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Fehlerhaft. Die „Reichen-Lernmethode“ schadet Risikoschülern, heißt es. Foto: dapd

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Streit um Lernmethode für Kinder: Schreiben nach Gehör

„Di kinda gen in den tso“ - wenn Schulanfänger in diesem Stil schreiben, dann lernen sie wahrscheinlich nach der Methode „Lesen durch Schreiben“. Eine Berliner Professorin fordert jetzt, die Methode zu verbieten: Sie überfordere Kinder.

Die Lernmethode hat der Schweizer Reformpädagoge Jürgen Reichen in den achtziger Jahren entwickelt, sie ist insbesondere in der alten Bundesrepublik populär geworden. Dabei bekommen die Kinder sogenannte Anlauttabellen an die Hand, auf denen jedem Laut ein Bild zugeordnet ist – beim „M“ sieht man etwa eine Maus. Mithilfe der Tabelle sollen die Kinder selbstständig die Beziehung zwischen Laut und Buchstabe erschließen und schnell in der Lage sein, Wörter und Sätze zu schreiben. Auf die richtige Schreibweise wird dabei nicht geachtet, und Erwachsene sollten Fehler nicht korrigieren.

Noch immer orientieren sich bundesweit viele Grundschulen an diesem Ansatz. Renate Valtin, Berliner Professorin für Grundschuldidaktik, würde die Methode am liebsten verbieten: „Sie ist ein Risiko, besonders für Kinder mit Migrationshintergrund und für Schüler aus bildungsfernen Milieus.“ Allein durch das Hören könne man die Schreibweise eines Wortes nicht erschließen, sagte Valtin. Die Methode würde viele Erstklässler überfordern. „Die Kinder müssen selbstständig das alphabetische Prinzip entdecken, für dessen Erfindung die Menschheit Tausende von Jahren gebraucht hat.“ Zudem würde das Lesenlernen vernachlässigt. Valtin bevorzugt die analytisch-synthetische Methode, wie sie etwa in Schulfibeln umgesetzt werde. Dabei wird von einem einfachen Wort, zum Beispiel „Oma“, ausgegangen, welches dann in Buchstaben, Silben und Laute zerlegt wird. Studien hätten gezeigt, dass Schüler, die nach der analytisch-synthetischen Methode lernen, bessere Rechtschreibleistungen zeigten, sagte Valtin.

Gerti Sinzinger, Leiterin der Kreuzberger Galilei-Grundschule, widerspricht. Die Reichen-Methode eigne sich besonders für Formen des offenen Unterrichts und des jahrgangsübergreifenden Lernens, weil auf die unterschiedlichen Wissensstände der Kinder differenziert eingegangen werden könne. „Gerade Schüler mit Migrationshintergrund lernen so leichter“, sagt Sinzinger. „Die Kinder werden da abgeholt, wo sie sind, und können über das schreiben, was sie beschäftigt.“ Insbesondere Türkisch eigne sich für den Ansatz, weil sich Lautung und Schriftbild weitgehend deckten. „Wenn die Kinder dann statt ,Mama’ lieber das türkische Wort ,anne’ schreiben, ist das auch in Ordnung.“

An vielen Berliner Schulen wird ohnehin nicht streng nach der Reichen-Theorie unterrichtet. Jede Schule entscheidet selbst, nach welcher Methode vorgegangen wird. „In der Reinform gibt es das bei uns nicht mehr“, sagt Uwe Jeske von der Stechlinsee-Grundschule in Friedenau. Anlauttabellen würden zwar als Ergänzung verwendet, daneben werde aber auch Buchstabe für Buchstabe nach dem Fibelprinzip gelehrt.

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