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Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Mueums der Staatlichen Museen zu Berlin, vor den Repliken den Torlöwen von Sam‘al / Zincirli aus dem 10. und 8. Jahrhundert vor unserer Zeit. Der Fundort liegt in der Nähe von Nevali Çori.

© Rolf Brockschmidt

Schlüsselfunde der Berliner Archäologie: Ein Stück Steinzeit-Kunst aus Vorderasien

Ein großer Kopf und der Ansatz eines Körpers: Eine zehntausend Jahre alte Figur aus Kalkstein fand die Direktorin des Vorderasiatischen Museums Barbara Helwing auf einer Grabung in der Türkei.

„Man findet etwas, das 10.000 Jahre lang verborgen war. Ein menschliches Gesicht schaut mich an. Das ist sehr berührend“, erzählt Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums (VAM) der Staatlichen Museen zu Berlin. Helwing war Studentin der Vorderasiatischen Archäologie an der Universität Heidelberg und seit 1989 in Harald Hauptmanns Grabungsteam in Nevali Çori in einem Seitental des Euphrats im Südosten der Türkei (Provinz Urfa). Es war damals ein Wettlauf gegen die Zeit, denn der Bau des Atatürk-Staudamms sollte diese Stätte, an der bereits 1979 Steingeräte gefunden worden waren, überfluten.

„Wir wussten, dass durch die kommende Überflutung nichts erhalten bleiben würde und haben deshalb eine große Fläche freigelegt“, erinnert sie sich. Die Archäologen fanden eine Siedlung mit Häusern und einem zweiphasigen Sondergebäude, das zum Teil in den Hang eingegraben war. Entlang der Außenwände verliefen Steinbänke, der Boden bestand aus wasserdichtem Terrazzo.

Dieser Kopf aus Kalkstein stammt aus der älteren Phase und war in der jüngeren Mauer verbaut. Man wollte ihn offensichtlich nicht einfach wegwerfen, sondern im Gebäude bewahren. „Wir haben ihn nur gefunden, weil wir angesichts des steigenden Wasserspiegels das ganze Gebäude Stein für Stein abgetragen haben, um es später im Museum von Urfa wieder komplett aufzubauen – das dauerte dann nochmal 20 Jahre“, erzählt Helwing.

Den Fund machte Helwing 1989 in Nevali Çori, er stammt aus der vorkeramischen Steinzeit.

© Barbara Helwing

Den Ort Nevali Çori datierten die Archäologen in eine Zeit, als sich im Südosten der Türkei vor 10 000 Jahren Ackerbau und Viehzucht herausbildeten und damit die Sesshaftigkeit begann. „Und plötzlich beginnen die Menschen, sich künstlerisch auszudrücken. Sie verankern sich aktiv an einem Ort und meißeln ihre Erinnerungen in Stein. Die Menschen sehen plötzlich ihren Platz in der Welt und stellen ihn dar“, sagt Helwing noch heute bewegt.

Figurative Plastik aus jener Zeit war damals völlig unbekannt. Man kannte bereits Wohnsiedlungen, aber das Sondergebäude war eine Neuentdeckung. In seiner Mitte stand eine rechteckige hohe Stele. Ihr abgebrochenes Kopfteil wurde später oben auf dem Hügel gefunden. Wahrscheinlich waren diese T-förmigen „Kapitelle“ Träger von Deckenbalken, die längst eingestürzt waren. 1992 wurde Nevali Çori dann überflutet.

Anschließend suchte Klaus Schmidt, Mitarbeiter im Nevali Çori Projekt, ähnliche Orte aus der vorkeramischen Steinzeit und fand 1995 Göbekli Tepe, heute Weltkulturerbe der Unesco. Göbekli Tepe ist älter als Nevali Çori, aber die Funde von Göbekli ähneln denen von Nevali Çori. „Ohne die Kenntnis von Nevali Çori hätte man die Bedeutung von Göbekli Tepe gar nicht erkennen können“, sagt Helwing. Ihr Kopf war ein Fund mit großer Wirkung. Inzwischen pilgern täglich tausend Besucher nach Göbekli Tepe, das noch immer vom Deutschen Archäologischen Institut in Zusammenarbeit mit türkischen Archäolog:innen ausgegraben wird.

Insgesamt gibt es heute zwölf Fundorte, von denen fünf von internationalen Teams ausgegraben werden. „Ich habe mich sehr über die Einladung der türkischen Kollegen gefreut, an mit einer Grabung in Gürcü Tepe an diesem interdisziplinären Regionalprojekt mitzuwirken“, sagt Helwing. Im Herbst 2022 fand die erste Grabung mit dem Museum von Urfa und der Universität von Izmir an diesem Ort statt, der Funde vom Ende der kultischen Blütezeit verspricht.

Helwing hofft auf eine Zusammenarbeit des VAM mit dem Museum von Urfa um eventuell Funde zu teilen oder die Erlaubnis zur bekommen, Repliken herzustellen. Die Berliner Sammlung beginnt mit der frühen Uruk-Zeit im vierten Jahrtausend, die Direktorin sähe aber auch gern „die frühe Zeit aus Urfa in die Neuaufstellung unsere Dauerausstellung im Pergamonmuseum“ aufgenommen. So findet vielleicht der Kopf aus Nevali Çori, den sie 1989 als Studentin mit gefunden hat, einmal als Replik in das Vorderasiatische Museum und erweitert mit einem Schlag die Sammlung um weitere 4000 Jahre.

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