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Wissen: Neu erschaffen am Computer

An der Technischen Universität Berlin werden räumliche Objekte gescannt und danach „ausgedruckt“

Das Gewand wirft Falten vor dem Oberkörper, der linke Armstumpf ragt nach oben, der rechte hängt herab, die linke Brust ist entblößt. Es fällt schwer, die Gestalt präzise zu beschreiben. Doch genau das ist nötig, damit sich ein Altertumsforscher in London oder New York ein Bild von der pergamenischen Nike aus dem 2. Jahrhundert v. Chr. machen kann, die in Berlin steht. Fotos helfen nur bedingt weiter, also muss der Wissenschaftler nach Deutschland reisen. Dank moderner Technik kann das künftig vermieden werden. Wie sie funktioniert, lässt sich im 3-D-Labor des Instituts für Mathematik an der Technischen Universität (TU) Berlin verfolgen. Dort werden Verfahren entwickelt, um Objekte präzise und speicherplatzschonend zu erfassen, sie später in Projektionskammern sichtbar zu machen oder sogar auf speziellen Druckern plastisch wiedererstehen zu lassen.

Durch das dreidimensionale Scannen von kunsthistorischen Objekten in allen drei Raumrichtungen lassen sich nicht nur Reisekosten verringern. „Bei manchen Gegenständen kommt es vor, dass ein Teil in Paris lagert, eines vielleicht in Rom, das dritte in Madrid“, erläutert Joachim Weinhold, Künstler und Mitarbeiter des 3-D-Labors. „Dank der neuen Technik können wir sie endlich zusammensetzen, wo immer wir wollen.“

In einigen Fällen bewahrt das Digitalisieren sogar vor dem Vergessen. So bei der Nike. Das Original ging im Zweiten Weltkrieg verloren. In der Gipsformerei der Staatlichen Museen zu Berlin ist jedoch ein Gipsmodell erhalten geblieben. Dank des Scannens kann wenigstens dieser Zustand für die Nachwelt gesichert werden – wie auch der zahlreicher anderer Skulpturen, die weltweit zu Archivierungszwecken abgetastet werden.

Um geschwungene Formen in digitale Codes zu übersetzen, müssen die markanten Punkte der Oberfläche erfasst werden. Dazu legen die Forscher zunächst ein Muster von Linien über den Gegenstand, Streifenlicht genannt. Es erinnert an die Licht- und Schattenspiele einer Jalousie auf dem Fußboden. Jede Hell-Dunkel-Grenze ist eine Messlinie, die von der Bildanalysesoftware in einzelne Messpunkte unterteilt wird. Um deren räumliche Koordinaten zu bestimmen, machen zwei Kameras zugleich eine Aufnahme. Je nachdem, aus welchem Blickwinkel die zwei Objektive schauen, erscheint das Streifenmuster unterschiedlich verzerrt. Der Computer errechnet die Raumkoordinaten aller Messpunkte und speichert sie. Dann wird das Objekt weiter bewegt und zwei neue Aufnahmen gemacht. Damit die Software die neue Fläche an die vorherige anschließen kann, haben die Wissenschaftler schwarze Markierungen auf der Oberfläche angebracht, die leicht zu erkennen sind.

Stück für Stück wird das Objekt vor dem Scanner gedreht. „Im einfachsten Fall genügen Aufnahmen aus sechs Perspektiven, analog der Flächen eines Würfels, um eine Figur dreidimensional zu vermessen“, sagt der Laborleiter Hartmut Schwandt. Je komplizierter das Objekt, zum Beispiel wegen der Falten eines Gewandes oder der feingliedrigen Anatomie bei einem Reiterstandbild, desto mehr Aufnahmen sind nötig. „Da kommen hunderte Aufnahmen zusammen.“

Dementsprechend viele Messpunkte landen im Speicher. Bei der rund 30 Zentimeter hohen Nike sind es Millionen. „Die gewaltigen Datenmengen sind ein generelles Problem bei 3-D-Technik“, sagt Schwandt. Einerseits bei der Datenverarbeitung im Computer, der dann rasch an seine Grenzen stößt; aber auch wenn es darum geht, ein digitalisiertes Kunstobjekt per Internet an einen Wissenschaftler zu schicken.

Deshalb entwickeln die TU-Wissenschaftler Verfahren, um die Daten sinnvoll zu reduzieren. „Einfach aus mehreren Informationen einen Mittelwert zu bilden, führt nicht immer zum Ziel“, sagt Schwandt. „Filigrane Details sollen erhalten bleiben, während ,langweilige’ Flächen mit deutlich weniger Daten auskommen.“ Am Ende sollten die Raumkoordinaten jener Punkte übrig bleiben, mit denen sich die Oberfläche des Objekts einigermaßen genau wiedergeben lässt. Dazu werden die jeweils benachbarten Punkte miteinander verbunden, so dass viele kleine Dreiecke entstehen. „Kachelung“ nennen Mathematiker das.

Die aus Dreiecken aufgebauten Objekte können dann auf dem Computermonitor angezeigt und in alle Richtungen rotiert, verkleinert oder vergrößert werden, um sie genau zu studieren. Das funktioniert noch besser, wenn die digitalisierten Gegenstände mithilfe von 3-D-Projektionstechniken förmlich in den Raum gezaubert werden.

Die Darstellung beschränkt sich keineswegs auf Objekte, die zuvor auf dem Scannertisch standen. Messdaten einer Mondsonde können Planetenforschern einen virtuellen Flug durch die grauen Krater ermöglichen. Auch Einblicke in die Mikrowelt sind möglich. So arbeiten die Berliner Forscher gerade an einem Datensatz, den ein Team um den TU-Physiker Stefan Eisebitt erstellt hat. Mit einer neuen Röntgentechnik haben die Wissenschaftler das Skelett einer Kieselalge vermessen. Das Team um Schwandt stellt gerade ein Abbild her, 20 000-fach vergrößert. In ihrem Labor gibt es gleich zwei solcher 3-D-Drucker. Der eine fügt Kunststofffäden zusammen und könne am einfachsten als „Heißklebepistole“ verstanden werden, wie die Forscher sagen. Der andere baut die Objekte aus Pulver zusammen, das vor allem aus Gips besteht.

Das Modell der Kieselalge entsteht schichtweise. Auf einer Fläche von 25 mal 35 Zentimetern verteilt die Maschine zunächst gleichmäßig das weiße Pulver. „Wie bei einem Tintenstrahldrucker fahren die Druckköpfe darüber hinweg und spritzen ein Bindemittel an die Stellen, die später Teil der Kieselalge sein sollen“, erläutert Ben Jastram, der Bildhauer und Architekt ist – das Team ist ähnlich interdisziplinär zusammengesetzt wie seine Projekte. Anschließend fährt der Arbeitstisch des Druckers um 0,1 Millimeter nach unten. Eine neue Lage Pulver wird aufgebracht, die nächste Schicht gedruckt. Am Ende, nachdem hunderte Ebenen bedruckt wurden, bleibt ein Haufen Staub, in dessen Inneren die fertige Kieselalge liegen muss.

Mit einem flachen Pinsel nähert sich Jastram dem Ausdruck. „Dieser Moment ist spannend: Wie sieht das Objekt aus, wie fühlt es sich an?“ Vorsichtig präpariert er die feine Struktur aus dem Staub, sie ist zerbrechlich. Später wird er sie mit Epoxidharz tränken, damit sie stabiler ist. Dann können Biologen die Kieselalge in die Hand nehmen, das kunstvolle Skelett weitaus besser verstehen, als es mit einem Blick ins Mikroskop möglich ist.

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