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Im Liegen. Russische Raketen werden waagerecht montiert und zum Startplatz gebracht. So wird es auch in Wostotschny sein. Foto: ddp

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Neuer Weltraumbahnhof: Russische Raketen ziehen um

Das neue Kosmodrom in Wostotschny soll die russische Raumfahrt unabhängig von Kasachstan machen. Russland verbuchte im vergangenen Jahr mehr als ein Drittel aller Raketenstarts für sich.

Der Ort war lange Zeit geheim. Keiner sollte erfahren, wo genau die Großmacht im Osten ihre Weltraummissionen startete. Fern der Zivilisation, im südlichen Kasachstan gelegen, ließ sich Baikonur während des Kalten Krieges gut abschirmen. Das änderte sich spätestens mit dem Zerfall der UdSSR 1991. Seitdem sind internationale Zusammenarbeit und Geschäft gefragt. Dazu kommt ein politischer Grund: Nach dem Ausscheiden Kasachstans aus der Union ist das heutige Russland nur noch Pächter des 57 Quadratkilometer großen Startgeländes.

Deshalb suchte man einen neuen Startplatz. In Sibirien, in Wostotschny, wird nun der zukünftige Weltraumbahnhof für bemannte und unbemannte Flüge entstehen. Er soll Russlands Unabhängigkeit aber auch Konkurrenzfähigkeit als bedeutender Weltraumspediteur garantieren. „Die Lage auf dem Weltmarkt zwingt uns dazu“, begründete Wladimir Putin die Entscheidung. Immerhin konnte Russland im vergangenen Jahr mehr als ein Drittel aller Raketenstarts für sich verbuchen.

In den Jahren 2015 und 2016 soll der erste Startkomplex gebaut werden, der zweite soll bis 2018 folgen. Im gleichen Jahr soll den Plänen zufolge auch der erste bemannte Raumflug vom neuen Kosmosdrom aus gestartet werden. Für die erste Ausbaustufe wurden bereits rund 630 Millionen Euro bereitgestellt. Der Weltraumbahnhof liegt gut 100 Kilometer in der Amur-Region östlich der Grenze zu China zwischen den Städten Swobodny und Uglegorsk.

Vieles wird auf dem neuen Kosmodrom moderner – aber nicht grundlegend anders werden. Denn manche Dinge haben sich seit den Tagen des deutschen Raketenforschungszentrums in Peenemünde bewährt. Das beginnt mit der geografischen Lage. Raketen sind auch heute noch wegen ihrer Explosionsgefahr sehr risikoreiche Trägersysteme. Von daher ist es lebenswichtig, dass die Startplätze entfernt von besiedelten Gebieten liegen.

Das gilt auch für die Flugbahnen der Trägerraketen in der Aufstiegsphase, denn es könnte sein, dass sie abstürzen und vorher gesprengt werden müssen, um Menschenleben nicht zu gefährden. Dabei sollten auch Komplikationen mit benachbarten Staaten wegen herabfallender Trümmer vermieden werden. So liegt etwa das amerikanische Raketenstartzentrum Cape Canaveral am Atlantik, ebenso das Brasiliens und der europäischen Raumfahrtorganisation Esa in Französisch Guayana. Sie sind zudem von einem ausgedehnten Dschungel- und Sumpfgebiet umgeben. In Russland werden diese Bedingungen durch die große Landfläche erfüllt, sie enthält ausgedehnte dünnbesiedelte Steppengebiete. Das neue 750 Quadratkilometer große Startareal liegt außerdem in der Nähe des Pazifiks, der von den ostwärts startenden Raketen überflogen wird.

Zwar ist Wostotschny wie seine westlichen Pendants von der Zivilisation abgelegen, aber nicht abgeschnitten. Denn Weltraumbahnhöfe müssen für den Transport der benötigten Teile, wie zum Beispiel der Raketenstufen oder Nutzlast, leicht zugänglich sein. In Cape Canaveral und Kourou sind es ein Hafen und eine Straße, die zum Startplatz führen; in Baikonur geschieht es auf Schienen. Das neue Kosmodrom wird über die Transsibirische Eisenbahn sowie die Autobahn Tschita-Chabarowsk und die Amur-Wasserstraße erreichbar sein.

Was ebenfalls beibehalten wird, sind waagerechte Montage und Transport der russischen Raketen zur Abschussrampe. „Das ist bei den Russen eine alte Tradition“, sagt der Nasa-Manager und Raketenexperte Jesco von Puttkamer. „Sie haben immer scherzhaft gesagt: Im Krieg werden Kanonen ja auch mit der Mündung nach hinten an die Front gebracht. Genauso wurden die Raketen von den Artilleristen, die ursprünglich die Anfänge der Raketentechnik bestimmten, ebenfalls wie Kanonen transportiert.“ Russische Wartungs- und Montagehallen gehen daher in die Länge. Die der Nasa und Esa recken sich in die Höhe, denn beide montieren ihre Raketen senkrecht und fahren sie aufrecht zum Startplatz. Weltbekannt ist das 160 Meter hohe „Vehicle Assembly Building“ des Kennedy Space Center in Florida. Es zählt zu den größten Hallenbauten der Erde.

Beim Start der ebenfalls neuen Raketen des Typs „Angara“ und „Rus-M“ in Wostotschny wird es wieder das altbekannte Bild geben: Bis die Triebwerke den vollen Schub leisten, werden die Raketen von gewaltigen Klammermasten gehalten. Wie in Baikonur haben sie nur einen Teil der „natürlichen“ Starthilfe zur Verfügung, den die Nasa- und Esa-Raketen besser ausnutzen. Da sich deren Startplätze näher am Äquator befinden, erhalten sie mehr „Schwung“, weil dort die Rotationsgeschwindigkeit am größten ist.

Bernhard Mackowiak

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