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Nachruf: Nestor der Forschung zum Holocaust

Der Historiker Wolfgang Scheffler ist tot - ein kurzer Überblick über sein Leben.

Leipzig, kurz vor Kriegsende. Der junge Wolfgang Scheffler sieht KZ-Häftlinge vorbeiziehen. Diese Begegnung sollte ihn prägen. 1929 in Leipzig geboren, wuchs Scheffler in einer evangelischen Familie auf. Durch die Berührung der Eltern mit der Bekennenden Kirche blieb ihm die Hitlerjugend erspart. Nach 1945 störte den Geschichtsstudenten die doktrinäre Ausbildung an der Uni Leipzig, und er wechselte an die Freie Universität Berlin.

1960 legte er nach gründlichen Studien an den historischen Quellen seine Schrift „Judenverfolgung im Dritten Reich“ vor. Mehrfach erweitert, wurde die Arbeit für die politische Bildung in hunderttausenden Exemplaren gedruckt. Sie begründete Schefflers Ruf als Nestor der deutschen Holocaustforschung. Das Auswärtige Amt delegierte Scheffler 1961 als Beobachter zum Eichmann-Prozess nach Jerusalem. Später wurde er Gutachter bei Strafverfahren vor deutschen Gerichten zu nationalsozialistischen Gewalttaten, darunter beim Treblinka-Verfahren und beim Prozess gegen den Reichsbahn-Staatssekretär Albert Ganzenmüller. Stets widersprach er der Behauptung der Täter, sie hätten unter lebensbedroh lichem Befehlsnotstand gehandelt.

Themen seiner Forschung waren Ghettos, Zwangsarbeitslager und Vernichtungsstätten in Europa. Minutiös berechnete Scheffler 1963 die Zahl der in den Vernichtungsstätten Belzec, Sobibor und Treblinka Ermordeten. Als 40 Jahre später ein Funkspruch von 1943 auftauchte, der diese Zahlen belegte, war das eine Genug tuung für seine akribische Arbeitsweise.

Seit Anfang der 70er Jahre Lehrbeauftragter am Otto-Suhr-Institut der FU, wurde Scheffler von Herbert A. Strauss entdeckt und 1986 auf eine Professur am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin berufen. Fortan war er auch für die Stiftung Topographie des Terrors und die Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz tätig. Am 18. November ist Wolfgang Scheffler in Berlin im Alter von 79 Jahren gestorben.

Der Autor ist Leiter der Eisenbahn-Abteilung im Berliner Technikmuseum und forscht zu Deportationen der Juden mit der Deutschen Reichsbahn.

Alfred Gottwaldt

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