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Werden Studienberater zum "Restplatzmanager"?

© dpa

Wie Unis um Studierende werben: Studienberater als Kopfjäger

Viele Universitäten machen nur noch Marketing, statt Studierende sorgfältig zu beraten. Das ist verantwortungslos, sagt die Studienberaterin Karin Gavin-Kramer in einem Gastbeitrag.

Was soll professionelle Studienberatung an Hochschulen leisten? „Gute Beratung stellt die Ratsuchenden mit ihren Anliegen, Interessen, Kompetenzen und Potenzialen in den Mittelpunkt.“ Das besagen die Qualitätsstandards für gute Beratung des vom Bund unterstützten Nationalen Forums für Beratung in Bildung und Beruf und Beschäftigung aus dem Jahr 2014. Studienberater_innen haben daran mitgefeilt in der Überzeugung, dass gute Beratung den Ratsuchenden wie den Hochschulen nützt. Inzwischen sollen Zentrale Studienberatungsstellen (ZSB) aber zunehmend der Rekrutierung Studierender dienen.

Mehr Immatrikulationen im ersten Hochschulsemester, mehr Lehramtsstudierende mit Migrationshintergrund oder mehr Männer in der Grundschulpädagogik – dafür gab oder gibt es Kopfprämien vom Staat. Kein Wunder, dass Hochschulen mehr davon wollen und immer öfter die Marketingabteilung mit der Studienberatung kombinieren statt mit dem Pressereferat. Weil mit Marketing in diesem Fall Studierendenrekrutierung gemeint ist, hat die allgemeine Studienberatung auch die größte Expertise: Sie weiß rund ums Studium fachübergreifend besser Bescheid als jede andere Hochschulabteilung.

Unbesetzte Studienplätze bringen Abzüge

Es kommt also mehr Geld herein, wenn eine Hochschule die vielfältigen Steuerungswünsche von Bund und Land erfüllt. Dagegen bringen unbesetzte Studienplätze Abzüge und Ärger mit dem Abgeordnetenhaus, wo man nicht versteht, warum in Griechischer Philologie immer Plätze frei bleiben. Damit aber soll nun zumindest an der Freien Universität Berlin bald Schluss sein: Sie hat gerade Stellen für Marketingexperten ausgeschrieben, die eine bessere Auslastung weniger nachgefragter Studiengänge erreichen sollen.

Die Autorin: Karin Gavin-Kramer war viele Jahre lang allgemeine Studienberaterin an der Freien Universität Berlin, Mitglied der Gesellschaft für Information, Beratung und Therapie an Hochschulen und des Forum Européen de l'orientation académique.

© Hasan Akyol

Studienberater sind aber keine Kopfjäger. Dass viele fürchten, durch aufgezwungenes Marketing das Vertrauen ihrer Ratsuchenden zu verlieren, zeigt sich nicht nur im bitteren Humor interner Debatten über die Studienberatung als „Drückerkolonne“ oder „Restplatzmanager“. Ein Workshop auf der Studienberater-Fachtagung im Herbst 2016 wurde angekündigt mit Beispielaussagen wie „Wir müssen als Studienberatung neue Erstsemester akquirieren!“ – „Studiengang XY möchte nur die allerbesten Bewerber_innen, alle anderen sollen wir eigentlich gar nicht zur Bewerbung ermutigen!“ oder „Beratungsstelle XY wirft uns vor, ihre Klient_innen abzuwerben.“

Und es war nicht der einzige Workshop zum Problem der allgemeinen Studienberatung als Dienerin zweier Herren. So manche ZSB veröffentlicht inzwischen ihr Beratungsverständnis im Internet und betont dort, wie die ZSB der Hochschule Düsseldorf, außer ihrer Neutralität: „Unsere Beratung zielt zudem nicht darauf ab, für ein Studium oder die Fortsetzung eines Studiums an der Hochschule Düsseldorf zu werben.“

Marketinggläubigkeit ohne Verantwortung

Marketinggläubigkeit ohne Verantwortung für gute Studienorientierung ist in Berlin zu beobachten. Die Rektoren und Präsidenten schleifen sorg- und womöglich ahnungslos das letzte Kooperationsprojekt im Berlin-Brandenburger Bildungssektor. Ohne öffentliche Begründung hat die LKRP nun auch den letzten und ältesten Studienführer der Reihe „Studieren in Berlin und Brandenburg“ sterben lassen. Dabei besaß das beliebte Heft mit dem Titel „Von der Schule an die Hochschule“ mehr als ein Alleinstellungsmerkmal: Die Redaktion aus Berliner und Potsdamer Studienberatern achtete im Nutzerinteresse auch auf die Vergleichbarkeit der Studieninformationen. So waren alle Fächer Kategorien zugeordnet, was die Ausrichtung des Studienangebots oft erst verständlich machte.

Weil jede Hochschule für sich selbst werben will, soll es nun wohl eine Werbeagentur richten: ein paar moderne Flyer, möglichst für dasselbe Geld wie bisher. Studieninteressierte vermissen dafür einen verlässlichen Überblick, erfahrene Studienberater_innen eine wichtige Beratungsunterlage, und rund 300 Schulen in Berlin und Brandenburg warten erstmals seit über 20 Jahren vergeblich auf ihr Studienführerkontingent. Statt „Studieren in Berlin und Brandenburg" nur noch "Studier bei mir“?

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