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Neil Harbisson bezeichnet sich als ersten staatlichen Cyborg - er kann über eine spezielle Elektronik Farben hören - statt sehen.

© dpa

Science oder Fiction: Die Sehnsucht des Replikanten

"Vorhof der Völker": Gläubige und Säkulare diskutierten in Berlin über die Zukunft des optimierten Menschen.

Wie schön wäre es, ein Mensch zu sein. Im Film „Blade Runner“ ist der Replikant Roy Batty, verkörpert von Rutger Hauer, von dieser Sehnsucht erfüllt. Aber die Hoffnung der blonden, blauäugigen Bestie aus dem Labor eines Biotech-Multis wird nicht wahr. In einer ergreifenden Szene gegen Ende des Films lässt der sterbende Batty, dessen Hand von einem Nagel durchbohrt ist, eine weiße Taube in den Himmel aufsteigen. Im Tod verschwimmt die Grenze zwischen dem Homunculus und Jesus, zwischen dem menschgemachten und dem göttlichen Geschöpf.

Der Kulturwissenschaftler Thomas Macho von der Berliner Humboldt-Universität erinnerte an den Science-Fiction-Klassiker, weil er eine Art Kontrapunkt, eine „umgekehrte Geschichte“ zu den seit der Antike kursierenden Fantasien vom Übermenschen verkörpert. „Die Helden der Science Fiction ziehen Leben und Liebe der Technik vor“, sagte Macho bei einer Podiumsdiskussion in der Berliner Charité am gestrigen Mittwoch im Rahmen der von der katholischen Kirche ausgerichteten Reihe „Vorhof der Völker“. Sie soll Gläubige, Atheisten und Agnostiker zu einem Dialog anregen.

Diskutiert wurde unter dem Motto „Siehe, der Mensch!“ über die Versuche, den Menschen biotechnisch zu verbessern oder gar zu überwinden, wie es der Transhumanismus sich vorgenommen hat. Zu Beginn erinnerte der Kurienkardinal und vatikanische „Kulturminister“ Gianfranco Ravasi an den langen Schatten, den die unselige Idee der Eugenik vom Beginn des 20. Jahrhunderts noch immer in die Gegenwart wirft. Zu den Hauptkritikern genetischer Optimierung zählt heute der Software-Unternehmer Bill Joy, der vor einer „apokalyptischen Selbstauslöschung der Gattung Mensch“ warnt. Den Wissenschaftlern riet Kardinal Ravasi, sich zu beschränken.

Das meiste ist Zukunftsmusik

Aber wie realistisch sind die Fantasien vom per „Anthropotechnik“ optimierten neuen Menschen? Bislang ist das meiste Zukunftsmusik, sagte die Bioethikerin Bettina Schöne-Seifert von der Uni Münster. Gezielte Eingriffe in die Keimbahn und damit dauerhafte Veränderungen des Genpools seien nicht machbar. Unter Collegestudenten kursierende „Klugheitspillen“ hätten allenfalls die Wirkung von zwei bis drei Tassen Kaffee. Weil die Natur so kompliziert sei, empfehle sich eine „Heuristik der Vorsicht“, sagte die Medizinerin, auch wenn die Abgrenzung zwischen Verbessern und Therapieren schwierig sei. Ein Hörgerät mildere ein häufiges Problem des Alterns. Aber was, wenn die ganz normale Vergesslichkeit bald per Pille kuriert werden kann?

Für den Theologen Ulrich Lüke von der RWTH Aachen sind Hörgeräte und Herzschrittmacher kein ethisches Problem. „Dahinter steht nicht der Prometheus, der Menschen nach seinem Bild erschafft – das ist eher der ,Protetheus’“ sagte Lüke. Er warnter vor der „Blauäugigkeit der Technokraten“ und sprach sich für klare Beschränkungen aus, etwa gegen Eingriffe in die Keimbahn.

Ob prometheischer neuer Mensch oder bloß mit Ersatzteilen ausgebesserter „Protetheus“, dieser Unterschied sei nicht so einfach vorherzusagen, konterte der Philosoph Volker Gerhardt von der Humboldt-Uni. „Wir gehen in eine ungewisse Zukunft“, sagte Gerhardt und fügte hinzu, dass man zwar vorsichtig, aber nicht furchtsam sein dürfe. „Wir müssen Mut haben, voranzugehen.“ Zuvor hatte er aus dem 2. Korintherbrief zitiert: „Wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

Damit entsprach Gerhardt nicht nur dem Leitmotiv der Veranstaltung, „Freiheitserfahrungen mit und ohne Gott“, sondern rückte auch das freie Individuum, gläubig oder nicht, in den Mittelpunkt. In der bioethischen Debatte müsse der Einzelne und sein Gewissen selbst entscheiden, was aus seiner Sicht vernünftig ist, und nicht andere für ihn – auch nicht die Kirche.

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