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Befreites Lachen. Khulod Al Ibrahim studierte ohne Perspektive in Damaskus. Laith Rastanawi war schon in die Türkei geflüchtet. Beide setzten sich im Wettbewerb um 200 DAAD-Stipendien durch – und beginnen jetzt ihre Masterprogramme an der FU.

© Thilo Rückeis/Tsp

Syrische Stipendiaten an der Freien Universität: „Ich war Flüchtling, jetzt bin ich Student“

Laith Rastanawi war schon auf der Flucht, als er ein DAAD-Stipendium bekam. Khulod Al Ibrahim blieb bis zuletzt in Damaskus. Jetzt studieren beide Syrer an der Freien Universität Berlin.

Mit gesenktem Blick und tief in die Stirn gezogenem Kopftuch lief Khulod Al Ibrahim jeden Morgen zur Arbeit. „An einer großen Kreuzung musste ich an einem Scharfschützen vorbei“, sagt Khulod. Sie versuchte, die Angst zu verdrängen, denn an der Universität von Damaskus warteten ihre Englisch-Studenten. Gleichzeitig studierte die 24-Jährige selber für ihren Master in Literatur- und Kulturwissenschaften – unter schwierigsten Bedingungen. Die Literaturversorgung war miserabel, Online-Datenbanken nicht zugänglich – und Perspektiven bot das Studium schon gar nicht. Für Anglisten gibt es in Syrien kein Promotionsprogramm, die Regierungsstipendien fürs Ausland wurden schon 2012 gestrichen. Doch im Oktober 2014 erreicht Al Ibrahim eine Nachricht, die ihr Hoffnung macht: Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) schreibt Stipendien für syrische Studierende aus.

Er jobbte in einem Handy-Laden, unterrichtete Flüchtlingskinder

Laith Rastanawi ist schon auf der Flucht, als er von der Ausschreibung erfährt. In einem kleinen türkisch-syrischen Grenzort jobbt er in einem Handy-Laden, arbeitet ehrenamtlich als Mathematiklehrer an einer Flüchtlingsschule. Rastanawi stammt aus Hama, wo das Assad-Regime Rebellen bekämpft. An der Universität von Aleppo stand er am Beginn seines Masterstudiums, als die Kämpfe dort eskalierten. 2013 hatte der 25-Jährige gemeinsam mit seiner Frau das Land verlassen.

„In der Türkei war ich ein Flüchtling“, sagt Laith Rastanawi. „Jetzt bin ich wieder Student.“ Denn ebenso wie Khulod Al Ibrahim hat er sich im Wettbewerb um die vom Auswärtigen Amt finanzierten 200 DAAD-Stipendien durchgesetzt. Beide haben sich für die Freie Universität entschieden, sind vor wenigen Tagen in ihr erstes Berliner Semester gestartet.

Die Konkurrenz um die Stipendien war hart

Die Konkurrenz um die Stipendien war hart, gut 5000 Bewerber aus Syrien, umliegenden Staaten wie Jordanien und Ägypten, aber auch schon aus Deutschland haben sich beim DAAD gemeldet. 445 hatte die Organisation im März dieses Jahres zu Auswahlgesprächen eingeladen. Khulod wurde in Beirut von einem deutschen Professor und einem DAAD-Vertreter geprüft, Laith in Istanbul.

Gefragt haben die Prüfer nach bisherigen Studienschwerpunkten, nach Freizeitaktivitäten, nach ihren Karrierezielen, berichten sie. Keine Fragen zu Politik und Religion. „Nach den ersten Sätzen haben sie schon gesagt: ,Aber Sie sprechen ja Englisch wie eine Muttersprachlerin’“, berichtet Al Ibrahim. Auch Rastanawi erlebte das Gespräch als „smooth“. Seine Frau, die sich um ein Stipendium für einen Chemie-Master bewarb, wurde allerdings abgelehnt.

„Führungskräfte für Syrien“ will Deutschland mit dem Stipendien-Programm ausbilden, Akademiker, die nach dem Ende des Krieges zurückkehren und helfen, einen neuen Staat aufzubauen. Zu dem intensiven Deutschkurs, die die Geförderten an einem Marburger Institut absolviert haben, kommen Online-Seminare in „Good Governance“. Masterstudierende erhalten für zunächst zwei Jahre monatlich 750 Euro und eine Mietbeihilfe, die Kosten für die Krankenversicherung werden vom DAAD übernommen.

Die Dokumente für die Uni blieben unterwegs stecken

Einmal im Programm, war der Weg zum Studienplatz in Berlin keine große Hürde mehr – zumindest für Laith, bei dem der Austauschdienst von vornherein die Einschreibung im Mathematik-Master übernahm. Khulod sah sich im Juni schon scheitern, als sie zwar die Online-Bewerbung über die Service-Stelle Uni-Assist fristgemäß abschicken konnte, die Dokumente aber auf dem Postweg stecken blieben. „Ich bekam eine Mail von Uni-Assist, dass meine Bewerbung nicht an die FU weitergeleitet werden kann, das hat mir einen Riesenschock versetzt“, erinnert sich Al Ibrahim.

Doch die Uni reagierte schnell, zog das Verfahren an sich – und sie bekam ihren Masterplatz in englischer Literaturwissenschaft. Die Stipendiaten sprechen fließend Englisch, bevorzugen die Sprache auch im Gespräch über ihre ersten Eindrücke. Beide studieren in internationalen Programmen mit Englisch als Seminarsprache, wollen aber weiterhin auch Deutschkurse belegen.

So erleben die jungen Syrer die FU

Wie die jungen Syrer das weitläufige Dahlemer Unigelände und das Labyrinth der zentralen „Rostlaube“ erleben, ist typisch für Neuankömmlinge an der FU. „Der Campus ist riesig“, sagt Khulod Al Ibrahim. „Ich steige aus dem Bus und sehe ein Schild ,Freie Universität hier’, aber gleich daneben steht noch eines, ,Freie Universität hier’. Und diese ganzen Gänge: J, K, L.“ Laith Rastanawi sagt: „Du siehst so viele Kulturen hier und hörst so viele Sprachen, das ist schön – und überraschend.“ Jeans, kurzer grüner Mantel, Kapuzenpulli, Rucksack und suchende Blicke: Khulod und Laith fallen nicht auf in der Menge der Studierenden, die zu Semesterbeginn in ihre Einführungsveranstaltungen in der „Rostlaube“ strömen.

Laith Rastanawi hat vor, sich auf angewandte Mathematik zu spezialisieren, wahrscheinlich auf Finanz- und Wirtschaftsmathematik. Anglistin Khulod Al Ibrahim hat sich schon in den Unibibliotheken umgeschaut, ist begeistert, hier neueste Monografien und Journale zu finden, von denen sie in Damaskus nur träumen konnte. Sie interessiert sich für Genderforschung, Postcolonial studies und Linguistik, ist fasziniert vom breiten Lehrangebot dazu. „Literatur lehrt dich, zu kritisieren und Nein zu sagen, das ist sehr wichtig für uns Syrer“, sagt Al Ibrahim.

Das Kopftuch hat sie in Deutschland abgelegt

Zur akademischen Freiheit kommt für sie auch die persönliche. Das Kopftuch hat sie in Deutschland abgelegt. „Es ist Tradition in meiner Familie, meine Freundinnen haben es getragen, und ich wollte dazugehören.“ Jetzt fühle sie sich auch ohne Kopftuch wohl und sicher, sagt Khulod. Und ihre Familie, die noch in Damaskus lebt, sei mit ihrer Entscheidung einverstanden. Laith hört zu, nickt und sagt, auch er sei für einen säkularen Staat – mit Raum für Religionen und Traditionen.

Die Sorge, die syrischen Flüchtlinge könnten den religiösen Unfrieden aus ihrer Heimat nach Deutschland tragen, können die beiden nicht nachvollziehen. „Du riskierst nicht dein Leben auf der Flucht, wenn du nicht wirklich den Wandel suchst“, sagt Khulod Al Ibrahim. „Auch wir haben Angst vor Extremismus.“ Seine Landsleute sehnten sich nach einem System wie dem deutschen, ergänzt Laith Rastanawi. „Wir alle lernen es hier kennen und bringen es zurück in unser Land.“

Wann das sein wird, sei aber vollkommen unklar. Doch beide hoffen, dass sie eines Tages tatsächlich zum akademischen und gesellschaftlichen Aufbau Syriens beitragen können – als Hochschullehrer einer neuen Studierendengeneration.

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