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Schülerstudium

© - Foto: Thilo Rückeis

Schülerstudium: Schule schwänzen für die Uni

Als Schüler im Labor: Wer neben dem Unterricht Seminare besucht, kann Punkte fürs Studium sammeln

Seit zwei Jahren fehlt Lisa Laeber immer wieder im Unterricht. Doch ihre Lehrer stört das nicht – im Gegenteil: „Die sind begeistert“, sagt die 19-Jährige. Denn wenn die Gymnasiastin in der Schule fehlt, ist sie an der Uni: als Schülerstudentin. Seit dem Wintersemester 2006/07 bietet die Technische Universität Berlin Studiermöglichkeiten für Schüler an. „Studieren ab 16“ heißt das Projekt, an dem bislang rund 230 Schüler aus 75 Schulen in Berlin und Brandenburg teilgenommen haben. Die Schüler besuchen dabei reguläre Lehrveranstaltungen. Und wer will, kann Leistungsnachweise erbringen, die im späteren Studium an der TU anerkannt werden.

„Das ist kein Studium light“, sagt Claudia Cifire von der Allgemeinen Studienberatung der TU. Geeignet sei das Schülerstudium für jene, die noch Kapazitäten frei hätten – die „Nahrung für ihre graue Zellen“ suchten. Die Teilnehmer müssen mit einer Doppelbelastung zurechtkommen: Die Lehrveranstaltungen finden oft zeitgleich mit dem Schulunterricht statt. Den verpassten Stoff müssen die Schüler in Eigenregie nachholen. Besonders gute Noten braucht man nicht zum Schülerstudium, was zählt, ist das Interesse. Außerdem müssen Eltern und Schulleitung zustimmen. Entscheidend ist, ob sie dem Jugendlichen zutrauen, den schweren Stoff neben der Schule zu bewältigen.

Ihr Rektor habe anfangs skeptisch reagiert, erinnert sich Lisa Laeber. Doch inzwischen ist die Schülerin des Charlottenburger Heinz-Berggruen-Gymnasiums schon im fünften Semester ihres Schülerstudiums. Ihre schulischen Leistungen blieben gut. Und andere Schüler folgten ihrem Beispiel, wenngleich einige nicht bis zum Ende des Semesters dabei blieben.

Kurse in Chemie, Biochemie und Mathematik hat Laeber inzwischen besucht. Nicht ums Verkürzen des späteren Studiums gehe es ihr, sondern darum, „in den Unialltag hineinzuschnuppern“. Inzwischen weiß sie zumindest, was sie nicht studieren will – nämlich Chemie: „Zu viel tote Materie.“ Biochemie könne sie sich vorstellen, das Schülerstudium habe ihr die Orientierung insofern erleichtert.

Dies entspricht auch dem Ziel der TU, Studienabbrüche aufgrund falscher Erwartungen zu verringern: „Ein Abbruch ist eine Verschwendung von Ressourcen – für die Betroffenen und für die Hochschule“, sagt Studienberaterin Cifire. Das Schülerstudium biete die Möglichkeit, einen Eindruck „unter echten Bedingungen“ zu erhalten. Gelinge es gleichzeitig, exzellenten Nachwuchs zu werben, sei dies für die Uni umso erfreulicher. Beispielsweise berichtet der Physiker Heinz-Detlef Kronfeldt von einer 15-Jährigen, die mit Note 1,3 viele Physikstudenten hinter sich ließ. „Das sind hoch motivierte Leute“, sagt Kronfeldt.

Hauptmotiv zur Teilnahme ist laut Cifire für viele Schüler der „schiere Wissensdurst“ – besonders dann, wenn sie der Schulunterricht nicht auslastet. Lukas Mielke hingegen sagt, er sei „nicht der beste Schüler“. Fürs Schülerstudium meldete sich der 17-Jährige an, um seinem Berufswunsch näher zu kommen: Der Schüler der Rudolf-Steiner-Waldorfschule in Zehlendorf strebt ein eigenes Unternehmen an. Daher war es für ihn naheliegend, sich für „Grundlagen des Managements“ anzumelden und auch die Klausur mitzuschreiben: „Wenn ich das Studium dadurch verkürzen kann, kommt mir das entgegen.“

Das Engagement der Schülerstudenten kommt auch bei den Dozenten gut an: Ulrich Krystek, Professor für Strategisches Controlling, erinnert sich an ein Gespräch nach einer Vorlesung, bei dem zwei Schüler fachkundige Fragen gestellt hatten. Entsprechend würden sie auch nicht als „Küken“ behandelt, sondern von Dozenten wie von Studierenden ernst genommen und akzeptiert.

Diese Erfahrung machen auch die Schüler selbst: „Man fällt nicht auf, sondern wird wie ein normaler Student behandelt“, sagt Bangin Brim, der die zwölfte Jahrgangsstufe des Lessing-Gymnasiums in Mitte besucht und verschiedene Fächer ausprobieren will. Auch Lisa Laeber kam schnell in guten Kontakt zu Studenten, besonders im Rahmen eines Laborpraktikums. Dass daran Schüler teilnehmen durften, sorgte allerdings für Unmut bei jenen Studierenden, die sich angemeldet hatten, als bereits alle Plätze verteilt waren.

Bei 3000 Studienanfängern fielen die Schüler nicht ins Gewicht, meint Claudia Cifire. Im Wintersemester seien es 45 gewesen. Deshalb bestehe auch über das empfohlene Programm hinaus die Möglichkeit zur Teilnahme an Lehrveranstaltungen, sofern der jeweilige Dozent nichts dagegen habe. Bei knappen Ressourcen hätten jedoch eingeschriebene Studierende Vorrang.

An Schulen kommt das Angebot der TU gut an: Michael Wüstenberg, Leiter des Lessing-Gymnasiums, begrüßt die Möglichkeit, „Begabung und Hochleistung frühzeitig zu fördern“. Es sei jedoch nicht so, dass seine Lehrer durch die Abwesenheit der Schüler weniger Arbeit hätten – im Gegenteil: „Es erfordert eine intensivere Betreuung.“

Auch an anderen Berliner Unis können Schüler studieren. An der Freien Universität gibt es die Schülergasthörerschaft im Bereich der Naturwissenschaften, bei der nach Absprache mit den Dozenten auch Leistungsscheine fürs spätere Studium erworben werden können. Auch hier steht aber die „Studienorientierung“ im Vordergrund. Erfahrungsgemäß schaffe aufgrund der hohen Anforderungen nur ein kleiner Teil der Schüler den „Schein“, so Sven-Philipp Glomme vom FU-Weiterbildungszentrum.

Daneben gibt es an der FU Sommerkurse im Fach Informatik, bei denen Klausurleistungen aufs Studium angerechnet werden können. An der Humboldt-Universität vermitteln die Schülergesellschaften in den Fächern Mathematik, Chemie und Biophysik bei speziellen Veranstaltungen für Schüler einen ersten Eindruck vom wissenschaftlichen Arbeiten. Absolventen der Spezialklassen der vier Berliner mathematischen Netzwerkschulen (Andreas-Oberschule, Heinrich- Hertz-Oberschule, Herder-Oberschule, Georg-Foster-Oberschule) können zudem ihre Studienzeit dadurch verkürzen, dass sie bei ausreichender Punktzahl zwei Leistungsnachweise zusammen mit dem Abitur erhalten.

Weitere Informationen im Internet:
www.tu-berlin.de/?id=11251
www.fu-berlin.de/weiterbildung/news/schuelergast.html
http://pro.inf.fu-berlin.de/
www.hu-berlin.de/schueler/

Günter Bartsch

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