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Bevölkerungszuwachs. Hochschulen tragen viel mehr dazu bei, die Verödung im Osten zu bremsen als alle Rückholerprogramme. Die Hochschulen müssten die Politiker viel stärker auf ihre regionale Bedeutung hinweisen, sagt Peer Pasternack. Foto: picture alliance/ZB

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Ostdeutsche Hochschulen: Ostunis leiden unter dem Dauerstress

Seit 23 Jahren befinden sich die Hochschulen der neuen Länder im Auf- und Umbau. Nun wird gespart, die Länder reichen ihre Einnahmeprobleme weiter. Das Ergebnis ist eine stark fragmentierte Hochschullandschaft, schreibt Hochschulforscher Peer Pasternack.

Hochschulfusion in der Lausitz, Personalabbau an den sächsischen Universitäten, 50-Millionen-Einsparung bei den Hochschulen Sachsen-Anhalts: Auf die ostdeutschen Hochschulen kommen, so scheint es, turbulente Zeiten zu. Wieder mal, muss man anfügen. Denn auch die letzten zweieinhalb Jahrzehnte sind schon recht turbulent gewesen.

Anfang der 2000er Jahre waren die ostdeutschen Hochschulen strukturell konsolidiert. Den Umbau seit 1990 hatte man zu einem mehr oder weniger gelungenen Abschluss gebracht. Dann folgte allerdings keine Phase der Beschaulichkeit, sondern die Bologna-Reform und die ersten Folgen des demografischen Wandels. Die eine mit reformbedingten Mehrkosten, die, wie im Westen, nicht erstattet wurden. Die andere mit tatsächlichen und prognostizierten Einnahmeminderungen in den Landeshaushalten.

Fürs Sparen in den Ost-Ländern lassen sich durchaus Gründe entdecken, nämlich acht: Seit 2009 bereits sind die Zuschüsse aus dem Solidarpakt rückläufig. Bis 2020 werden sie auf null abschmelzen. Im Rahmen der EU-Strukturförderung müssen die ostdeutschen Länder und Kommunen ab 2014 fünfzigprozentige Gegenfinanzierungen leisten. Bisher waren es 25 Prozent. Der demografische Wandel bewirkt sinkende Einwohnerzahlen. Daraus folgen geringere Zuweisungen aus dem pro-kopf-bezogenen Länderfinanzausgleich. Die Löhne sind im Osten niedriger, und die Arbeitslosigkeit ist höher. Das erzeugt geringere Einkommenssteuereinnahmen. Die Produktivität und damit die Wirtschaftsleistung liegen unter dem westdeutschen Durchschnitt. Das bewirkt auch bei anderen Steuern niedrigere Einnahmen. Sonderprogramme des Bundes im Wirtschafts- und Wissenschaftsbereich sind nicht auf Dauer zu stellen. Das 2009 verabschiedete Wachstumsbeschleunigungsgesetz mindert die Steuereinnahmen aller Länder. Schließlich wird ab 2020 die Schuldenbremse in Kraft treten. Sie untersagt den Ländern die Nettokreditaufnahme.

Die Einnahmeprobleme der ostdeutschen Länder werden unter anderem an die Hochschulen weitergereicht. Aus all dem ergibt sich vor allem eines: Die Ost-Hochschulen sind seit 23 Jahren im Dauerstress. Was dabei oder dennoch herauskommt, lässt sich auf zweierlei Weise betrachten: einerseits im Durchschnitt, andererseits mit Blick auf die Einzelfälle. Schaut man auf die gesamtdeutschen Leistungsvergleiche, so gibt es eine Zweiteilung: Für ihre Lehre bekommen die ostdeutschen Hochschulen mehrheitlich gute Noten. In der Forschung stellen sie sich als überwiegend leistungsgedämpft dar. Blickt man auf die einzelnen Hochschulen, so offenbart sich allerdings: Es geht ziemlich fragmentiert zu.

Abgesehen vom Sonderfall (Ost-)Berlin sind die Hochschulen in drei Städten sehr gut aufgestellt: in Dresden, Leipzig und Jena. Das hängt zum einen mit der Standortattraktivität zusammen. Die Lebensqualität in diesen Städten ist so, dass nicht jedes Konkurrenzangebot die Leistungsträger wegzieht. Und für Studierende handelt es sich um Orte, die es locker mit Hamburg, Frankfurt oder Köln aufnehmen können. Zum anderen sind in diesen Städten starke Verdichtungen von Wissenschaftspotenzialen aufgebaut worden: jeweils mehrere Hochschulen und zahlreiche außeruniversitäre Institute.

Weimar, Freiberg und Potsdam liegen bei den Kleinen ganz vorn

Einige kleine Hochschulen haben bemerkenswerte Profile entwickelt und spielen in der Liga der Kleineren vorne mit: Weimar, Ilmenau, Freiberg und Potsdam. Die Fachhochschulen sind im Durchschnitt forschungsaktiver als ihre westdeutschen Pendants. Die meisten Fächer an den ostdeutschen Hochschulen bewegen sich überwiegend im Mittelfeld. Manche Politiker sagen daher, sie seien „mittelmäßig“. Das ist nicht falsch, aber unfreundlich. Denn in der Mitte befindet sich nach landläufiger Betrachtung die Hälfte der Hochschulen und ihrer Fächer: Ein Viertel bildet die Spitze und ein Viertel die Schlussgruppe.

Man kann es auch als Erfolg werten, dass sich die Mehrheit im mittleren Segment bewegt. Denn die Pro-Kopf-Ausgaben der östlichen Bundesländer für ihre Hochschulen sind zwar durchwachsen, doch nirgends überbordend. 257 Euro geben die westdeutschen Flächenländer je Einwohner für die Hochschulen aus. Sachsen-Anhalt (240 Euro) und Sachsen (241 Euro) liegen etwas, Thüringen mit 213 Euro deutlich darunter. Brandenburg beschränkt sich gar auf bescheidene 114 Euro (was nicht nur an der fehlenden Hochschulmedizin liegt). Allein Mecklenburg-Vorpommern überschreitet den westdeutschen Durchschnitt etwas: Es berappt 259 Euro pro Einwohner für seine Hochschulen.

Vor diesem Hintergrund ist absehbar, was weitere Einsparungen bringen würden: Die ostdeutschen Hochschulen werden dauerhaft, was deutschschweizer Universitäten im 19. Jahrhundert waren, sogenannte Erstberufungshochschulen. Dahin geht man als junge Professorin/junger Professor auf seine erste Stelle und sieht zu, schnell etwas Besseres zu finden. Dadurch fehlt es an Stabilität bei den Leistungsträgern.

Das kennzeichnet heute bereits die Situation an vielen ostdeutschen Fachbereichen. Diese wiederum erklärt deren mangelnde Strategiefähigkeit. Sie zeigt sich an den geringen Erfolgen bei überregionalen Wettbewerben, etwa in der Exzellenzinitiative.

Gibt es alternative Optionen? Die ostdeutschen Regionen werden interne Potenziale mobilisieren und externe Potenziale gewinnen müssen, wenn sie sich nicht abhängen lassen wollen: Fachpersonal, Investitionen und Netzwerkeinbindungen insbesondere. Für zwei dieser Potenziale sind die Hochschulen unentbehrlich: Fachkräfte und Netzwerke. So finden mittlerweile zahlreiche westdeutsche Studienanfänger in den Osten. Von diesen wiederum bleiben 43 Prozent nach dem Abschluss da: ein beachtlicher Klebeeffekt. Keines der zahlreichen Rückholerprogramme, mit denen die ostdeutschen Länder ehemalige Einwohner zur Rückkehr bewegen wollen, hat eine solche Erfolgsquote. Mit anderen Worten: Die ostdeutschen Hochschulen sind inzwischen das erfolgreichste Instrument zur Dämpfung des demografischen Wandels.

Schwierig erscheint es bislang, solche Wirkungen zu vermitteln. Da wird es nötig sein, dass sich die Ost-Hochschulen stärker als das, was sie sind, auch inszenieren: als eines der wichtigsten Verödungshemmnisse in demografisch sich entleerenden Räumen. Hochschulfernen Gesprächspartnern in der Politik ist also plausibel zu machen, dass die überwiesenen Gelder auch regional benötigte Effekte bringen. Alles, was über eine Grundausstattung hinausgeht, wird über direkte und indirekte Effekte innerhalb des Landes dargestellt werden müssen. Einstweilen agiert die Wissenschaft hier nicht so glücklich. Sie neigt dazu, vornehmlich auf die planetarische Bedeutung ihrer Aktivitäten zu verweisen. Das verführt außerhalb der Wissenschaft dazu, den Umkehrschluss zu ziehen: regional wohl nicht so bedeutsam.

Gebraucht wird aber beides: Die regionale Wirksamkeit von Hochschulen ist dann am aussichtsreichsten, wenn diese ihre Region an die überregionalen Kontaktschleifen der Wissensproduktion und -verteilung anschließen. Dazu wiederum sind die Hochschulen wie keine andere Institution in ihren Regionen in der Lage.

Peer Pasternack ist Direktor des Instituts für Hochschulforschung Halle-Wittenberg (HoF) und war in Berlin Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wissenschaft von 2002 bis 2003.

Peer Pasternack

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