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Ornithologie: Mysteriöses Vogelsterben in den USA

Silvester fielen in dem kleinen Städtchen Beebe in den USA tausende Vögel vom Himmel. Experten rätseln über Grund.

Was in der Silvesternacht in dem kleinen Städtchen Beebe in den USA passierte, klingt nach einem Vorboten der Apokalypse: Gegen elf Uhr abends begann es plötzlich Vögel zu regnen. Hunderte Tiere fielen auf Straßen und Dächer, Autos und Vorgärten. Auch einige Passanten wurden von den Tieren getroffen. Insgesamt sollen in einem Umkreis von 1,6 Kilometer bis zu 5000 Rotschulterstärlinge (Agelaius phoeniceus) vom Himmel gefallen sein. Noch am Montag waren Spezialisten in Schutzanzügen damit beschäftigt, die großen Singvögel aufzulesen.

Über das plötzliche Massensterben rätseln seither Vogelexperten auf der ganzen Welt. „Dass geschwächte Vögel vom Himmel fallen, kommt immer mal wieder vor“, sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Radolfzell. Gerade, wenn einen Schwarm über dem Meer die Kräfte verlassen und die Vögel dann zu hunderten angeschwemmt werden, kann das ein erschreckendes Bild abgeben. Und auch über Land können Tiere bei schlechtem Wetter schon einmal vom Himmel fallen. „Das kennen wir zum Beispiel von Mauerseglern“, sagt Fiedler. Doch dabei handelt es sich in der Regel nur um einzelne Tiere, selten einmal um kleine Gruppen. „Das können dann auch mal 30 bis 40 Tiere sein, aber nicht tausende wie in diesem Fall.“

Außerdem handelt es sich in der Regel um Vögel, die Insekten im Flug fangen. Finden die bei schlechtem Wetter nicht genug zu essen, müssen sie bis zur letzten Sekunde versuchen zu jagen, bis sie verhungert vom Himmel fallen. Aber der Rotschulterstärling jagt keine Insekten. „Und wenn das geschwächte Tiere wären, dann müsste man das sofort sehen. Solche Vögel haben einen messerscharf hervorstehenden Brustbeinkamm“, erklärt Fiedler. Normalerweise ist die Brust eines Vogels rund, weil hier der kräftige Muskel sitzt, den die Tiere zum Fliegen benötigen. „Aber bevor es zu Ende geht wird auch dieser Muskel von einem hungernden Tier verstoffwechselt“, erklärt Fiedler. Als letzten, verzweifelten Akt verdaut der Vogel sich gewissermaßen selbst.

Verhungert sind die Vögel also höchstwahrscheinlich nicht. Und auch eine Krankheit hält Fiedler für ausgeschlossen. „Wenn Vögel krank sind, ziehen sie sich zurück. Die fallen nicht wegen einer Krankheit alle zusammen aus der Luft.“ Auch die staatliche Veterinärkommission schloss nach einer ersten Untersuchung der Tiere Viren oder andere Krankheitserreger als Todesursache aus. Die wichtigen Organe seien gesund gewesen, hieß es im Bericht.

Aber was könnte dann die Ursache des Massensterbens sein? Die Untersuchung der Vögel zeigte Verletzungen vor allem im Brustbereich und interne Blutungen, die zum Tod führten. Für die Ornithologin Karen Rowe ein Zeichen, dass die Tiere möglicherweise durch Silvesterraketen aufgeschreckt wurden und in der Dunkelheit, in der sie normalerweise gar nicht aktiv sind, gegen Gebäude oder sogar direkt in den Boden flogen.

Fiedler hält aber auch diese Erklärung für unwahrscheinlich: „Vögel, die mit etwas kollidieren, haben in der Regel ein gebrochenes Genick oder gebrochene Flügel.“ Außerdem sei weltweit zu Silvester geknallt worden. „Warum sollten nur diese Vögel so aufgeschreckt sein.“ Der Vogelforscher hält eine andere Erklärung für wahrscheinlicher: „Vielleicht sind die Tiere in eine miserable Witterung gekommen, einen Hagelschlag zum Beispiel“, sagt er. „Möglicherweise sind auch extreme Druckunterschiede die Ursache, etwa die Druckschleppe eines Flugzeuges.“ Die Silvesterknaller könnten dann nur der Grund gewesen sein, dass die Tiere nachts überhaupt unterwegs waren. Falls die Vögel nicht ohnehin schon auf einer Wanderung waren, um schlechtem Wetter zu entfliehen.

In jedem Fall sieht Fiedler keinen Zusammenhang zwischen dem Vorfall in Beebe und anderen Vogelsterben, über die jetzt berichtet wird. So wurden auf einer Landstraße in Louisiana 500 tote Vögel gefunden und im schwedischen Dorf Falköping seien am Dienstag 50 bis 100 tote Dohlen auf einer Straße gefunden worden, heißt es in lokalen Medien. „Ich würde diese Ereignisse nicht überbewerten“, sagt Fiedler. Schließlich seien sie auch vom Ausmaß her eher im Rahmen des Normalen. „Aber dieser Vorfall an Silvester, der ist wirklich ungewöhnlich und spannend.“ Kai Kupferschmidt

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