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Robert Lefkowitz und Brian Kobilka sind die neuen Nobelpreisträger für Chemie.

© AFP

Nobelpreis für Chemie: Briefkästen der Zelle

Die Amerikaner Robert Lefkowitz und Brian Kobilka erforschten, wie die Zelle mit der Außenwelt kommuniziert. Ihre Ergebnisse sind eine wichtige Basis für die Entwicklung neuer Medikamente. Dafür wurden sie nun mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.

Früh um sechs bekam Robert Lefkowitz von seiner Frau einen Seitenhieb mit dem Ellenbogen. „Telefon!“, sagte sie, als er endlich seine Ohrstöpsel herausgenommen hatte. Am anderen Ende der Leitung wartete das Nobelpreiskomitee in Stockholm. Ein Traum für jeden Forscher.

Und für den Körper: Stress. Unmittelbar entspannen sich die Bronchien, so dass mehr Luft in die Lunge strömen kann. Die Atmung wird schneller. Die Hormone Adrenalin und Noradrenalin lassen das Herz rasen. Das Blut wird mit Fett und Zucker überschwemmt, so dass die Muskelzellen sofort mit Sauerstoff und Energie versorgt werden können. Gute und schlechte Überraschungen unterscheidet der Organismus im ersten Moment nicht. Prophylaktisch bereitet er sich auf eine Flucht vor.

Diese Reaktion ebbt erst dann ab, wenn klar ist: Hier droht keine Gefahr, hier gibt es nur Anlass zu großer Freude. Der amerikanische Wissenschaftler vom Howard Hughes Medical Institute und der Duke Universität in Durham hatte gerade die Nachricht bekommen, dass er gemeinsam mit seinem Schüler Brian Kobilka von der Universität Stanford den Chemie-Nobelpreis gewonnen hat.

Die beiden Forscher haben die bedeutendste Rezeptorfamilie im Körper genau beschrieben: die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Diese Andockstellen sorgen dafür, dass Milliarden Zellen im Körper miteinander kommunizieren können. Fast alle hormonellen Prozesse im Körper – wie Stress – werden über solche Signalwege gesteuert. Außerdem können die Zellen über solche Sensoren zum Beispiel Gerüche, Geräusche oder Gesehenes wahrnehmen und darauf reagieren.

Der siebte Sinn der Zelle. Über G-Protein-gekoppelte Andockstellen (Rezeptoren) kommuniziert die Zelle mit der Außenwelt. Auch Sinneszellen in der Netzhaut des Auges sind gespickt mit diesen Rezeptoren, Rhodopsin oder Sehpurpur genannt. Rhodopsin reagiert empfindlich auf Licht. Das lichtaktivierte Rhodopsin führt zu einer Kaskade von G-Protein-vermittelten Reaktionen in der Zelle – und letztlich zum Sehen. Foto: picture-alliance/dpa
Der siebte Sinn der Zelle. Über G-Protein-gekoppelte Andockstellen (Rezeptoren) kommuniziert die Zelle mit der Außenwelt. Auch Sinneszellen in der Netzhaut des Auges sind gespickt mit diesen Rezeptoren, Rhodopsin oder Sehpurpur genannt. Rhodopsin reagiert empfindlich auf Licht. Das lichtaktivierte Rhodopsin führt zu einer Kaskade von G-Protein-vermittelten Reaktionen in der Zelle – und letztlich zum Sehen. Foto: picture-alliance/dpa

© picture-alliance/ dpa

Dass es Rezeptoren geben muss, die Adrenalin erkennen, wussten Forscher bereits Ende des 19. Jahrhunderts – denn sie konnten beobachten, was der Stoff bewirkt. Doch wie die Sensoren für Adrenalin aussehen und wie sie ein Signal von außen ins Innere der Zelle übermitteln können, blieb ein Rätsel. Selbst als es in den 1940er Jahren der erste Betablocker gegen Bluthochdruck entwickelt wurde (er dockt an den Beta-Rezeptoren für Adrenalin und Noradrenalin an und schaltet sie aus), konnte niemand die in der Zellhaut eingebetteten Sensoren finden. Erst Lefkowitz gelang es, mit radioaktiv markierten Hormonen und Betablockern sie aufzuspüren. 1970 erschien seine erste Studie dazu.

Als 1980 Brian Kobilka in sein Labor kam, begaben sich die beiden Wissenschaftler auf die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen: Sie wollten das Gen finden, das die Blaupause für diesen Sensor ist – ein Vorhaben, das zu dieser Zeit extrem mühselig und langwierig war. Trotzdem schaffte es Kobilka. Allmählich wurde klar, dass sich der Rezeptor mit sieben parallel verlaufenden Stäbchen durch die Zellhülle bohrt. Die Forscher stutzten. So eine Struktur kannte man bereits von ganz anderer Stelle: Der Lichtrezeptor Rhodopsin in der Retina des Auges ist genauso aufgebaut. Beide Rezeptoren aktivierten ein G-Protein im Inneren der Zelle, genau wie 30 andere Sensoren. Gehörten sie etwa alle zu einer Familie?

Spezielle Andockstellen auf der Zellhülle, Rezeptoren genannt, verbinden die Zelle mit der Außenwelt.
Spezielle Andockstellen auf der Zellhülle, Rezeptoren genannt, verbinden die Zelle mit der Außenwelt.

© Nobelpreis-Komitee/Tsp

Aus dem Verdacht wurde Gewissheit. Heute kennt man fast 1000 Gene, die für G-Protein-gekoppelte Rezeptoren zuständig sind. Die Hälfte davon registriert Gerüche, ein Drittel Hormone und Botenstoffe. Dockt ein solcher Botenstoff an den Sensor auf der äußeren Hülle an, fallen die sieben Stäbchen wie ein Strauß auseinander. Im Inneren kann nun zum Beispiel das G-Protein andocken und weitere Signalwege anstoßen. Etwa die Hälfte aller Arzneimittel blockiert oder aktiviert diese Rezeptoren. Und die Pharmaindustrie entwickelt viele weitere.

Erst 2011 gelang es Kobilka, einen Adrenalinrezeptor genau zu dem Zeitpunkt abzubilden, in dem es von einem Hormon aktiviert wurde und ein Signal in die Zelle schickt. „Ein molekulares Meisterwerk“, wie das Nobelkomitee meinte. Denn diese Feinstruktur aufzuklären war alles andere als trivial. Anders als viele andere Eiweiße fühlen sich die Sensoren nicht in Wasser, sondern nur in der fettigen Umgebung der Zellmembran wohl. Reißt man sie aus der vertrauten Umgebung, verklumpen sie schnell. Sie dann zu kristallisieren und mit Röntgenstrahlen ein Bild von ihnen zu machen, ist sinnlos.

„Kobilka blieb über Jahrzehnte dran, obwohl es lange Durststrecken gab“, sagt Walter Rosenthal, Vorstand des Max-Delbrück-Centrums. „Das war für ihn ein großes Risiko.“ Doch nur so seien wirkliche Durchbrüche möglich.

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