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Notfall. Fünf Teilnehmer der Studie mussten in die Universitätsklinik Rennes eingeliefert werden. Der Künstler Guillaume Molinet erlitt so heftige Hirnschäden, dass er starb.

© REUTERS

Tödlicher Medikamententest in Frankreich: Fatale Nebenwirkung

Was lief beim Medikamententest in Rennes schief? Eine Expertenkommission hat jetzt einen ersten Zwischenbericht vorgelegt.

Plötzlich hätten die Nebenwirkungen eingesetzt, sagte Dominique Martin, Leiter der französischen Arzneimittelaufsicht ANSM. Als wäre ein Damm gebrochen, ohne Vorwarnung. Der Medikamententest, durch den der Künstler Guillaume Molinet starb und fünf andere wegen Hirnschäden im Uniklinikum Rennes behandelt werden mussten, sei ein schwerer Unfall gewesen. Der Wirkstoff, keine Fahrlässigkeit, habe die fatale Kettenreaktion ausgelöst.

Guillaume Molinet nahm im Januar gemeinsam mit fünf weiteren Männern an einem Arzneimitteltest mit dem Wirkstoff BIA 10-2474 des portugiesischen Herstellers Bial teil. Das Mittel sollte vor allem gegen chronische Schmerzen helfen. Seit Juli liefen die Versuche, kein Proband hatte ernsthafte Probleme bekommen. Nicht einmal jene Teilnehmer, die eine Kapsel mit 200 Milligramm schluckten. Die Gruppe um Molinet nahm die Kapseln mit jeweils 50 Milligramm als erste an mehreren, aufeinanderfolgenden Tagen. Bis die Tragödie ihren Lauf nahm. Um zu untersuchen, wie es dazu kommen konnte, setzte die ANSM eine unabhängige Expertenkommission ein. Sie legte nun ihren Zwischenbericht vor. Und hat unbequeme Fragen.

Zehnfach überhöhte Dosis

Da ist zum einen die Dosis. Sie war zehnmal so hoch, als sie sein musste, um das Enzym FAAH (Fatty Acid Amide Hydrolase) zu blockieren, das im Gehirn Signalstoffe wie Anandamid abbaut. Sie werden als Endocannabinoide bezeichnet, weil sie über die gleichen Rezeptoren an Nervenzellen andocken wie der Cannabis-Stoff THC. Von den FAAH-Hemmern verspricht man sich eine gezielte und nebenwirkungsarme Therapie.

„Aber man benötigt nur ein Zehntel der Dosis, um die maximale Wirkung zu erzielen“, sagt Markus Leweke, Experte für das Endocannabinoid-System am Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim. Die Gehirne der Probanden wurden also regelrecht in BIA 10-2474 gebadet. Zudem sei der Studienplan riskant gewesen. Mit 50 Milligramm am Tag erhielten die Männer um Molinet das Zweieinhalbfache der vorhergehenden Gruppe (20 Milligramm). „Gleich mehr als die doppelte Menge zu verabreichen, ist ungewöhnlich“, sagt Leweke.

Molekül wirkt auch dort, wo es nicht wirken soll

Ein weiteres Problem: Anders als ähnliche Wirkstoffe – etwa des Pharmaherstellers Pfizer, der seine Tests nicht etwa wegen Nebenwirkungen abbrach, sondern weil der erhoffte Effekt ausblieb –, wirkt BIA 10-2474 aller Wahrscheinlichkeit nicht nur auf das Enzym FAAH. „Das Molekül ist wenig spezifisch“, heißt es in dem Bericht. Es sei plausibel, dass es auch an andere Enzyme im Gehirn andocke und somit wirkt, wo es nicht wirken soll. Das werde umso wahrscheinlicher, je höher die Dosis ist.

Möglich sei auch, dass sich giftige Abbauprodukte bilden und anreichern. Sie könnten Eiweiße im Hirn zerstören und zu den diffusen Schäden geführt haben, die Molinet und seine Mitstreiter ins Krankenhaus brachten. Eventuell trete dieser Effekt nur beim Menschen und nicht bei Tieren auf.

Das Expertengremium forderte von Bial zusätzliche Informationen über die Tierversuche. Warum ließ der Hersteller seinen Wirkstoff an vier verschiedenen Tierarten testen statt zwei, wie es gewöhnlich der Fall ist? „Das macht man eigentlich nur, wenn die Datenlage nicht eindeutig ist“, sagt Leweke. Mussten also immer mehr Informationen eingeholt werden, um überhaupt eine Genehmigung für die Tests am Menschen zu erhalten?

Hat die französische Arzneimittelbehörde geschlafen?

Dafür spricht, das Bial sechs Jahre für seine vorklinischen Untersuchungen benötigte. „Ein ungewöhnlich langer Zeitraum“, wie Thorsten Ruppert, Experte für präklinische Forschung beim Verband forschender Arzneimittel (VfA) bestätigt. Nach Angaben von Bial begann man 2005 mit den Vorbereitung und 2009 mit den vorklinischen Untersuchungen. Der Druck auf Bial, die Substanz in den Markt zu bringen, war womöglich hoch. Laut „Financial Times“ soll sich Bial 110 Millionen Euro von der Europäischen Investment Bank für die Entwicklung neuer Wirkstoffe geliehen haben.

Allerdings muss sich auch die französische Arzneimittelbehörde selbst Fragen stellen lassen. Schließlich hat sie die Tests genehmigt. Sowohl der zuständigen Ethikkommission als auch der ANSM lagen das Studienprotokoll samt Dosierungen und die Daten aus den Voruntersuchungen vor. Beide haben sie durchgewunken.

Edda Grabar

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