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Wissen: Sehnsucht nach Querdenkern Nobel-Tagung plant Quotefür „junge Einsteins“

Als Student an der TU Braunschweig durfte der heutige Starphysiker Klaus von Klitzing nicht zum Treffen der Nobelpreisträger in Lindau. Seine Universität schlug ihn nicht vor, er hatte sich noch nicht als Überflieger zu erkennen gegeben.

Als Student an der TU Braunschweig durfte der heutige Starphysiker Klaus von Klitzing nicht zum Treffen der Nobelpreisträger in Lindau. Seine Universität schlug ihn nicht vor, er hatte sich noch nicht als Überflieger zu erkennen gegeben. Inzwischen ist der 67-Jährige Stammgast der Tagungen. Das Auswahlverfahren umging er, in dem er 1985 den Nobelpreis gewann.

Heute stünden die Chancen des Studenten von Klitzing wohl noch schlechter: In den vergangenen zehn Jahren verschärften die Organisatoren die Auswahl der Bewerber immer weiter. Aus über 20 000 Interessenten siebten sie diesmal jene 675 jungen Leute aus, die noch bis Freitag in Lindau mit den Preisträgern plaudern dürfen. Wolfgang Schürer, Vorsitzender der Stiftung Lindau, bemüht gerne die Elite-Rhetorik von den Forscherstars von heute und morgen. Jetzt aber ist ihm klar geworden, dass der Auslese nicht nur die Unfähigen, sondern auch die Ungewöhnlichen zum Opfer fallen. Dabei lebt die Tagung von jungen Leuten, die freche Fragen stellen. Schürer will erstmals 2011 „junge Querdenker integrieren“, 30 Plätze bekommen sie – außer Konkurrenz. Der Titel des Programms: „Young Einstein Project“.

„Bei ihnen soll es nicht nur um Publikationen und gute Noten gehen“, sagt Schürer. „Sie sollen kreativ sein, ungewöhnlich und Themen gegen den Strich bürsten.“ Wer nach Lindau will, muss bislang zu den besten zehn Prozent seines Jahrgangs zählen, empfohlen werden und erste Spuren im etablierten Forschungsbetrieb hinterlassen haben.

Dabei zeigt die Teilnehmerliste der Tagung, dass Gutachter und Auswahlkommissionen die besten Köpfe oft jahrelang ignorierten. Zu Gast ist in diesem Jahr etwa Nobelpreisträger Harald zur Hausen vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. Er war mit seiner Idee der krebsauslösenden Virusinfektion ein halbes Leben Außenseiter. Ähnlich erging es der israelischen Nobel-Biologin Ada E. Yonath. Sie entschlüsselte über Jahrzehnte eine Molekülstruktur, obwohl ihre Kollegen die Aussichten auf Erfolg als gering eingeschätzten.

Die Sehnsucht nach Quertreibern wächst nicht nur in Lindau: Das antragsfixierte Wissenschaftssystem hat den Trend zum Mainstream forciert. Wie in Lindau sollen neue Programme diese Nebenwirkung mildern: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert ungewisse Forschung mit eignen Projekten. Baden-Württemberg schuf einen Fördertopf für Risikoprojekte. Universitäten haben ähnliche Probleme, wenn sie Studienplätze nur nach der Abi-Note vergeben. Die sagt zwar den Studienerfolg meist gut voraus – nicht aber, ob die Studenten später im Job brillieren.

Schürer und andere Querdenker-Fans müssen nun noch geeignete Kandidaten finden. Das bundesweite Studentensurvey der Universität Konstanz legt nahe, dass dies schwer werden könnte. Ein Studium gelte heute „nicht mehr als Phase der Ausprobierens“, ergab das repräsentative Psychogramm der Studierenden. Es herrsche eher Angst vor Misserfolg als Hoffnung auf Erfolg. Mit seiner solchen Grundstimmung ließen sich schwerlich Initiativen entwickeln oder Neuerungen angehen. Frank van Bebber

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