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POSITION: Großer Schritt zurück

Zögerliche Geowissenschaftler bremsen die Klimapolitik – ausgerechnet vor Kopenhagen

Was die Chefs großer deutscher Geoinstitute in der vergangenen Woche in Berlin präsentierten, erinnerte an die Klimadiskussion vor zehn Jahren. Es schien, als hätten wir einen großen Schritt zurück gemacht. Die Tagung „Klima im System Erde – Antworten und Fragen aus den Geowissenschaften“ lieferte nämlich kaum Antworten, dafür umso mehr Fragen sowie heftige Kritik an der politischen Fokussierung auf die Reduktion des Kohlendioxid(CO2)-Ausstoßes. So warf Reinhard Hüttl vom Geoforschungszentrum Potsdam den Klimaforschern mehr oder weniger deutlich Alarmismus vor, jedoch ohne klare Belege dafür zu bringen.

Viele Zusammenhänge im Klimageschehen seien noch nicht wissenschaftlich verstanden, natürliche Faktoren müssten stärker berücksichtigt werden, hieß es auf der Konferenz, die auch von der Alfred-Wegener-Stiftung Bremerhaven und der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt/Main unterstützt wurde. Den Zuhörern wurden Plattentektonik, Landhebungen nach der Eiszeit, kosmische Strahlung, ja selbst das Erdmagnetfeld als klimarelevant dargestellt. Nur: Über die zugehörigen Zeitskalen und Größenordnungen sowie deren Relevanz für die aktuelle Klimaänderung erfuhr man kaum etwas.

Immer wieder wurde die Binsenweisheit betont, dass CO2 nicht das wichtigste Treibhausgas sei (das ist Wasserdampf), oder dass heutige Klimamodelle nicht das Treibhausklima vor 50 Millionen Jahren abbilden könnten. Die Computerprogramme unterschätzen nämlich den gigantischen Wärmeumsatz in Treibhauszeiten, was im Übrigen alles andere als eine beruhigende Nachricht ist. Und, noch eine Binsenweisheit, das Klima habe sich immer schon geändert. Das lernt jeder Geowissenschaftler im ersten Semester.

Nicht erwähnt wurde das Wesentliche: Das von uns emittierte CO2 sammelt sich im Unterschied zu anderen Treibhausgasen über Tausende von Jahren in der Atmosphäre, wobei es schon jetzt alle Werte seit mindestens einer Million Jahre übersteigt. Damit ist die CO2-Zunahme Haupttreiber der ablaufenden Erwärmung. Unsere Hochkultur, die auf Landwirtschaft, Arbeitsteilung und verletzbaren Infrastrukturen beruht, ist auf ein stabiles Klima angewiesen. Bisher hatten wir Glück: In den letzten 5000 Jahren hat das Klima global (nicht regional) nur um wenige Zehntel Grad pro 100 Jahre geschwankt. Nur das 20. Jahrhundert, mit seiner Erwärmung um 0,8 Grad, bildet hier eine Ausnahme.

Dem Planeten Erde war es egal, dass es beispielsweise vor drei Millionen Jahren um etwa drei Grad Celsius wärmer war und der Meeresspiegel 25 bis 35 Meter höher lag. Für unsere Zivilisation hätte heute schon ein Meter Anstieg schlimme Folgen. Das Ziel, die Erderwärmung bis 2100 auf höchstens zwei Grad zu begrenzen, ist eine wissenschaftlich überaus vernünftige Obergrenze. Sie verringert das Risiko großer, nicht mehr beherrschbarer Klimaveränderungen. Nur eine solche Begrenzung der Erwärmung macht die in der Konferenz stark propagierte technologische Anpassung an Klimaveränderungen überhaupt sinnvoll.

Mehr Forschung zu Klimaentwicklung und technischen Gegenmaßnahmen wie Hochwasserschutz, Aufforstungen oder dem Versenken von CO2 im Untergrund zu fordern, das ist ebenso alt wie notwendig. Aber wenn diese missverständlich formulierte Forderung direkt vor der Kopenhagener Klimakonferenz dafür verwendet werden sollte, um das Zwei-Grad-Ziel infrage zu stellen und wissenschaftlich begründetes Handeln jetzt hinauszuzögern, wäre dies ein Bärendienst der Geowissenschaftler nicht nur für sie selbst, sondern für die ganze Gesellschaft.

Reinhold Leinfelder ist Geowissenschaftler, Direktor des Berliner Naturkundemuseums und Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen.

Reinhold Leinfelder

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