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POSITION: Schwere Geburt

Die Gesetzentwürfe zur PID werden den Paaren bislang zu wenig gerecht

Mit der Präimplantationsdiagnostik, PID, ist es möglich, nach einer künstlichen Befruchtung bestimmte Erbkrankheiten bei einem Embryo zu erkennen, bevor er in die Gebärmutter eingepflanzt wird. Die PID verstößt nicht gegen das Embryonenschutzgesetz, hat der Bundesgerichtshof im Juli 2010 festgestellt. Damit wurde eine gesetzliche Neuregelung der PID erforderlich. Inzwischen liegen drei Gesetzentwürfe vor, die die PID in Zukunft regulieren sollen. Was taugen sie?

Der weitestgehende ist derjenige des kompletten Verbotes, welches von Mitgliedern aus verschiedenen Fraktionen gefordert wird. Der Gesetzentwurf von Johannes Singhammer (CDU), Ulla Schmidt (SPD), Andrea Nahles (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Die Grünen) argumentiert damit, dass eine Zulassung bei bestimmten Indikationen zur Ausweitung der Anwendung führt, die man nicht mehr kontrollieren könne. Nun ist aber nach 20 Jahren Anwendung im internationalen Vergleich genau das Gegenteil der Fall. England berichtet über 214 Behandlungen im Jahre 2008, was gerade einmal 0,42 Prozent aller künstlichen Befruchtungen entspricht. In Frankreich sind es 320 Fälle. Die internationale Erfahrung widerlegt also diese Befürchtungen.

Zudem behaupten die Verbotsbefürworter, dass zwischen dem Verbot der PID und der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruches kein „Wertungswiderspruch“ besteht. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch aus medizinischen Gründen nur möglich, wenn eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Mutter besteht, die nur durch Abbruch abgewendet werden kann.

Eine vergleichbare Voraussetzung liegt aber bei einer Frau vor, wenn sie Erfahrungen aufgrund von Totgeburten oder schweren Behinderungen ihres Kindes hat. Genau aus diesen Gründen kann sie dann nicht genug Kraft aufbringen, um ein weiteres Kind mit der gleichen schwerwiegenden Behinderung großzuziehen. Auf der Ebene der Frau ist es also ein Wertungswiderspruch, wenn man der Auffassung ist, dass sie zunächst die erneute Erfahrung einer „Schwangerschaft auf Probe“ braucht.

Eine deutliche Alternative hierzu ist der Antrag der Abgeordneten Ulrike Flach (FDP), Peter Hintze (CDU) und Carola Reimann (SPD). Sie legen einen Entwurf vor, der die PID bei einer „hohen Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit“ erlaubt. Er betont die Freiheitsrechte der Frau und zu Recht den hohen Bedarf an ärztlicher und psychosozialer Beratung. Die PID soll aber nur durchgeführt werden nach dem positiven Votum einer Ethikkommission.

Das klingt zunächst einmal logisch, da die Ethikkommission wesentliche Gesichtspunkte erörtern kann. Die Frage ist aber, ob die Entscheidungsfindung bei einer Ethikkommission richtig aufgehoben ist. Was ist, wenn die Ethikkommission nein sagt? Da wir in einem Rechtsstaat leben, muss es Wege geben, dass die betroffene Frau dieses ablehnende Votum überprüfen lassen kann. Zugleich ist zu fragen, ob eine Ethikkommission derartig weitreichende Einschränkungen von Freiheitsrechten treffen darf. Bei einem wesentlich schwerwiegenderen Konflikt, etwa beim späten Schwangerschaftsabbruch, muss kein Votum einer Kommission eingefordert werden, damit ein solcher Abbruch durchgeführt werden kann – obwohl ein Schwangerschaftsabbruch sowohl medizinisch, psychisch sowie ethisch einen wesentlich schwerwiegenderen Konflikt darstellt als die Frage, ob man einen Embryo am Tag vier seines Lebens im Stadium eines Zellhaufens auf bestimmte Erkrankungen untersuchen darf oder nicht.

Die dritte Alternative, die sich selbst als „Mittelweg“ bezeichnet – René Röspel (SPD), Priska Hinz (Grüne), Patrick Meinhardt (FDP), Norbert Lammert (CDU) – will eine deutlich stärkere Eingrenzung. Eine PID soll nur erfolgen, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Schädigung des Embryos, des Fötus oder des Kindes vorliegt, die Tot-, Fehlgeburt oder Tod innerhalb des ersten Lebensjahres zur Folge hat.

Nun können aber selbst Humangenetiker keine klare Auskunft dazu geben, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine bestimmte Störung des Erbgutes auch zur Fehlgeburt oder zum Tod innerhalb des ersten Lebensjahres führt oder ob das Kind länger überlebt. Es gibt Störungen der Chromosomenzahl (zum Beispiel Trisomie 13), bei der in seltenen Fällen die Kinder lange überleben können. Und was ist mit Erkrankungen, die möglicherweise erst im vierten oder fünften Lebensjahr zum Tode führen? Was ist die ethische Begründung dafür, dass auf diese Erkrankungen nicht untersucht werden darf, wenn die Frau aus ihrer eigenen Erfahrung mit dem bisher geborenen Kind deutlich machen kann, dass ihr das Austragen eines weiteren Kindes mit der Erkrankung nicht zugemutet werden kann?

Allerdings sieht der „Mittelweg“ vor, das Embryonenschutzgesetz zu ändern. Es dürfen nämlich nach diesem Vorschlag so viele Eizellen befruchtet werden, die erforderlich sind, um nicht betroffene Embryonen zu übertragen. Das Embryonenschutzgesetz schreibt bisher vor, dass nur drei Embryonen entstehen dürfen. Damit wäre die PID kaum möglich, denn man braucht etwa sieben Embryonen, um ein bis zwei gesunde Embryonen zu übertragen. Würde man also der strengen Auslegung des Embryonenschutzgesetzes folgen, so könnte man die PID zwar theoretisch, aber nicht praktisch durchführen. Dieser wichtige Aspekt fehlt im liberalen Entwurf von Flach, Hintze und Reimann.

Fazit: Die jetzigen Entwürfe werden den Bedürfnissen der Betroffenen – wir sprechen von 200-300 Paaren pro Jahr – nur teilweise gerecht und würden dazu führen, dass diese Paare wahrscheinlich weiter ins Ausland gehen müssten, um eine Untersuchung zu erhalten, die ihrer eigenen Konfliktlage gerecht wird.

Der Autor ist Chefarzt der Frauenklinik an den DRK-Kliniken Berlin-Westend und Leiter des Fertility Center Berlin.

Heribert Kentenich

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