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Ins Exil gezwungen. Durch eine Verwechslung wurde die Iranerin Neda Soltani zum „Gesicht der Opposition“.

© AFP

"Scholars at Risk": Uni-Asyl für verfolgte Forscher

Das internationale Netzwerk „Scholars at Risk“ hilft Akademikern, die in ihrer Heimat bedroht werden. Weltweit beteiligen sich bislang 300 Universitäten als Mitglieder. Die Freie Universität Berlin nahm eine Literaturwissenschaftlerin aus dem Iran auf.

Wer ihn verraten hat, weiß Felix Kaputu nicht. Nur, dass die Regierung im Kongo es ernst meinte, als sie ihn 2006 verhaftete. Das Land stand kurz vor der Wahl, Kaputu unterrichtete an der Universität Lubumbashi Literaturwissenschaft und Englisch für Soziologen und Informatiker. Einmal äußerte er außerhalb eines Kurses die Sorge, dass die Datenbanken der Wahlcomputer manipuliert werden könnten. Wenige Wochen später saß er im Gefängnis – als vermeintlicher Rebellenführer.

Von Professoren erwartet die Regierung im Kongo Dankbarkeit, nicht Zweifel. Weil Kaputu oft zu internationalen Konferenzen reiste, schien er verdächtig. Eine Bemerkung reichte, um ihn festzunehmen. Im Gefängnis fühlte er sich wie tot, erzählte Kaputu jetzt auf einer Konferenz der Organisation „Scholars at Risk“ an der Freien Universität Berlin (FU). Dort haben Vertreter deutscher Universitäten über die Gründung einer deutschen Sektion des Netzwerks beraten.

Scholars at Risk half bei Kaputus Befreiung. Kollegen, die er bei einem Aufenthalt in den USA kennengelernt hatte, informierten Amnesty International. Kaum war er frei, vermittelte Scholars at Risk Kaputu nach Harvard. Das Netzwerk sorgte dafür, dass er ein Jahr dort bleiben konnte. Später ging er drei Jahre nach Boston, inzwischen lehrt er afrikanische Literatur und Politik in Belgien. Die Wissenschaft ist die einzige Verbindung zur Heimat. In den Kongo kann er nicht zurückkehren.

Kaputu nennt sich einen „obdachlosen“ Forscher, aber einen, der wertvolles Wissen mitbringt. Scholars at Risk setzt sich dafür ein, dass dieses Wissen genutzt wird, dass verfolgte Wissenschaftler nicht nur in Sicherheit gebracht werden, sondern auch weiterforschen können. Meistens organisiert das Netzwerk einen Gastaufenthalt an einer Partneruniversität, manchmal hilft es beim Nachzug der Familie, bei Asylanträgen oder Einwanderung.

Praktisch vom ersten Tag der Ausreise an wird an einer langfristigen Lösung gearbeitet, sagt die Direktorin der europäischen Sektion des Netzwerks, Sinead O’Goreman – auch wenn viele Forscher am liebsten in die Heimat zurückkehren möchten. Weltweit sind bislang 300 Universitäten Mitglieder im Netzwerk. Nicht alle nehmen regelmäßig Forscher auf, manche veranstalten Vorträge über akademische Freiheit oder helfen Flüchtlingen zu studieren. Das Netzwerk, das im Jahr 2000 in Chicago gegründet wurde, beobachtet die politische Lage in über 50 Ländern. Verfüge das Team über ausreichend Informationen, könne es jemanden, der akut gefährdet ist, binnen 24 Stunden außer Landes bringen, sagt Sinead O’Goreman. Meist dauert der Prozess aber einige Monate, bis eine Gastuniversität gefunden ist, die dann die Kosten übernimmt. Es steht nur ein kleines Notfallbudget zur Verfügung, zusätzlich arbeitet das Netzwerk aber eng mit dem „Scholar Rescue Fund“ zusammen, einer privaten Stiftung in den USA.

Die europäische Vertretung sitzt in Den Haag, in Europa sind bislang vor allem England (mit 74 Universitäten), Norwegen (17) und die Niederlande (13) aktiv. Die Universität Oslo ist seit 2001 Mitglied, vier Wissenschaftler hat sie bereits beherbergt, mittlerweile gibt es dort sogar ein eigenes Budget von 100 000 Euro, um im Jahr einen Wissenschaftler aufnehmen zu können.

Als einzige deutsche Universität ist die FU Berlin bei Scholars at Risk vertreten. Vor einem Jahr trat sie bei. Mit Neda Soltani hat die Uni im Februar dieses Jahres ihre erste Stipendiatin aufgenommen. Die Iranerin war 2009 auf der Höhe ihrer akademischen Karriere, als sie fliehen musste. Sie lehrte Literaturwissenschaften und war Direktorin eines technischen College mit 11 000 Studenten. Politischer Protest lag ihr fern, wie sie sagt. Kurz vor der Wahl im Juni 2009 wurde eine Studentin erschossen, deren Namen die Medien mit Soltanis verwechselten. Ohne die Angaben zu prüfen, schickten sie ihr Facebookbild um die Welt.

Plötzlich war Soltani das Gesicht der Opposition. Die iranische Regierung witterte eine Chance, das Verbrechen zu vertuschen, und verlangte von Soltani eine Bestätigung, dass der Tod der Studentin eine Falschmeldung gewesen war.

Soltani weigerte sich. Daraufhin warf man ihr Landesverrat vor, im Iran kann das zur Todesstrafe führen. Soltani verließ innerhalb von zwölf Tagen das Land. Sie bekam ein Schengen-Visum und stellte einen Asylantrag in Deutschland. Ihr Geld reichte gerade für den Flug. Ohne Deutschkenntnisse fand sie sich in einem Asylantenheim in Gießen wieder.

Die Monate des Wartens beschreibt Sotani als weiteres Trauma. Dazu kam die Angst, nicht wieder wissenschaftlich arbeiten zu können. Dann lehrt sie Analphabeten Lesen. „Statt T. S. Eliot habe ich das ABC unterrichtet“, es klingt noch immer bitter. Als sie „Le Monde“ 2010 ein Interview gibt, bekommt sie Kontakt zum Scholar Rescue Fund, mit dem sie ein Jahr in die USA geht. Bleiben kann sie dort nicht, weil sie sonst ihren Asylstatus in Deutschland verlieren würde. Schließlich erhält sie das Angebot der FU. Es gilt für drei Jahre.

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