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Evolutionstheorie: Stimmt nicht! Wo Darwin irrte

2009 war sein Jahr. Aber wie jeder Wissenschaftler lag auch Charles Darwin nicht immer richtig - seine drei größten Fehler

1. ERWORBENE EIGENSCHAFTEN

WERDEN VERERBT

Darwins größter Faux-pas war es wohl, an eine Vererbung erworbener Eigenschaften zu glauben, wie sie der französische Zoologe Jean-Baptiste de Lamarck vorgeschlagen hatte. Ausgerechnet Darwin war Lamarckist! In Schulbüchern werden die beiden gerne gegenübergestellt, um Darwins Neuerung zu illustrieren. In Wirklichkeit übernahm er aber einiges von seinem Vorgänger. Das Problem: Darwin sah zwar, dass es zwischen den Individuen einer Art stets kleine Unterschiede gibt, aber ihm war nicht klar, wie sie zustande kommen. Wie auch. Gene waren noch nicht bekannt, Mutationen erst recht nicht. Nach Darwins Tod dauerte es noch mehr als 70 Jahre, bis James Watson und Francis Crick die Struktur der DNS entschlüsselten und das Zeitalter der Genetik einläuteten.

In seiner Not berief sich Darwin daher auch auf äußere Kräfte. So dachte er zum Beispiel, dass Individuen, die bestimmte Organe stärker nutzen, Nachkommen haben, bei denen diese Organe stärker ausgeprägt sind. Das Lamarcksche Bild einer Giraffe also. Die hat einen langen Hals, weil sie sich immer nach den Baumkronen streckt. „Darwin beruft sich in seinen Werken immer wieder auf Lamarck, bis hin zu solchen Bemerkungen, dass der Dorfschmied sehr muskulöse Kinder habe und der Dorfpfarrer eher blasse, schmächtige“, sagt der Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera. Heute würde man mit solchen Annahmen keine Biologieklausur mehr bestehen.

2. DER BAUM DES LEBENS

Irgendwann im Juli 1837 nahm Darwin seinen roten Notizblock zur Hand, schlug eine neue Seite auf und schrieb: „Ich denke.“ Darunter zeichnete er mit dünnen Strichen das Diagramm eines Baums, der sich verzweigt, die erste Darstellung des „Baums des Lebens“. Viele Wissenschaftler glauben inzwischen, dass das Konzept ausgesorgt hat. Denn es beruht auf der Annahme, dass Vererbung immer nur vertikal stattfindet, Merkmale also von den Eltern an ihre Kinder weitergegeben werden. Aber die Evolution ist nicht so ordentlich wie Darwin dachte. Inzwischen wissen wir, dass genetisches Material sehr häufig auch horizontal weitergegeben wird, also von dem Individuum einer Art auf ein Individuum einer anderen Art übertragen wird.

Bei Bakterien ist diese „seitliche Vererbung“ schon lange bekannt und scheinbar gang und gäbe. So tauschen Krankheitserreger besonders gerne Resistenzgene aus, weshalb gerade in Krankenhäusern immer mehr Bakterien vorkommen, die gegen zahlreiche Antibiotika resistent sind. Aber auch bei höheren Tieren findet man Gene, die von anderen Arten in das Genom aufgenommen wurden. So haben Wissenschaftler herausgefunden, dass im Genom der Fruchtfliege das gesamte Genom eines Bakteriums namens Wolbachia enthalten ist. Und auch beim Menschen findet sich fremde DNS: Das Gen Syncitin etwa, das am Aufbau der Plazenta beteiligt ist. Studien deuten daraufhin, dass die Bauanleitung für dieses Protein vor 25 bis 40 Millionen Jahren von einem Virus in das Genom unserer Vorfahren eingeschleust wurde. Manche Forscher nehmen an, dass die Hälfte unseres Genoms von Viren stammt.

Hinzu kommt, dass zwei Arten zu einer verschmelzen können. Rund 14 Prozent aller Pflanzenarten sind auf diese Art und Weise entstanden, schätzt Loren Rieseberg von der Uni Vancouver. Dieses wilde Treiben macht es schwierig, eine Art als Nachfahre einer anderen zu bezeichnen, denn ein Teil des Genoms kann von einer Art abstammen, während andere Gene von einer zweiten oder dritten Art beigesteuert wurden. Als Baum lässt sich die Evolution also kaum noch darstellen, höchstens als dichtes Netz.

3. VON WEM DER HUND ABSTAMMT

Auch in einigen Detailfragen hat Darwin nicht recht behalten. So war er überzeugt, dass der Hund von Fuchs, Wolf und Kojote abstamme. Heute wissen wir, dass er nur vom Wolf abstammt. Umgekehrt war es beim Haushuhn. Hier war Darwin überzeugt, den alleinigen Vorfahren erkannt zu haben: eine bestimmte Kammhuhnart, die vor etwa 5000 Jahren in Asien domestiziert wurde. Inzwischen ist klar, dass es zwei verschiedene Arten waren, die zur Genetik des Haushuhns beigetragen haben.

Bedenkt man, was zu Darwins Zeit alles noch unbekannt war, so ist es umso beeindruckender, mit wie vielen Dingen er recht behalten hat. Denn Darwins Welt war eine andere als unsere. Beispiel Kontinentaldrift: Zu Darwins Zeit wusste man noch nicht, dass die Kontinente sich bewegen. Die Idee wurde erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts allgemein akzeptiert. Um die Fossilienfunde auf verschiedenen Kontinenten zu einer sinnvollen Geschichte des Lebens zusammenzusetzen, ist sie aber enorm wichtig.

Auch Viren waren noch nicht entdeckt, Bakterien noch nicht als Krankheitserreger entlarvt. Lebewesen, das waren vor allem Pflanzen und Tiere. Heute wissen wir, dass ein Großteil allen Lebens auf der Erde einzellig ist. Pflanzen und Tiere machen weniger als 20 Prozent der Biomasse auf unserem Planten aus.

Dem Respekt vor Darwin müssen seine Fehler also keinen Abbruch tun. „Darwin hat das Wissen seiner Zeit brillant beherrscht“, sagt auch Kutschera. Ihm vorzuwerfen, dass er bestimmte Dinge nicht wusste, sei so, als würde man Mozart vorwerfen, keine spätromantischen Sonaten komponiert zu haben.

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