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Überraschung. Nicht jede Mimik wird überall gleich „gelesen“, sagen Forscher.

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Psychologie: Das zweite Gesicht

Gefühle wie Furcht, Ekel oder Wut rufen nicht bei allen Menschen die gleiche Mimik hervor.

Die Tochter eines Richters steht wegen Mordes vor Gericht, ein Kompaniechef soll eine Soldatin vergewaltigt haben, ein Feuerwehrmann hat angeblich bei einem Einsatz seinen Kollegen im Stich gelassen – Cal Lightman wird zu den komplizierten Fällen gerufen. Auch geschickte Lügner entlarvt er anhand kleinster Muskelbewegungen im Gesicht. Keiner kann sie verbergen, denn sie werden nicht von unserem Willen gesteuert.

Hinter der Fernsehfigur aus der Serie „Lie to me“ steht ein angesehener Wissenschaftler: Paul Ekman. Der emeritierte Professor für Psychologie an der Universität von Kalifornien in San Francisco gilt als Experte für nonverbale Kommunikation. Seit etwa 40 Jahren erforscht er, wie Gefühle entstehen, wie sie sich äußern, und wie man sie bei anderen erkennen kann. Ekmans Methoden werden vom US-Geheimdienst CIA und der Bundespolizei FBI genauso genutzt wie von den Einreisebehörden. Vor allem jedoch ist er bekannt für die Kategorisierung von sechs universellen Gesichtsausdrücken für Freude, Überraschung, Ekel, Wut, Furcht und Traurigkeit. Seiner Ansicht nach zeigen und verstehen sie alle Menschen unabhängig von Kultur und Sprache. Dabei hat er einen prominenten Unterstützer: Bereits Charles Darwin war davon überzeugt, dass es nicht nur universelle Emotionen gibt, sondern auch allgemeingültige Gesichtsausdrücke, die diese Gefühle widerspiegeln.

Rachael Jack und ihre Kollegen von der Universität Glasgow zweifeln das nun in der Fachzeitschrift „PNAS“ an. Aus dem möglichen Zusammenspiel der Gesichtsmuskeln generierten sie mit einem Computerprogramm jeweils 180 Gesichtsausdrücke von asiatisch und westlich aussehenden Menschen. In einem Test bekamen 15 Asiaten und 15 Europäer jeweils 4 800 solcher Animationen vorgespielt, die sie entweder keiner Kategorie oder den sechs universellen Emotionen zuordnen sollten. Zusätzlich fragten die Forscher ihre Probanden, wie intensiv der dargestellte Mensch das jeweilige Gefühl erlebt. Die Glasgower Psychologen interessierte nicht die Reaktion auf standardisierte Fotos, wie sie Ekman in seinen Studien verwendet hat. Vielmehr wollten sie wissen, wie sich die Probanden aufgrund ihrer Erfahrungen Gesichtsausdrücke vorstellen, die mit starken Gefühlen einhergehen. Die Ergebnisse fassten sie in sechs Gruppen von Abbildungen zusammen.

Bei den Europäern stimmte die Gruppierung der computergenerierten Abbildungen erstaunlich genau mit Ekmans sechs Fotos überein. Für jeden der Gesichtsausdrücke wurden ganz bestimmte Muskelgruppen benutzt. Anders jedoch bei den Asiaten: Sie erkannten anhand der vom Computer simulierten Gesichter nur Freude und Traurigkeit eindeutig. Überraschung, Furcht, Ekel und Wut dagegen waren sich gegenseitig überlappende Kategorien. Möglicherweise spielten andere Emotionen wie Schuld, Scham und Stolz in asiatischen Kulturen für das Minenspiel eine ähnlich wichtige Rolle wie die sechs universellen Emotionen, vermuten die Forscher. Außerdem achteten Asiaten eher auf die Augen als auf den Mund, denn die Bewegung der Augenregion lässt sich weniger gut kontrollieren und verrät daher mitunter auch denjenigen, der seine Gefühle gar nicht zeigen will. Westliche Probanden schauten eher auf andere Teile des Gesichts.

Gefühle und Befindlichkeiten lösen ein komplexes, angeborenes Verhaltensmuster aus, zu dem nicht nur die Mimik, sondern auch Körpersprache, Stimmlage und Gesten gehören, sowie die Tatsache, ob ein Mensch Augenkontakt hält oder nicht, betont Gunter Senft vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen, der an der Studie nicht beteiligt war. „Unterschiedliche Teile dieses Verhaltensmusters können je nach Kultur unterschiedlich stark von sozialen Konventionen überlagert sein“, sagt er.

Senft legte zehn Trobriand-Insulanern von Papua-Neuguinea Ekmans Fotos vor. Die Insulaner haben zwar ein umfangreiches Vokabular für Emotionen. Die Fotos jedoch sagten ihnen wenig. Nur Freude konnten sie eindeutig einem Foto zuordnen. Überraschung interpretierten sie mitunter als Furcht, Furcht als Ärger, Ekel als Glück. „Die Zuordnung war teilweise reiner Zufall. Ein eingefrorener Gesichtsausdruck auf einem Foto reicht einfach für eine Bewertung nicht aus“, sagt Senft. Noch deutlicher werde das bei den Rossel-Insulanern von Neu-Guinea, die kein kohärentes Vokabular zum Benennen von Gefühlen haben. Dafür nutzen sie die Körpersprache. Ein Naserümpfen heißt für sie, dass das Gegenüber sehr erstaunt ist. Ekmans Foto für Ekel kann in diesem Zusammenhang nur für Verwirrung sorgen. „Für viele Kulturen ist seine Art der Erhebung nicht adäquat“, sagt Senft. „Da kann ich den Glasgower Forschern nur zustimmen.“

Cal Lightman aus „Lie to me“ dürfte solchen Problemen nicht begegnen. Schließlich spielen seine Fälle in den USA.

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