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Hingucker. Diesen Erstklässlern in Berlin-Wedding hat eine Lesepatin bunte Bilderbücher mitgebracht. Doch die Leseförderung erreicht bei Weitem nicht alle Kinder, kritisieren Experten.

© Doris Spiekermann-Klaas

Pisa-Studie: Deutsch für Anfänger

Am 7. Dezember wird die vierte internationale Bildungsstudie der OECD veröffentlicht: Pisa 2009. In den Kitas und Schulen tut sich was – oft aber zu wenig und nicht das Richtige.

Vor neun Jahren erschütterte der Pisa-Schock Deutschland. Kinder, die damals gerade erst eingeschult wurden, sind heute Teenager. Je mehr Zeit seit der ersten Pisa-Studie vergangen ist, desto größer werden die Erwartungen, dass sich in den Kitas und Schulen etwas getan hat. Am 7. Dezember wird schon die vierte internationale Bildungsstudie der OECD veröffentlicht: Pisa 2009, für das im vergangenen Jahr weltweit zehntausende Schüler befragt wurden.

Pisa 2006 hatte eine Stagnation in Mathematik gezeigt. Beim Lesen gab es damals leichte Fortschritte, dort konnten Schüler aus der sozial schwachen Schicht etwas zulegen. Wie Deutschland 2006 in den Naturwissenschaften dastand, war umstritten. Nach Meinung des OECD-Experten Andreas Schleicher stagnierte Deutschland auch hier, Pisa-Forscher Manfred Prenzel sah hingegen eine deutliche Entwicklung und Deutschland nunmehr in der Spitzengruppe.

Hat sich der positive Trend fortgesetzt? Beim Lesen, das diesmal erstmals seit Pisa 2000 wieder im Mittelpunkt der internationalen Studie steht, wäre das besonders wichtig. Lesen gilt als Schlüssel zu weiteren wichtigen Kompetenzen. Experten sind aber skeptisch. Zwar haben die Kultusminister nach Pisa eine ganze Reihe von Reformen angeschoben, von früherer Einschulung bis zu Bildungsstandards. Nach Meinung der GEW ist bei den Schülern aber nicht viel angekommen, weil die Politik die Reformen falsch und zaghaft angepackt habe. Klaus Klemm, Bildungsforscher an der Universität Duisburg-Essen, geht mit den Politikern nicht ganz so streng ins Gericht. „Riesige Sprünge“ erwartet aber auch er nicht: „Das wäre naiv.“ Die Reformen bräuchten noch mehr Zeit: Erst in drei bis sechs Jahren sei eine „deutliche Entwicklung“ zu erwarten. Heinz-Peter Meidinger vom Deutschen Philologen-Verband sieht das auch so: Die Lesefähigkeit sei nun einmal extrem abhängig vom Elternhaus. Es müsse sich darum schon sehr viel im Bildungswesen tun, um bildungsferne Schichten zu erreichen.

SPRACHUNTERRICHT FÜR VORSCHÜLER

Am meisten Bewegung sieht Klemm bei der vorschulischen Sprachförderung. Vor der Einschulung müssen die Schüler zum Sprachtest. Schneiden sie schlecht ab, bekommen sie einen speziellen Sprachunterricht. Auch würden die Kitas nun ihren „Bildungsauftrag“ ernst nehmen, sagt Klemm. Die Schüler, die hiervon profitieren könnten, seien aber noch zu jung, um die aktuellen Pisa-Ergebnisse zu beeinflussen. Die GEW-Schulexpertin Marianne Demmer beschreibt die Lage hingegen als „sehr negativ“. Demmer stört sich an der unübersichtlichen Vielfalt der Sprachtests und der Programme in den Ländern sowie an fehlenden Evaluationen. Tatsächlich prüfen 14 Länder den Sprachstand vier- bis sechsjähriger Kinder mit 17 verschiedenen Tests, wie aus dem Nationalen Bildungsbericht im Auftrag der Kultusminister und des Bundesbildungsministeriums hervorgeht. Die „Heterogenität“ habe in den vergangenen zwei Jahren sogar noch zugenommen, heißt es in dem Bericht. Und die Statistik zeigt, dass überhaupt nur die Hälfte der Länder alle Kinder einem Test unterzieht. Drei Länder testen nur Kinder nichtdeutscher Herkunft und Kinder, die keine Kita besuchen. Das könnte mit ein Grund dafür sein, dass Bremen bei 53 Prozent der Kinder einen Förderbedarf feststellt, Baden-Württemberg aber bei nur 13 Prozent.

Die Länder kommen auch zu völlig unterschiedlichen Schlüssen, mit wie vielen Stunden und in welcher zeitlichen Dichte die Kinder gefördert werden müssen. Der Umfang schwankt von Land zu Land von zwei bis 15 Stunden pro Woche über einen Zeitraum von drei bis 18 Monaten. NRW und Sachsen haben überhaupt keine Mindestdauer für die Förderung festgelegt. Die meisten Länder überlassen es den Trägern, welche Methoden sie zur Förderung anwenden wollen.

Was bewirken diese Programme? Das ist überwiegend unklar. Zehn Länder planen überhaupt keine Evaluation. Nur wenige Programme wurden evaluiert. Dabei zeigte sich zwar, dass die Fördermaßnahmen helfen. Allerdings schließen die betroffenen Kinder trotzdem bis zum Schulanfang nicht zu ihren Mitschülern auf. Die Pädagogische Hochschule Heidelberg stellte bei ihrer Evaluation dreier Programme auch fest, dass förderungsbedürftige Kinder nach einer speziellen Sprachförderung nicht besser abschließen als Kinder mit Förderbedarf, die nur „unspezifisch gebildet“ wurden – das heißt, dass sie Erzieherinnen hatten, die der Sprachentwicklung allgemein größere Aufmerksamkeit gewidmet haben, ohne aber ein bestimmtes Programm anzuwenden. Offenbar sind die Programme also nicht gut genug. Die Kultusminister sind gefordert.

GANZTAGSSCHULE

Als Reaktion auf den Pisa-Schock vom Herbst 2001 startete die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 ein Vier-Milliarden-Euro-Programm zum Ausbau der bis dahin in Deutschland noch wenig entwickelten Ganztagsschule. Damals lernten erst zehn Prozent an einer Ganztagsschule, heute ist es jeder vierte Schüler. Von einem flächendeckenden Angebot ist Deutschland also immer noch weit entfernt. Und von Land zu Land schwanken die Teilnehmerzahlen stark: In Bayern sind nur 4,6 Prozent an einer Ganztagsschule, in Sachsen fast 70 Prozent. Oft sind die Ganztagsangebote für die Schüler aber nur freiwillig und werden zudem nur an manchen Tagen der Woche angeboten.

Die unlängst vorgestellte „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen (Steg)“ zeigte denn auch jede Menge Verbesserungsbedarf auf. Unter den untersuchten 300 Schulen aus 14 Ländern sind nach Meinung der Forscher vom Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung (Dipf) jene erfolgreich, die den Nachmittagsunterricht für alle Schüler verbindlich machen und ein hochwertiges Programm anbieten: Dazu gehört eine anregende Freizeitgestaltung – aber auch eine gute Hausaufgabenbetreuung und Förderkurse. An Letzteren nehmen aber erst 28 Prozent der Grundschüler an Ganztagsschulen teil.

Generell wird an den Grundschulen zu wenig gegen Leseschwäche getan. Bei der Grundschulstudie Iglu (2006) sagten 83 Prozent der Lehrer, Schüler mit Leseschwierigkeiten bekämen keine zusätzliche Förderung in der Schule. Und 68 Prozent der befragten Eltern sagten, ihr Kind werde wegen seiner Schwierigkeiten beim Lesen auch außerhalb der Schule nicht gefördert. Offenbar haben die Schulen gar kein Kontingent dafür. Auch weil sie die für die Leseförderung vorgesehenen Lehrerstunden als Vertretungsreserve benutzen müssen.

LEHRERFORTBILDUNG

Um neue, bessere Methoden anzuwenden, müssen sich die Lehrer fortbilden. Doch der Bildungsbericht stellt fest, dass viele Lehrer in den letzten fünf Jahren „keine Fortbildung zu zentralen Fragen der Unterrichtsgestaltung“ gemacht haben. So gaben rund 40 Prozent an, in den letzten fünf Jahren keine Fortbildung zum Unterricht mit „leistungsheterogenen Gruppen“ gemacht zu haben, rund 40 Prozent hatten in dieser Zeit keine Fortbildung zu „Leseverständnis und -strategien“ gemacht. Und über 60 Prozent haben an keiner Fortbildung zum „Aufstellen von individuellen Förderplänen“ teilgenommen. Dabei haben die Pisa-Ergebnisse gezeigt, dass es in den Schulen an individueller Förderung mangelt.

Viele Lehrer würden sich wohl gerne fortbilden. Aber es fehlt an Angeboten. Und Experten bezweifeln, ob ein isolierter Kurs, den ein engagierter Pädagoge belegt, die Unterrichtsqualität nachhaltig beeinflussen kann. Arbeiten Lehrer im Team langfristig auf ein gemeinsames Ziel hin, tut sich in der Schule mehr.

Dass die drei Programme, die die Kultusministerkonferenz zur Lehrerfortbildung im Lesen gestartet hat, viel bringen, wird in der GEW bezweifelt. „Udikom“, das besonders die diagnostischen Fähigkeiten der Lehrer schulen soll, bietet „Studienbriefe“ zum Selbststudium und soll auch in Lehrerseminaren eingesetzt werden. Doch welche Verbreitung das Programm findet, wird in jedem einzelnen Bundesland entschieden, kritisiert die GEW. Ein weiteres von der KMK initiiertes Programm heißt „form.art“. Für vier Unterrichtsgebiete, darunter für Deutsch, hat eine Expertengruppe zwischen 2007 und 2009 „Konzepte und Materialien“ entwickelt, die bei der „standardbasierten Unterrichtsentwicklung“ helfen sollen. Ob ein Lehrer das Buch mit „Stehsammler“ kauft und dann gemeinsam mit Kollegen studiert, ist seine Sache.

Schlechte Zensuren von der GEW bekommt das KMK-Programm „Pro Lesen – Auf dem Weg zur Leseschule“ unter bayerischer Federführung. Die GEW sieht darin nicht mehr als eine Materialsammlung mit Literaturhinweisen und Links zu über 150 Projekten aus den Bundesländern. Wieder ist unklar, was davon in den Schulen ankommt. So hängt bei der Lehrerfortbildung viel von Eigeninitiative ab.

FAZIT

Nach Pisa sind vielversprechende Reformen gestartet worden. Ihr Potenzial muss aber noch viel besser gehoben werden – das steht schon vor dem Erscheinen von Pisa 2009 fest.

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