auf Iglu E und Pisa E kann man sich unangenehmen Wahrheiten verschließen“, meint Valtin.

Solche Kritik wollen die Kultusminister nicht auf sich sitzen lassen. Denn die nationalen Iglu- und Pisastudien würden schließlich durch ein anderes Instrument ersetzt: durch die bundesweiten Ländervergleiche der nationalen Bildungsstandards. Im Jahr 2011 werden erstmals die nationalen Standards für die Grundschule in Mathematik und Deutsch im Kontext der internationalen Iglu-Studie überprüft werden. Schon im kommenden Jahr sollen alle Schüler der 9. Klasse mit einer großen Stichprobe auf die Standards für den mittleren Schulabschluss in Deutsch und Englisch getestet werden. Mathematik und die drei Naturwissenschaften sollen 2012 folgen.

Olaf Köller wird den Ländervergleich als Direktor des Institutes zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) leiten. Er widerspricht den Kritikern. Die neuen Tests seien „ein Meilenstein in der Qualitätssicherung“, sagt Köller. „Die Länder drücken sich nicht vor unangenehmen Wahrheiten.“ Vielmehr seien sie „ganz offen“, sich an ihren eigenen nationalen Zielsetzungen messen zu lassen – aus Sicht mancher Politiker ist das noch viel heikler als sich internationalen Maßstäben zu stellen.

Köller verweist auch darauf, dass es im neuen Ländervergleich Prüfungen in Bereichen geben wird, die bei Pisa im toten Winkel blieben: die Fremdsprache Englisch mit ihren Dimensionen Hörverstehen, Schreiben und Sprachreflexion, die auch im Fach Deutsch getestet werden. Wie bei Pisa werde es außerdem möglich sein, soziale Benachteiligungen der Schülerinnen und Schüler aus zugewanderten Familien abzubilden.

Die Sorge, Deutschland ducke sich mit seinen Standards und den an ihnen orientierten Tests unter der internationalen Messlatte hindurch, weist Köller zurück: „Wir gehen aktuell davon aus, dass wir auch weiterhin die Länder im Lesen und in der Mathematik auf dem internationalen Maßstab abbilden können.“

Allerdings hegt auch Köller den Verdacht, den Politikern könnten die Wahrheiten der Ländervergleiche zu unbequem werden: Es „dominiert die Sorge, bei schlechten Ergebnissen durch die Republik gejagt zu werden“, sagte er unlängst der „Stuttgarter Zeitung“. Darum mache er sich Sorgen um die Zukunft seines von den Ländern getragenen Instituts: „Wer unterhält schon gerne mit relativ viel Geld eine Institution, die regelmäßig schlechte Nachrichten verspricht?“ Auf Nachfrage erklärte Köller dem Tagesspiegel: „Man gewinnt manchmal in Gesprächen den Eindruck, dass nicht alle Länder gleichermaßen hinter dem System der Standards stehen, obwohl solch ein System sich international bewährt hat.“

Die Länder haben inzwischen offenbar Angst vor der eigenen Courage. Denn die von ihnen vor Jahren beschlossenen Standards für die Schulabschlüsse können ein peinliches Problem bergen: So könnte sich im neuen Ländervergleich herausstellen, dass zum Beispiel weit weniger Schüler in den Stadtstaaten die nationalen Standards für den mittleren Schulabschluss erreichen als dann tatsächlich das Zeugnis über den mittleren Schulabschluss bekommen. Das könnte dann ein Land wie Bayern veranlassen, den Wert eines solchen Abschlusses als Zugangsberechtigung für weitere Bildungsgänge anzuzweifeln. Auf den Ländern lastet also wegen der nationalen Standards ein hoher Druck.

Wer befürchtet hatte, die Politiker versuchtem diesem Druck auszuweichen, konnte sich in der jüngsten Debatte um die Standards für den Hauptschulabschluss bestätigt sehen. Nach einem Testlauf, bei dem weite Teile der Schülerschaft an Hauptschulen durchgefallen waren, diskutierte die KMK darüber, die Tests für Hauptschüler vorerst auszusetzen, bis die Standards gesenkt sind. Mit einer solchen Absenkung des Niveaus hätte man sich aber gefährlich an die Grundschulstandards angenähert, wie IQB-Chef Köller warnte. Ein öffentlicher Aufschrei verhinderte das Ansinnen.

Bei ihrer Sitzung Anfang Dezember rang sich die KMK dazu durch, mit den Vergleichstests für den mittleren Schulabschluss den gesamten 9. Jahrgang zu überprüfen. Das heißt, auch Hauptschüler sollen mit einigen eigens für sie entworfenen Aufgaben getestet werden. Die GEW sah darin gleichwohl den Versuch, „Nebelkerzen“ zu werfen. Denn die Ergebnisse der Hauptschulen werden nicht wie bei den letzten beiden Pisa-Studien getrennt für jedes Land ausgewiesen. Zu erkennen sein wird lediglich die Größe der besonders schwachen Schüler („Risikogruppe“) jedes Landes insgesamt.

Möglich wird der von der GEW gewünschte Hauptschulvergleich zwischen den Ländern erst, wenn die KMK die Standards und deren Kompetenzstufen für den Hauptschulabschluss beschlossen hat. Handelt die KMK bald, wäre der Vergleich dann mit der nächsten Pisa-Runde im Jahr 2012 möglich.

Vielleicht wollen die Kultusminister aber auch gar keinen Ländervergleich der Hauptschulen mehr. Wolfgang Meyer-Heesemann, Staatssekretär im Bildungsministerium Schleswig-Holsteins, wirft der GEW „Skandalisierung“ vor und fragt: „Wer will denn einer Schulform ständig nachweisen, dass sie versagt?“

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