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Universität der Künste: Erwirb es, um es zu besitzen

Künstlerische Ausbildung braucht Freiheit und Zeit. Schnell und effizient ist sie nicht zu haben

Es ist nicht unproblematisch, in Deutschland Goethe zu zitieren. Das ist sehr schade, besaß er doch, neben vielen anderen Vorzügen, die weltweit bewunderte Fähigkeit, Dinge in wenigen Worten klar zu benennen. So lautet etwa der vollständige Satz, aus dem der Titel dieses Artikels stammt: „Was Du ererbt von Deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen.“ Ich habe ihn zuletzt von einer koreanischen Studentin gehört.

Vor wenigen Wochen fand an der UdK Berlin unter großer interner und externer Beteiligung ein Symposium statt, das sich mit der Frage beschäftigte, welche Form eine Graduiertenschule für die Künste und Wissenschaften an der UdK Berlin haben könnte. Hintergrund war die Absicht, den zunehmend standardisierten Ausbildungsmodellen in Universitäten und Künstlerischen Hochschulen einen Kontrapunkt entgegenzusetzen, einen Gegenentwurf zu machen – durch den eine eindeutige Positionierung der UdK gegenüber einengenden Vorgaben in Studienordnungen oder Ausbildungskonzepten erkennbar wird. Diese Frage ist gerade im Lichte des obigen Zitats von entscheidender Bedeutung.

Ich weiß nicht, ob vielen bewusst ist, wie sehr die Entwicklungen innerhalb der europäischen Bologna-Prozesse eine grundsätzliche Wende darstellen, die die Form, aber auch die Inhalte hochschulischer Ausbildung massiv verändern. Sicher, die Auseinandersetzungen mit Studienreformen haben auch ihr Gutes gehabt und vieles wurde zum ersten Mal auf den Prüfstand gestellt: endlose Studienverläufe, wenig strukturierte Studiengänge oder mangelnde Orientierung auf berufliche Realität.

Aber wenn man in Universitäten die Gelegenheiten zu verteidigen hat, in den letzten Jahren der Ausbildung ohne extremen äußeren Druck vernetzt denken zu lernen (immerhin die Voraussetzung für die oft beschworene kreative Intelligenz), wenn man die Entwicklung von Personen, deren Schwerpunkte sich ändern, nicht durch Sanktionen gegen den Wechsel von einem Studiengang zum anderen behindern, sondern ernst nehmen will, da sollte man innehalten und die Realitäten betrachten. Diese sprechen eine oft wenig konstruktive (weil restriktive) Sprache, machen Auslandssemester praktisch unmöglich, schreiben übervolle, in weniger Jahre als ehedem gepresste Studienleistungen vor und werden dazu führen, dass – ganz ohne Studiengebühren – blanke Not und ein kaum vorhandenes Stipendiensystem immer mehr junge Menschen aus weniger wohlhabenden Gruppen der Bevölkerung daran hindern werden, ein Studium aufzunehmen.

In den Künsten wird dies alles doppelt so deutlich. Wo sonst ist Zeit der alles entscheidende Faktor – und zwar nicht endlose Jahre, sondern Reflektionszeit innerhalb der regulären Studienverläufe? Wo, wenn nicht hier, sind die Studienjahre jener jungen Frauen und Männer, die allen „Exzellenzgeboten“ ja schon durch die extreme Auslese beim Eintritt in die UdK gerecht wurden, aus gutem Grund Entwicklungen mit offenem künstlerischen Ergebnis?

Nicht nur, aber vor allem in den Künsten und in Universitäten wie der unseren hat eine Verteidigung tradierter Arbeitsweisen und Vermittlungsformen stattzufinden, die vornehmlich prozesshaft ergebnisorientierten Modellen entgegengestellt werden müssen. Die sich dagegen wehrt, inhaltlich, terminologisch und prozedural vereinnahmt und dem „Antragssprech“ der auf weit entfernte Gebiete zugeschnittenen Förderprogramme nationaler oder internationaler Art entsprechen zu sollen. Die darauf beharrt, dass es zwar in Sonntagsreden gut ankommt, den Wert der Kultur (aber auch ihren Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt) zu beschwören, diese aber eben auch von Montag bis Freitag zu erhalten ist, Zeit und Geld kostet, da sie nicht einfach da ist, sondern entwickelt, gelebt, reflektiert und vermittelt werden muss.

Ganz falsch wäre aber anzunehmen, dass diese Verteidigung von Entwicklungszeit und Raum ein Ruhekissen, eine Apologie der institutionellen Untätigkeit sein darf. Ganz im Sinne Goethes ist das Gegenteil der Fall: Meisterklassen, Konzertexamina, künstlerische Einzelunterweisung sind Formen, nicht Inhalte – es liegt an uns, ihre Sinnhaftigkeit immer aufs Neue nachzuweisen. Nachweise ihrer grundlegenden Qualität gelingen oft dadurch, dass man sich mit den Schwächen unserer Systeme auseinandersetzt, diese definiert und bearbeitet – und es wäre Unsinn zu behaupten, diese gäbe es nicht.

Wenn wir etwa überzeugt sind, dass ein intensiver Bezug zu einer Person den künstlerischen Entwicklungsprozess befördert, wird diese Beziehung durch ein zugängliches Angebot an Alternativen nicht geschwächt, sondern gestärkt; wenn ein beweglicher Geist Voraussetzung für die Entwicklung eines eigenen künstlerischen Standpunktes ist, müssen Offenheit und gedankliche Beweglichkeit wesentliche Teile dessen sein, was man an der UdK Berlin lehrt und lernt. Um solche Umstände zu bieten, ist jeden Tag allerhand zu leisten.

Aber in der UdK Berlin wird über die erstklassige, klassische Vermittlung der Künste und auf sie bezogenen Wissenschaften hinaus eben zu Recht deutlich mehr gefordert, als mehr oder weniger so weiterzumachen, wie es Akademien und Konservatorien jahrhundertelang vorgemacht haben; sie ist eben weit mehr als die Summe ihrer einzelnen Studiengänge, in welchen wir alle Künste und deren Wissenschaften lehren, und hat sich zur Aufgabe gemacht, die Querverbindungen und Spannungsverhältnisse selbst zum Thema zu machen.

Doch gerade wegen der akribischen Bearbeitung unserer inhaltlich nie zu Ende entwickelten Aufgaben erlauben wir uns zu Recht das unzeitgemäße Selbstbewusstsein, dafür einzustehen, dass künstlerische und kunstbezogene Studien sich eben nicht einpassen lassen können in ein unverrückbares Diktat der politischen oder ökonomischen Opportunität; dass in den Künsten ein Inhalt sich zwar seine Form suchen wird, eine Form aber ihren Inhalt predeterminiert und so nicht ohne Weiteres übergestülpt werden kann; dass Kunst eine eigene Sprachlichkeit hat, die eher Stille einkehren lassen muss als sich Jargon zu unterwerfen, und dass Künste sich nur schwer in Kosten-Leistungsrechnungen integrieren lassen und dennoch sinnstiftend und grundlegend bleiben. Und dass die Künste gerade in der UdK Berlin unverändert offensiv, selbstkritisch, aber ungerührt ihr Gewicht in jeden kulturellen Dialog einzubringen vorhaben. Das, denke ich, meinte Goethe mit Erwerb.

Der Autor ist Präsident der Universität der Künste Berlin.

Martin Rennert

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