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Bis zum Hals in Fragen. Die Doktorarbeit von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen steht unter Plagiatsverdacht.

© dpa

Plagiatsaffäre: Ursula von der Leyens kurzer Draht zu ihrer Uni

Die Familie Leyen pflegt enge Verbindungen zur Medizinischen Hochschule Hannover. Ist die Uni in der Plagiatsaffäre also befangen? Ein Sprecher weist das zurück.

Den Verdacht der Befangenheit weist die Medizinische Hochschule Hannover (MHH) im Fall ihrer wohl prominentesten Absolventin von sich. Man werde die Doktorarbeit von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen neutral und gewissenhaft prüfen, versichert die Uni-Klinik. Weder das enge Netzwerk der CDU-Politikerin noch die intensive Zusammenarbeit ihres Mannes mit der MHH könnten das Ergebnis der „förmlichen Untersuchung“ durch die Kommission für Gute Wissenschaftliche Praxis (GWP) in irgendeiner Form beeinflussen, sagte MHH-Sprecher Stefan Zorn dem Tagesspiegel.

Leyens Ehemann ist Professor an der MHH

Zuvor waren Zweifel an der Neutralität des Gremiums aufgekommen, das die Hochschulleitung am Montag mit der Hauptprüfung beauftragt hatte. Ehemann Heiko von der Leyen lehrt seit 2001 als außerplanmäßiger, also nicht festangestellter Professor für innere Medizin an der MHH. Zudem ist er Geschäftsführer der 2005 von der Hochschule und der Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft Hannover Impuls gegründeten Hannover Clinical Trial Center GmbH (HTCT). Das Unternehmen hilft Pharmafirmen beim Abwickeln von Arzneimittelstudien.

Einen Interessenkonflikt sieht die Uniklinik darin nicht. „Herr von der Leyen war zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der MHH in das GWP-Verfahren eingebunden“, teilte Sprecher Zorn mit. „Als externes Mitglied des Lehrkörpers hat er keinerlei Wahlrechte und ist nicht in die Mitarbeit der akademischen Gremien eingebunden.“

Ministerin hat Alumniverein gegründet

Ähnlich argumentiert die Hochschule bei der Ministerin selbst. Ursula von der Leyen ist Gründungsmitglied des Ehemaligen-Vereins MHH-Alumni e. V. Auch der Vorsitzende der fünfköpfigen GWP-Kommission taucht in der Mitgliederliste auf. Aber weder die zu Überprüfende noch ihr Überprüfer seien im Vorstand oder in den Gremien des Vereins aktiv, betont die MHH. Beide seien lediglich einfache Mitglieder; dieser Umstand werde sich nicht auf die Überprüfung der Dissertation der CDU-Politikerin auswirken.

„Wenn beide Mitglieder vom Fußballverein Hannover 96 wären, könnte man der Ministerin doch auch keinen Strick daraus drehen“, stöhnte ein Uni-Angehöriger. Die Neutralität des Kontrollgremiums sieht der Wissenschaftler nicht in Gefahr – im Gegenteil: „Die gucken jetzt doch supergenau hin.“ Aus dem niedersächsischen Wissenschaftsministerium heißt es unterdessen: „Um jeden diesbezüglichen Verdacht auszuräumen, hat sich die MHH zudem entschieden, externe Wissenschaftler in die Prüfung mit einzubeziehen.“

Schmähmails an die Uni

Wegen der Plagiatsaffäre sieht sich die Uni einer Flut von Schmähmails ausgesetzt. Die Mehrheit giftet gegen von der Leyen; andere fordern dagegen, die Ministerin in Ruhe zu lassen. „Egal wie wir entscheiden, das fliegt uns um die Ohren“, schwant es einem Verantwortlichen. Intern ist man schon froh, dass die MHH „keinen einzigen Cent“ vom Verteidigungsministerium erhalten habe. So wischt die Hochschule denn auch Bedenken wegen der Vernetzung der Ministerin zur Förderstiftung der MHH weg.

Das Gremium, das Spenden einwerben soll, habe keinerlei Entscheidungsbefugnis. Schließlich verweist die Hochschule darauf, dass sie das Verfahren gar nicht abgeben könne, selbst wenn sie wolle: Doktorarbeiten müssten dort überprüft werden, wo sie auch geschrieben worden seien.

Die Plagiatsvorwürfe gegen Leyen wurden von der Internetplattform VroniplagWiki erhoben (hier die Dokumentation zur Leyen-Arbeit). Leyen ist nicht die einzige Medizinerin, bei der die Plagiatssucher einen dringenden Verdacht sehen. Auf der Plattform sind insgesamt 85 verdächtige Medizinerarbeiten dokumentiert (hier die gesamte Übersicht). Hat die Medizin also ein besonderes Plagiatsproblem, wie Kritiker sagen?

Die Medizin und die Plagiate

Josef Pfeilschifter, Dekan der Unimedizin in Frankfurt am Main und Präsidiumsmitglied des Medizinischen Fakultätentags, weist diesen Vorwurf zurück. Setze man die Zahl der verdächtigen Arbeit ins Verhältnis zur Gesamtzahl der Dissertationen, stehe die Medizin „nicht anders da als andere Fächer“ – in der Medizin werde eben häufiger promoviert als anderswo. Mit einem vermeintlich laxeren Umgang mit Zitierregeln in ihrem Fach dürften sich unter Plagiatsverdacht stehende Mediziner aber keinesfalls herausreden: „Für wissenschaftliche Arbeiten gelten in allen Fächer dieselben strengen Regeln, auch in der Medizin.“

VroniplagWiki dokumentiert auch 33 Fälle an der Charité

Allein 33 der auf VroniplagWiki aufgeführten Fälle stammen aus der Berliner Charité: 19 medizinische und acht zahnmedizinische Doktorarbeiten sowie sechs medizinische Habilitationen. Zu allen beanstandeten Arbeiten hat die Charité Prüfungen durchgeführt, sagt Volker Bähr von der Geschäftsstelle Gute Wissenschaftliche Praxis der Charité: „Die Dokumentationen von VroniPlag haben sich bisher alle als richtig erwiesen."

In zwei Fällen hat die Charité den Doktortitel bereits entzogen. Viele andere Verfahren laufen noch. Weil diese in mehreren Schritten durchgeführt werden, die Charité eigene Recherchen anstrengt und die Beschuldigten wiederholt Stellung nehmen können, könnten die Verfahren durchaus ein Jahr lang dauern. Die Detailanalyse sei manchmal mühsam: In einigen Fällen konnte gar nicht geklärt werden, wer eigentlich von wem abgeschrieben hat.

Leyen hat eine klinisch-experimentelle Arbeit verfasst, viele Plagiate finden sich laut VroniplagWiki in ihrem Einleitungsteil, der ins Thema einführt. Zu dem Fall Leyen äußert sich Bähr nicht, er kenne die Arbeit auch gar nicht. Er vertraue da auf die „kompetente und faire Arbeit“ der Kollegen in Hannover, die die Arbeit überprüfen. Prinzipiell seien Plagiate im Einleitungsteil aber genauso relevant wie Fälschungen bei den Daten der Arbeit: „Wissenschaft lebt davon, dass sie nachprüfbar ist.“ Wer seine Einleitung ins Thema einfach abschreibe, laufe ohnehin Gefahr, gar nicht auf dem aktuellen Stand der Forschung zu sein: „Womöglich arbeitet man dann unter Voraussetzungen, die eigentlich schon überholt sind.“

Die Mediziner setzen auf strukturierte Programme

Nun hat selbst der Wissenschaftsrat die oft niedrige Qualität von medizinischen Doktorarbeiten kritisiert: Zu kurz, zu oberflächlich seien diese. Dieses Problem bestehe durchaus, gibt auch Josef Pfeilschifter zu. Doch hier verändere sich durchaus etwas. Er verweist auf seine Fakultät in Frankfurt, wo inzwischen die Hälfte der Doktoranden in strukturierten Programmen promoviere.

Das setze nicht nur Promotionsvereinbarungen mit dem Doktorvater oder der Doktormutter voraus, sondern auch längere Vorbereitungskurse. Während ihrer Promotion würden Doktoranden ein Jahr frei gestellt und mit einem Stipendium bezahlt: „Die sollen sich ganz auf ihre Arbeit fokussieren.“ So wollen die Frankfurter verhindern, dass Doktorarbeiten quasi „im Vorübergehen“ geschrieben werden.

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