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Weltweit werden jedes Jahr fast 13 Millionen Babys zu früh geboren.

© picture alliance/dpa/Jens Büttner

Sterberisiko von Frühchen: Wieso man die Nabelschnur erst später abklemmen sollte

Der Wechsel vom Mutterleib hinein in die Welt ist für Babys eine echte Herausforderung. Für die Lunge und den Kreislauf von Frühchen ist der Schritt noch einmal schwieriger. Ein paar Minuten könnten ihre Chancen verbessern.

Von Annett Stein, dpa

Frühgeborene haben ein deutlich geringeres Sterberisiko, wenn die Nabelschnur erst 30 oder mehr Sekunden nach der Geburt abgeklemmt wird. Das zeigen die Ergebnisse zweier im Fachjournal „Lancet“ vorgestellter Studien. Ein Abwarten von zwei oder mehr Minuten bis zum Abklemmen ist demnach mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit das Verfahren der Wahl, um bei Frühgeborenen den Tod kurz nach der Geburt zu verhindern.

„Weltweit werden jedes Jahr fast 13 Millionen Babys zu früh geboren, und leider sterben fast eine Million kurz nach der Geburt“, sagte Studienleiterin Anna Lene Seidler von der University of Sydney. Die neuen Ergebnisse zeigten, dass das Abwarten beim Abklemmen und Durchtrennen der Nabelschnur das Leben zumindest eines Teils dieser Babys retten könne.

Die Ergebnisse werden wahrscheinlich in die Entwicklung von klinischen Leitlinien und Behandlungsempfehlungen einfließen.

Stephen Wood, University of Calgary 

Bei regulär geborenen Babys sei es inzwischen längst Routine, die Nabelschnur erst nach ein bis zwei Minuten abzuklemmen, erläutert das Forschungsteam um Seidler. Für Frühgeborene sei bisher unsicher gewesen, ob dies von Vorteil sei. International gebe es verschiedene Empfehlungen zum Vorgehen.

In Deutschland steht bisher keine konkrete Zeitvorgabe in den Leitlinien, wie Richard Berger, Sektionssprecher Frühgeburt bei der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) erklärte. Gängiges Vorgehen sei aber bereits, mindestens eine Minute abzuwarten. In vielen Perinatalzentren gebe es einen speziellen, Birth Trolley genannten fahrbaren Tisch mit Reanimationseinheit und Wärmelampe, der die unmittelbare Versorgung von Frühgeborenen noch vor dem Abnabeln ermögliche.

Den Babys noch einige Minuten Zeit zu geben, schaffe einen sanfteren Übergang und vermindere unter anderem die Rate an Hirnblutungen und erforderlichen Bluttransfusionen, sagte Berger, Chefarzt der Frauenklinik am Marienhaus Klinikum Bendorf–Neuwied–Waldbreitbach.

Wird die Nabelschnur nicht sofort abgeklemmt und durchtrennt, fließt weiter Blut von der Plazenta zum Baby, während sich die Lunge des Babys mit Luft füllt, wie das Forschungsteam um Seidler erläutert. Dies erleichtere wahrscheinlich den Übergang zur Atmung und verringere möglicherweise das Risiko eines Eisenmangels beim Säugling.

Zwei Metaanalyse

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten in ihre Metaanalyse die Ergebnisse aus 21 vorhergehenden Studien einbezogen, die Daten zu insgesamt 3292 Frühgeburten (geboren nach weniger als 37 Schwangerschaftswochen) enthielten. Rund zwei Drittel der Kinder (61 Prozent) kamen per Kaiserschnitt auf die Welt.

Der Auswertung zufolge sterben Frühgeborene, deren Nabelschnur 30 Sekunden oder länger nach der Geburt abgeklemmt wird, seltener vor Verlassen des Krankenhauses als solche, bei denen das sofort nach der Geburt geschieht. Von den Säuglingen mit späterer Abnabelung starben 6,0 Prozent vor Verlassen des Krankenhauses, von den Babys mit sofort durchtrennter Nabelschnur 8,2 Prozent.

Eine zweite, begleitende Metaanalyse von 47 Studien mit 6094 Babys berücksichtigte drei verschiedene Zeiträume: eine Abnabelung nach 15 bis 45 Sekunden, nach 45 bis 120 Sekunden und nach 120 oder mehr Sekunden. Die Daten lassen dem Team um Seidler zufolge darauf schließen, dass ein Abwarten von mindestens zwei Minuten vor dem Abklemmen das Sterberisiko im Vergleich zu einer kürzeren Wartezeit noch deutlicher verringern kann.

Frühchen müssen warm bleiben

„Bis vor kurzem war es gängige Praxis, die Nabelschnur bei Frühgeborenen sofort nach der Geburt abzuklemmen, damit sie problemlos getrocknet, gewickelt und gegebenenfalls wiederbelebt werden konnten“, erläuterte Mitautor Sol Libesman von der University of Sydney. Dieses Vorgehen sei aber offensichtlich nicht gerechtfertigt. Stattdessen sei ein Aufschub um mindestens zwei Minuten höchstwahrscheinlich die beste Strategie.

Es sei sinnvoll, in Kliniken ein Prozedere dafür auszuarbeiten, eine solche Spanne zu gewährleisten und das Baby in dieser Zeit dennoch warm und gut versorgt zu halten. „Unsere Ergebnisse unterstreichen, dass bei Frühgeborenen, bei denen das Abklemmen der Nabelschnur aufgeschoben wird, besonders darauf geachtet werden sollte, dass sie warm bleiben“, erklärte Hauptautorin Lisa Askie von der University of Sydney. Das Baby könne dafür mit intakter Nabelschnur abgetrocknet, eingewickelt und auf die nackte Brust der Mutter unter eine Decke gelegt werden. Alternativ könne ein Wärmewagen direkt am Bett zum Einsatz kommen.

In einem Kommentar zur Studie lobt Stephen Wood von der University of Calgary die Durchführung der Datenanalysen. Es handle sich um sehr sorgfältig durchgeführte Meta-Analysen basierend auf validen, streng geprüften Datensätzen. „Diese Ergebnisse werden wahrscheinlich in die Entwicklung von klinischen Leitlinien und Behandlungsempfehlungen einfließen“, so Wood, der selbst nicht an der Analyse beteiligt war.

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