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Bei Fraunhofer gilt Hanselka nach einer Spesenaffäre als Hoffnungsträger, der Aufklärung und einen Neustart schaffen soll.

© Markus Breig / KIT

Neuer Fraunhofer-Präsident im ersten Interview: „Wir müssen als Gesellschaft wieder mehr Vertrauen in die Menschen haben“

Holger Hanselka soll die Fraunhofer-Gesellschaft aus der Krise holen. Wie will er das machen? Im Interview spricht er über saubere Governance, die Verteilung von Macht und eine deutsche Krise.

Herr Hanselka, als neuer Fraunhofer-Präsident sind Sie für die Aufarbeitung der massiven Vorwürfe gegen den Fraunhofer-Vorstand um Ihren Vorgänger Reimund Neugebauer zuständig: von der mutmaßlichen Verschwendung von Steuergeldern über ein problematisches Führungsverhalten bis hin zur angeblichen Erzeugung eines Klimas der Angst.
Als neuer Präsident bin ich verantwortlich für die Fraunhofer-Gesellschaft, und dieser Verantwortung stelle ich mich. Es ist eine Selbstverständlichkeit für mich, dass all die Vorwürfe, die im Raum stehen, transparent und lückenlos aufgeklärt werden. Die Federführung dafür liegt beim Senat, und da gehört sie auch hin.

Meine Rolle als Präsident wird darin bestehen, dass der Vorstand und ich den Senat bei seiner Aufklärungsarbeit weiterhin vollumfänglich unterstützen. Und wenn es so weit ist, wird es meine Aufgabe sein, aus bestätigten Fehlern und Fehlverhalten die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, sodass sie sich nicht wiederholen können. Ein Klima der Angst kann ich bei Fraunhofer nicht wahrnehmen.

Verlassen Sie sich nicht zu sehr auf den Senat? Immerhin war er es, der noch im August 2021, als längst massive Whistleblower-Vorwürfe gegen Reimund Neugebauer laut wurden, Ihren Vorgänger nicht nur im Amt bestätigt, sondern seine Amtszeit sogar noch verlängert hat.
Wie der Senat in der Vergangenheit gewirkt hat, kann ich schwer beurteilen. Anfang dieses Jahres stand die Stellenausschreibung für das Präsidentenamt in der Zeitung, erst seitdem habe ich mich intensiv mit Fraunhofer und auch mit dem Fraunhofer-Senat auseinandergesetzt. Seitdem, das kann ich sagen, war ich besonders von der ebenfalls neuen Senatsvorsitzenden Hildegard Müller sehr beeindruckt und ihren Bemühungen um eine transparente und lückenlose Aufklärung.

Daher lautet meine Antwort: In einen Senat unter Frau Müllers Leitung habe ich großes Vertrauen. Und wie gesagt: Ich als Präsident werde dafür sorgen, dass auch wir als Vorstand gemeinsam jeden erdenklichen Beitrag leisten, die Dinge zu klären.

Wir müssen als Gesellschaft wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die Menschen haben und ihnen mehr Freiraum geben.

Holger Hanselka, Fraunhofer-Gesellschaft

In Fraunhofer-Instituten herrscht Frust, dass sie jetzt gerade stehen sollen für die mutmaßlichen Fehler in den Chefetagen. Nach dem Motto: Jetzt dürfen wir unseren Gästen nicht einmal mehr Kekse zum Kaffee servieren.
Es trifft zu, dass die Fraunhofer-Gesellschaft verschärfte Auflagen im Zuwendungsbescheid durch das Bundesforschungsministerium bekommen hat, wie mit Geschenken, Bewirtungen oder Reisekosten umzugehen ist, deren Rigorosität man zum Teil schon hinterfragen kann. Ich finde, wir müssen auch da zur Normalität zurück, wie sie das Gesetz vorgibt: nicht wie die Fürsten speisen, aber es kann auch nicht sein, dass es nur noch Wasser und Salzstangen gibt. Angesichts der Vorwürfe ist das Pendel zu stark in die entgegengesetzte Richtung ausgeschlagen.

Sie wollen Konsequenzen aus gemachten Fehlern ziehen. Was bedeutet das konkret?
Wenn man eine Governance neu und transparent festzurrt, heißt das noch lange nicht, dass sich alle Personen dem unterwerfen werden. Darum braucht man Aufsichtsorgane. Vor allem aber braucht es die Hartnäckigkeit, jedem Menschen die immer gleichen Fragen zu stellen. Was tust du? Warum tust du die Dinge so, wie Du sie tust? Wem gegenüber trägst Du für Dein Handeln die Verantwortung? Wer hat dir etwas zu sagen? Wem hast du etwas zu sagen? Und: Ist es so richtig organisiert?

Die meisten Dysfunktionalitäten entstehen nicht durch Vorsatz, nicht aus bösem Willen, sondern sie wachsen historisch und werden dann nicht mehr hinterfragt. Mir wird die ganze Fragerei sicherlich gerade am Anfang nicht nur Sympathien einbringen, aber für Sympathie werde ich nicht bezahlt, sondern für Sinnstiftung. Und wenn dieser Sinn zu erkennen ist, folgen dem am Ende die Menschen.

Ist Fraunhofer inmitten seiner Modernisierungskrise Sinnbild für ein Land, dessen Geschäftsmodell nicht mehr funktioniert?
Ich glaube, es handelt sich eher um eine Krise der Haltung als der Modernisierung.

Was meinen Sie damit?
Wir müssen wegkommen von diesem Wahnsinn der Überregulierung und immer noch mehr Bürokratie, in den wir hineingeraten sind. Wir müssen als Gesellschaft wieder mehr Zuversicht und Vertrauen in die Menschen haben und ihnen mehr Freiraum geben.

Sagen Sie ausgerechnet nach dem, was gerade bei Fraunhofer passiert ist?
Ich kann da keinen Widerspruch erkennen. Für eine Ermöglichungskultur, die ich meine, brauchen Sie zuerst ein klares Regelwerk, eine in sich stimmige Governance. Wenn ich beides habe, ist zugleich die Zahl der unsinnigen Vorschriften reduziert, dann brauche ich keine Bürokratiemonster, um die Einhaltung der Regeln zu überprüfen. Anstatt immer mehr Leute einzusetzen, die sich angucken, was alles nicht funktioniert, sollten wir den Spieß umdrehen und dafür sorgen, dass die Dinge erstmal wieder funktionieren. Und je besser sie funktionieren, desto transparenter geht es zu, und desto weniger Leute müssen es kontrollieren.

Bei vielen Technologien hat Deutschland längst den Anschluss verloren.
Wir gehen in Deutschland zu wenig ins Risiko. Wenn ich mir die Zukunftstechnologien anschaue, zum Beispiel die Künstliche Intelligenz, die Robotik oder die Energiespeicherung, dann befinden sich sämtliche Schlüsselspieler außerhalb von Deutschland und, in den meisten Fällen, Europas. Die Batterietechnik ist ein gutes Beispiel.

Ob in Ulm oder Münster, bei der Forschung sind wir gut dabei, da gehören wir auch unter Fraunhofer-Beteiligung zur Weltspitze. Aber wir schaffen es nicht, die Forschungsergebnisse in die nächste oder übernächste Generation von Batterien auf den Weltmarkt zu bringen. Unser Ziel muss sein, dass uns genau dieses wieder gelingt: dass diese Batterien nicht irgendwo auf der Welt produziert werden, sondern bei uns in Deutschland, und dass dies dann auch in unserer Gesellschaft wertgeschätzt wird. Genau da kommt es auf uns bei Fraunhofer an.

Dieses Interview erschien zuerst auf dem Blog von Jan-Martin Wiarda.

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