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Das Institut. Wo heute Politologen des OSI untergebracht sind, forschten in der NS-Zeit Wissenschaftler an Menschen - mit grausamen Versuchen. Am 27. Januar, anlässlich des 70. Jahrestages der Befreiung von Auschwitz, legten Angehörige der FU und der Max-Planck-Gesellschaft, dort bei einer Gedenkveranstaltung Kränze nieder.

© Anja Kühne

Heikler Fund: Neue Widersprüche bei Skelettresten auf dem FU-Campus

Warum wurden die Überreste möglicher NS-Opfer ohne weitere Nachforschungen eingeäschert? FU-Präsident Peter-André Alt wehrt sich - die Charité ist irritiert

Wie ist es dazu gekommen, dass die auf dem FU-Campus im vergangenen Juli gefundenen Knochenreste nicht näher untersucht wurden? Obwohl der Verdacht von Anfang an im Raum stand, dass es sich um Knochenfragmente von NS-Opfern handeln könnte, wurden sie im Dezember im Routineverfahren im Krematorium Berlin-Ruhleben eingeäschert.

Bislang war der Eindruck entstanden, die FU und die Max-Planck-Gesellschaft hätten es versäumt, der Polizei oder den Rechtsmedizinern explizit ihren Verdacht über den möglichen Zusammenhang mitzuteilen, weshalb es nicht zu weiteren Forschungen kam.

Die Skelettüberreste von mindestens 15 Personen waren an der Universitätsbibliothek bei Bauarbeiten entdeckt worden – nahe des früheren Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in der Ihnestraße 22. Dorthin schickte der KZ-Arzt Josef Mengele regelmäßig Knochen und Organe seiner Opfer aus Auschwitz. Heute wird das Gebäude von FU-Politologen genutzt. Rechtsnachfolgerin der Kaiser-Wilhelm-Institute ist die Max-Planck-Gesellschaft.

FU-Präsident Peter-André Alt hatte noch vor wenigen Tagen gegenüber dem Tagesspiegel eingestanden: „Es kann sein, dass weder die FU noch die Max-Planck-Gesellschaft direkt über den möglichen Kontext informiert haben“, die Rechtsmediziner der Charité also gar keinen Verdacht schöpfen konnten.

Am Mittwoch erklärte Alt überraschenderweise im Akademischen Senat: „Die Charité hat von dem Kontext Kenntnis gehabt.“ Damit widerspricht der FU-Präsident der Darstellung des für die rechtsmedizinische Untersuchung zuständigen leitenden Oberarztes Lars Oesterhelweg sowie der Darstellung von Michael Tsokos, dem Leiter des Charité-Instituts. Beide hatten gegenüber dem Tagesspiegel erklärt, sie hätten von dem möglichen Hintergrund nichts geahnt (Tsp. vom 26. Januar). Der Fund sei nicht von vornherein verdächtig gewesen, jedes Jahr würden tausende alter Knochen in Berlin gefunden.

Auf Nachfrage teilt die FU nun sogar mit: „Die Freie Universität Berlin hat von Anfang an gegenüber den Behörden auf einen möglichen Zusammenhang mit dem KWI hingewiesen, sowohl in direkten Gesprächen als auch schriftlich.“ FU-Sprecher Goran Krstin zitiert aus einem Schreiben, das die FU am 7. Juli an die Polizei geschickt hat: „In mittelbarer Nähe des Fundortes befindet sich ein Gebäude (Ihnestraße 22), welches das damalige Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik beherbergte. Die Universität will auch aus wissenschaftlichen Gründen die Herkunft und zeitliche Einordung des Fundes zuordnen können.“ Die FU sei davon ausgegangen, dass die Polizei dies der Rechtsmedizin übermittelt hat.

Instituts-Chef Tsokos sagte am Donnerstag jedoch auf Anfrage, von einer Mitteilung der Polizei sei ihm nichts bekannt. Nach Überzeugung der FU muss Tsokos’ Institut aber selbst dann von dem Verdacht gewusst haben, wenn die Polizei ihr Schreiben nicht weitergeleitet haben sollte: „Ein möglicher Zusammenhang mit dem KWI war auch in später folgenden telefonischen Kontakten zwischen Vertretern der Freien Universität und der Gerichtsmedizin wiederholt Thema“, teilt FU-Sprecher Krstin mit: „Unter anderem hatten wir dort mehrfach nach den Gutachten gefragt und auch Informationen darüber eingeholt, ob sich durch weitere Untersuchungen zweifelsfrei ein Zusammenhang der gefundenen Knochen mit Opfern der NS-Zeit belegen ließe.“ Das weist Tsokos entschieden zurück: „Davon ist mir nichts bekannt.“ Laut Tsokos würde ein solches Gespräch am Institut dokumentiert werden – man sei schließlich geübt darin, mit heiklen Todesfällen umzugehen.

Auch Alts Darstellung im FU-Magazin „Campus.Leben“ erweckt den Eindruck, Tsokos’ Institut sei informiert gewesen und habe seine Möglichkeiten für Nachforschungen voll ausgeschöpft: „Nach unseren Informationen wäre eine exakte Datierung der Knochen auf einen Zeitraum von nur wenigen Jahren nicht möglich gewesen, ein eindeutiger Zusammenhang des Fundes mit Auschwitz-Opfern hätte somit nicht zweifelsfrei belegt werden können“, sagte Alt. Der zuständige Oberarzt Lars Oesterhelweg hatte gegenüber dem Tagesspiegel hingegen erklärt: „Bestimmt hätten wir mehr gemacht, wenn wir mehr gewusst hätten.“

Jedenfalls hat die FU-Leitung öffentliche Aufmerksamkeit vermieden. Sie ließ nur uni-intern über den Fund berichten – und ohne den verdächtigen Zusammenhang überhaupt zu erwähnen. FU-Mitglieder konnten diesen aber durch Berichte der Studierendenzeitschrift „Furios“ kennen – so sie ihn nicht ohnehin selbst hergestellt hatten. Eine FU-Bibliothekarin, die schon einen Tag nach dem Fund eine entsprechende Twittermeldung abgesetzt hatte, sagt auf Anfrage: „Wir wissen hier alle, in welchen Räumlichkeiten wir arbeiten. Jedem Azubi wird das früh gesagt.“ Darum sei unter den Mitarbeitern der Universitätsbibliothek der mögliche Zusammenhang sofort erkannt worden und allenthalben Gesprächsthema gewesen. An solchen öffentlichen „Spekulationen“ wollte sich die FU-Leitung aber nicht beteiligen und sprach sich lieber hinter den Kulissen mit der Max-Planck-Gesellschaft ab.

Alt wehrt sich unterdessen gegen Anschuldigungen in der „Berliner Zeitung“ wonach er „wichtige Spuren der Opfer von Josef Mengele klammheimlich“ habe vernichten lassen. Der Kommentar des Historikers Götz Aly sei „grob irreführend und wahrheitswidrig“, sagte Alt am Mittwoch im Akademischen Senat. Am gestrigen Donnerstag druckte die „Berliner Zeitung“ eine „Richtigstellung“ Alts ab. Anja Kühne

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