zum Hauptinhalt
Rote Schätze. Die „Saatgutbanker“ wollen verschiedene Tomatensorten erhalten. Foto: dapd

© dapd

Wissen: Privatanleger

Spanische Bauern gründen ihre eigene Saatgutbank.

Der Bauer Toni Sureda fädelt Tomaten auf eine Schnur. Die fertigen Tomatenketten hängt er an die Decke seines Dachbodens, denn so halten sich die „Ramallet-Tomaten“, die schon seit Jahrhunderten auf Mallorca heimisch sind, fast ein ganzes Jahr. Im Januar pult der Bauer die Samen aus den Tomaten und legt sie zum Trocknen auf ein Stück Papier. „Dieses Saatgut geht auf Tomaten zurück, die schon meine Großeltern kultivierten“, erzählt der 85-Jährige. Immer häufiger kommen junge Gärtner und Bauern vorbei, denn bei ihm finden sie, wonach sie in Pflanzencentern und Gärtnereien vergebens suchen: traditionelles Saatgut.

Der alte Sureda ist dem neuen Saatgut aus den Pflanzencentern gegenüber durchaus aufgeschlossen und kauft es selbst. „Sie bringen einen höheren Ertrag als meine“, sagt der Bauer. Es sind „hybride Samen“, eigens zur Ertragssteigerung gezüchtet. Die hybriden Tomaten sehen besser aus als die traditionellen, sie sind gleichmäßig rund und schön rot. Und sie gedeihen auch im Winter im Gewächshaus, dank Dünger und Pflanzenschutzmittel, während traditionelle Tomatensorten am besten unter freiem Himmel wachsen, was auf Mallorca von Januar bis Oktober möglich ist. Das traditionelle Saatgut haben Bauern über Generationen hinweg selektiert, wodurch sie widerstandsfähige Sorten erhielten, die an die Lebensbedingungen des Ortes, an dem sie wachsen, optimal angepasst sind. Ein weiterer Unterschied: Hybrides Saatgut ist unfruchtbar, die Bauern müssen jedes Jahr neue Samen kaufen. Traditionelle Sorten hingegen sind fruchtbar, die Bauern können sie selbst vermehren.

Aus diesen Gründen sind zunehmend alte Sorten gefragt. Eigentlich kein Problem, denn es gibt Saatgutbanken. Die größte befindet sich auf Spitzbergen in Norwegen; 4,5 Millionen Saatgutproben werden dort gelagert. Die wichtigste Körnerbank Deutschlands befindet sich in Gatersleben, Spaniens staatliche Saatgutbank ist in Madrid. Die Depots werden aufwendig klimatisiert und gegen äußere Einflüsse geschützt, selbst Naturkatastrophen und Kriegen sollen sie standhalten.

Doch für Bauern und Hobbygärtner ist es mitunter schwer, an Samen zu kommen. Norwegens Saatgutgewölbe öffnet seine Kammern nur bei Anfrage eines Landes, die Saatgutbank in Madrid ist nur Forschern zugänglich, wohingegen in Gatersleben Samen online bestellt werden können. Eine Anleitung zu Aussaat und Pflege wird jedoch nicht mitgeschickt.

Um die Vielfalt der alten Sorten dennoch weltweit am Leben zu halten, werden Vereine gegründet, die ihre eigenen Saatgutbanken schaffen. Daran arbeitet beispielsweise Aina Socies vom mallorquinischen Verein für lokale Pflanzensorten. Die 30-jährige Umweltwissenschaftlerin ist meist auf ihrer Heimatinsel Mallorca unterwegs. Heute hält sie in einem Dorf im Inselinnern einen Vortrag. Die Bewohner lebten bis vor ein paar Jahrzehnten fast ausschließlich von der Landwirtschaft, während die jungen Leute heute meist im Tourismus arbeiten.

Socies’ Zuhörer sind Landwirte in hohem Alter, auch Bauer Sureda ist dabei. Sie macht ihnen bewusst, welche Schätze ihre Gärten bergen: Pflanzen, die aus traditionellem Saatgut wachsen. Die Forscherin versucht, neue Mitstreiter zu gewinnen. Ihr Ziel ist eine Saatgutbank, die aus vielen kleinen Filialen besteht. Das funktioniert so: Alle teilnehmenden Bauern werden mit ihrem Wohnort in eine Liste eingetragen, in der nachzulesen ist, welche Pflanzen sie seit Generationen kultivieren. 120 solcher Filialen gibt es mittlerweile. „Viele Landwirte, die eine bestimmte Kulturpflanze suchten, sind bei uns fündig geworden“, erzählt Socies.

Toni Sureda konnte sie ebenfalls gewinnen. Sein Dachboden ist ein typischer Saatgutspeicher für traditionelle Sorten. Dort oben herrschen Bedingungen, die der Keimung entgegenwirken, es ist beispielsweise sehr trocken. Auf dem Boden unter den Tomatenketten lagern in einer Ecke Pfirsichkerne und ein Häuflein Kerne von einer Melonensorte, die es wohl in keinem Supermarkt mehr zu kaufen gibt. Vielleicht sprießen daraus schon im nächsten Jahr wieder neue Pflanzen. Stephanie Eichler

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false