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„Höchste Leistungen zu Ehren der SED“. Immatrikulationsfeier an der Universität Leipzig im Jahr 1975. Einige Fächer wie die Pädagogik waren ideologisch besonders belastet – während die Naturwissenschaften vermeintlich neutral waren. Foto: dpa

© picture-alliance / Zentralbild

Streit um HU-Präsident: Honeckers langer Schatten

Der neue HU-Präsident Jan-Hendrik Olbertz und die DDR: Ist jemand, der seine Karriere einer marxistisch-leninistischen Propagandaschrift verdankt, geeignet für das Spitzenamt an einer der traditionsreichsten deutschen Universitäten?

Von Matthias Schlegel

Darf jemand, der seine wissenschaftliche Karriere zu DDR-Zeiten einer Dissertation und Habilitation im Stile einer marxistisch-leninistischen Propagandaschrift verdankt, Präsident einer der traditionsreichsten deutschen Universitäten sein? Um diese Frage und um die Person Jan-Hendrik Olbertz ist ein Streit entbrannt, der das Amt und seinen neuen Inhaber schon zu beschädigen scheint, noch ehe er sich darin eingerichtet hat.

Dabei scheiden sich die Geister schon an der Eingangsfeststellung: Ist eine in der DDR entstandene Habilitationsschrift, die von der Begrifflichkeit der SED-Propaganda durchzogen ist, per se ein Beleg für die Überzeugung des Autors? Nein, sagt Olbertz. Und nötigt dem Betrachter sogar das gegenteilige Argument auf: Gerade weil er sich in der DDR der Mitgliedschaft in der SED verweigert habe, sei er quasi gezwungen gewesen, sich als besonders linientreu auszuweisen, um die angestrebte Promotion beziehungsweise Habilitation zu erreichen.

Das freilich wirft neue Fragen auf: Ist jemand, der um seiner Karriere (in einem angeblich von ihm abgelehnten System) willen sich über Jahre hinweg selbst verleugnete, charakterlich geeignet für ein heutiges Spitzenamt in Ausbildung und Wissenschaft? Schließlich musste der Bewerber für eine Laufbahn im pädagogischen Hochsicherheitstrakt der Margot Honecker von vornherein wissen, dass von ihm Ergebenheit in Sachen kommunistischer Überzeugung und ideologische Belastbarkeit verlangt würden. Olbertz war geschmeidig genug, diesem Anspruch zu folgen. Stünde einer wie Olbertz womöglich heute in besserem Licht da, hätte er irgendwann Anfang der 90er Jahre gesagt: Ja, ich habe diesem System vertraut und daran geglaubt – ich habe mich geirrt? Schlägt das Recht auf Irrtum heute womöglich moralisch günstiger zu Buche als das Bekenntnis einstiger Doppelzüngigkeit?

Der Theologe Richard Schröder wirft Olbertz vor, er hätte sich auch ein anderes Thema als ein solch ideologiebefrachtetes für seine akademische Graduierung suchen können. Olbertz bestreitet das – und hat vermutlich damit recht: Wer sich zu DDR-Zeiten einmal für dieses Fachgebiet und dessen höhere akademische Weihen entschied, ließ sich damit auch auf die extreme Einengung seines wissenschaftlichen Horizonts ein (genau andersherum nämlich als Olbertz in seiner damaligen Habilitation schrieb: dass nur der bestehende Sozialismus „reale Freiheit“ der Wissenschaft garantiere). Nun, Olbertz hätte wohl von vornherein, wie Tausende andere, ein anderes Fach, etwa ein naturwissenschaftliches, wählen können, um aufzusteigen und gleichzeitig der Doppelzüngigkeit hinreichend zu entgehen. Allerdings fühlte er sich zum Pädagogen und Erziehungswissenschaftler berufen, und dass man irgendwann sein fachliches Werk aus gänzlich anderer Perspektive beurteilen würde, überstieg im Jahr 1989 wohl seine Vorstellungskraft.

Längst hat Olbertz Evaluierungen, Ehrenkommissionen und Stasi-Überprüfungen als Hochschullehrer überstanden, er ist 2002 ohne jegliche Einwände Kultusminister in Magdeburg geworden, er hat in Berlin eine Findungskommission überzeugt und das Publikum in Vorstellungsrunden für sich gewonnen. Haben diejenigen, die sich mit dem Bewerber befassten, nicht genau genug hingeschaut? Oder hat sich trotz Kenntnis der früheren Rolle und des wissenschaftlichen Wirkens von Olbertz niemand daran gestoßen?

Am Anfang standen die Evaluierungen der DDR-Hochschulen. „Eine postkommunistische politische Säuberung hat es allen Legenden zum Trotz nicht gegeben“, sagte der Zeitgeschichtler Manfred Görtemaker in den 90er Jahren vor der Enquete-Kommission „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur“. Nur etwa zehn Prozent der Entlassungen an ostdeutschen Universitäten seien auf politisch-moralische Belastungen zurückzuführen gewesen. Sicher, da gab es die SED-Parteisekretäre, die Dozenten für Marxismus-Leninismus, die IM... Linientreue Positionen in Diplom- oder Promotionsarbeiten zählten nicht zu den Evaluierungskriterien. An Olbertz’ Eignung gab es nie Zweifel. Auch später nicht, als er in das Kabinett Wolfgang Böhmer aufrückte. Der Ministerpräsident will sich zu dieser Personalie heute nicht äußern.

Jan-Hendrik Olbertz.

© Mike Wolff

Der Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam, Martin Sabrow, hält es für „problematisch, einem im Gedankengebäude des Marxismus-Leninismus sozialisierten DDR-Wissenschaftler die Systemhörigkeit seines OEuvre vorzuhalten“. Dies lasse sich „nur in einer konkreten Abwägung von Handlungsspielräumen und Anpassungszwängen entscheiden“. Olbertz habe sich nach seinem Wissen „politisch nicht durch übergroße SED-Nähe kompromittiert, sondern entrichtet jetzt den Tribut des Wissenschaftlers, dem man anders als anderen Berufsgruppen seine schriftlich fixierten Worte dauerhaft vorhalten kann“. Wohl könne die Gesellschaft verlangen, dass ihre Amtsträger glaubhaft darlegen, warum sie seinerzeit anders schrieben, als sie dachten oder anders dachten, als sie schrieben. „Unabhängig davon frage ich mich allerdings, ob in den gegen Olbertz gerichteten Vorwürfen noch die Verhältnismäßigkeit gewahrt ist“, sagte Sabrow.

Die Robert-Havemann-Gesellschaft hingegen sieht „Diskussionsbedarf“. Denn es gehe nicht allein um die Schriften von Olbertz bis 1989, sondern auch um dessen Umgang seither damit. In der Tat hat sich Olbertz nie mit besonders kritischem Eifer an den Debatten über die DDR-Vergangenheit beteiligt. Als er in den 90er Jahren vor der Enquete-Kommission über „Erziehungswissenschaft im Transformationsprozess“ sprach, beklagte er, „in der Vorstellung der Wende als ,Stunde 0’“ lägen „die Wurzeln für einen verfehlten Transformationsbegriff, mit dem auf die Anforderungen der Systemerneuerung und Strukturreform selten mehr angeboten wird als ,Übernahmeofferten’ westlicher Modelle“.

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