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Naturschutz: Kirschen für die Bären

Obstgärten und betonierte Bienenstöcke bringen den Naturschutz im Norden Spaniens voran - und helfen den letzten Bären der iberischen Halbinsel.

In schnurgeraden Reihen stehen die zwei Meter hohen, blassgrünen Plastikröhren an einem steilen Berghang in der Region Asturien im Norden Spaniens. In den Röhren wachsen Kirschen, Ebereschen und Maulbeeren zu einem Obstgarten heran. „Mit den Früchten können sich dann die Bären den Bauch vollschlagen“, erklärt Roberto Hartasánchez. Der Präsident der spanischen Naturschutzorganisation Fapas setzt statt auf urwüchsige Natur auf Landwirtschaft, um den letzten Bären der iberischen Halbinsel zu helfen – mit Erfolg. Die Zahl der Bären im Westteil des Kantabrischen Gebirges hat sich seit dem Jahr 2000 auf 150 Tiere fast verdoppelt.

Abgesehen von etwa zwanzig Braunbären im Osten des Kantabrischen Gebirges und sehr wenigen Pyrenäen-Bären sind diese 150 Tiere die letzten Vertreter der Art Ursus arctos auf der Iberischen Halbinsel. Seit vielen Jahrhunderten haben Äcker, Obstgärten und Weiden die Urwälder verdrängt, in denen die Bären einst lebten. Die Tiere haben sich längst an diese Situation angepasst, im Frühsommer plündern sie die ersten Kirschen. „In der verlassenen Finca El Coronel hatte sich im Frühsommer 2009 ein Bär häuslich bei den Obstbäumen eingerichtet“, erinnert sich Gabriel Schwaderer von der Naturschutzorganisation Euronatur in Radolfzell, die Fapas seit Jahrzehnten unterstützt. Der Bär kletterte dann geschickt auf die Bäume und erntete je nach Jahreszeit Kirschen oder Äpfel. Begeistert waren die Bauern von solchen Plünderungen natürlich nicht. Vor allem wenn größere Äste unter dem Gewicht des Bären abbrachen oder die Tiere sich auf die Hinterbeine stellten, die Äste mit den Früchten Richtung Maul zogen und das Splittern von Holz erheblichen Flurschaden signalisierte. Der eine oder andere Bär bezahlte solche Aktionen mit seinem Leben, weil so mancher Bauer auch ein Gewehr im Schrank stehen hat. Im Großen und Ganzen aber reichte das Obst für beide.

Trotzdem gaben viele Experten dem Überleben der Art in Spanien kaum noch Chancen, als sich Fapas 1985 den Schutz der Braunbären in Asturien auf die Fahnen schrieb. Zwar waren die Tiere 1972 unter Schutz gestellt worden, Wilderer dezimierten den Bestand aber weiter. Mit einem Bündel von Maßnahmen und in enger Zusammenarbeit mit offiziellen Stellen konnten die Naturschützer das Blatt wenden. So ersetzt die Regierung der Region Asturien den Bauern den Schaden, wenn ein Bär Vieh gerissen hat. Meist haben die Bauern innerhalb einer Woche das Geld. Warum aber sollte ein Bauer zum Gewehr greifen, wenn ihm finanziell kein Nachteil mehr entsteht? Da ließen die Besitzer der oft kleinen Fincas in Asturien schon lieber eine verendete Kuh liegen. Bären sind keine geschickten Jäger und halten sich bei ihren eher seltenen Fleischmahlzeiten lieber an Aas. Über kurz oder lang tauchte daher ein Bär beim toten Rind auf – und der Besitzer meldete die tote Kuh als Bärenschaden. Der Schwindel lässt sich aber leicht aufdecken, denn wenn Bären sich in ganz seltenen Fällen doch einmal an eine lebende Kuh oder ein Pferd wagen, greifen sie das fliehende Opfer meist von hinten an, versuchen auf den Rücken zu springen und das Tier zu Boden zu werfen. Bei solchen Kämpfen fließt einiges Blut. Die Spuren sind also leicht zu identifizieren.

Auch gegen Wilderer gingen die Naturschützer vor. Fapas-Mitarbeiter, die sich in der Region sehr gut auskennen, gingen mit der spanischen Umweltpolizei auf Streife. Und weil ein erwischter Wilderer zu immerhin 10 000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde und die Justiz gleichzeitig die Waffe und den Jagdschein einzog, konnte auch die Wilderei langsam ausgetrocknet werden.

Entscheidend verbesserte sich die Situation für die Bären dadurch aber immer noch nicht. 1994 zogen in Asturien gerade noch drei Bärinnen Nachwuchs auf. Das Überleben der Art stand nach wie vor auf Messers Schneide. Als Grund machte Fapas die Landflucht aus. Die meisten Bauern waren aus dem Gebirge längst in die Städte gezogen und auf den Obstwiesen brach ein Baum nach dem anderen altersschwach zusammen.

Die Bärinnen aber werfen mitten im Winter in ihrer Höhle die kaum meerschweinchengroßen Jungen und tappen im Frühjahr dann auf der Suche nach Fressbarem durch ein kleines Revier, das allenfalls die Größe von ein paar hundert Fußballfeldern hat. Fehlen dort die Kirschbäume, hungern die Tiere und viele kleine Bären sterben. Früchte stehen nun einmal auf dem Bären-Speiseplan ganz oben.

Roberto Hartasánchez löste dieses Problem in den Bars der Region, in denen sich die Dorfbewohner recht regelmäßig treffen. Dort kann der Fapas-Präsident den Eigentümern längst verlassener Fincas daher ganz unverbindlich ein Geschäft vorschlagen, das für alle Beteiligten Vorteile bringt: Fapas pflanzt Obstbäume, Eichen und Esskastanien an den steilen Hängen, die der meist schon ältere Eigentümer nach Belieben nutzen kann. Bis die längst in der Stadt wohnenden ehemaligen Bergbauern zur Ernte wieder in ihre Heimat kommen, haben die Bären sich meist schon bedient. Wie in alten Zeiten ist ja genug für alle da. Und selbst die Erben profitieren, wenn sie Jahrzehnte später die Bäume wieder fällen und das wertvolle Holz teuer verkaufen.

Es fehlt aber noch ein dritter Puzzlestein zur Rettung der Bären: Irgendjemand muss die Obstbäume schließlich auch bestäuben, damit Menschen und Bären später leckere Früchte ernten können. Standen im 18. Jahrhundert im Kantabrischen Gebirge noch über 65 000 Bienenstöcke, deren Bewohner Blüten bestäubten und Honig lieferten, sind es heute gerade noch 25 000 Stöcke. Und die stehen meist in Tallagen und bringen so den Obstbäumen an den Gebirgshängen wenig.

Unterstützt von Euronatur hat Fapas deswegen inzwischen mehr als 45 Bestäubungsstationen mit insgesamt 450 Bienenstöcken aufgebaut, um die wachsenden Obstbäume auch zu befruchten. Weil Bären aber auch Schleckermäuler mit einer bekannten Vorliebe für Honig sind und deshalb so mancher Bienenstock von kräftigen Tatzen demoliert wurde, bauen die Naturschützer inzwischen zweistöckig: In der ersten Etage können die Bären eine Klappe anheben, um an den leckeren Honig zu kommen, ohne den Stock zu zerstören. Das Erdgeschoss dagegen betonieren die Fapas-Leute bärensicher ein, dort bleibt der Honig den Bienen.

Mit ihren für Naturschützer recht unorthodoxen Methoden haben Roberto Hartasánchez und seine Kollegen Erfolg. Als sie im Valle Trubia 2004 mit der Arbeit begannen, lebte dort kein einziger Braunbär mehr. Im Sommer 2010 dagegen tappen 26 Tiere durch das Gebiet, das die Bürgermeister inzwischen „Valle de los osos“ nennen, das Bärental.

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