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US-Unis in der Schuldenkrise: Der Leuchtturm Berkeley wankt

Die staatlichen US-Unis leiden massiv unter der Finanzkrise und dem Druck der Privaten. Das Geld für exzellente Forschung und Lehre wird knapp. Auch der Ruhm der University of California in Berkeley steht auf dem Spiel.

Im Sommer lassen sich täglich an die 100 amerikanische Touristen über den Campus von Berkeley führen. Sie fotografieren die neoklassizistischen Tempel des Geistes und hoffen, einem Nobelpreisträger über den Weg zu laufen. Stets weisen die studentischen Führer die Gruppen darauf hin, dass Berkeleys Glockenturm um einiges höher ist als der Turm der Stanford University, der privaten Konkurrenz nebenan in Palo Alto. Wie jeder selbst sehen kann, hat man von Berkeleys Turm auch die bessere Aussicht: Den Besuchern liegen die Hügel Kaliforniens und der Pazifik zu Füßen.

Bislang konnte nicht nur der Turm der staatlichen Uni mit den berühmten Privaten mithalten, mit Harvard, Yale oder mit dem in alter Rivalität verbundenen Stanford. Ob es um die Auszeichnungen der Professoren, um die Erfolge der Absolventen oder um die besten Studierenden geht – die University of California Berkeley ist in den Rankings immer oben zu finden. Doch wird das auch so bleiben? Soeben hat Kalifornien seinen Hochschulen eine weitere Sparrunde aufgezwungen. Die Lage ist „abgründig“, sagt Mark G. Yudof, Präsident der University of California.

Nahezu alle US-Staaten versuchen seit der Finanzkrise im dritten Jahr in Folge, ihre desolaten Haushalte auch durch Einsparungen bei den Universitäten in den Griff zu bekommen. Die Krise trifft die Masse der Unis. Denn bei den staatlichen Hochschulen, und nicht bei den privaten, sind drei Viertel der über 18 Millionen US-Studierenden eingeschrieben.

Floridas Hochschulen verloren schon 24 Prozent ihres Zuschusses, Arizona kürzte allein im vergangenen Jahr 21 Prozent der Uni-Mittel, und Pennsylvanias Gouverneur Tom Corbett schlug für das kommende Haushaltsjahr Einsparungen von 52 Prozent bei den Hochschulen vor. Sie kamen diesmal mit 18 Prozent davon. Die Unis entlassen Personal und schließen Institute. Die Lerngruppen werden größer, Studiengebühren steigen so schnell wie nie zuvor. Die Lage wird noch schwieriger, weil seit Juli auch keine Mittel mehr aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung fließen.

Kalifornien, der bevölkerungsreichste Bundesstaat, gilt als besonders drastisches Beispiel. Soeben beschloss die Regierung mit dem Demokraten Jerry Brown an der Spitze Einsparungen von 20 Prozent bei den Universitäten. Schon Browns Amtsvorgänger Arnold Schwarzenegger hatte die Hochschulen geschröpft. Erstmals wird die UC jetzt mehr Geld aus Studiengebühren als vom Bundesstaat einnehmen. Das Bachelorstudium wird jetzt jährlich 12 200 Dollar kosten – doppelt so viel wie vor fünf Jahren.

An den staatlichen Unis von Arizona oder Oregon zahlt man allerdings noch mehr, an die 28 000 Dollar. Zwei Drittel der Absolventen in den USA haben Schulden von im Schnitt 34 000 Dollar, insgesamt 928 Milliarden Dollar, berichtet der Ratgeber Fin.Aid.org. Aus Protest gegen die Gebühren hat der 19-jährige Dale Stephens aus San Francisco im Internet eine Anti-Uni-Bewegung gegründet („UnCollegemovement“). Die Jugendlichen sollen lieber aus dem Leben lernen. Doch erst 2000 Abonnenten haben seinen Newsletter bestellt. Junge Amerikaner glauben zunehmend, ohne Studium keinen Job zu finden. So müssen die staatlichen Hochschulen bei sinkenden Zuschüssen immer mehr Plätze anbieten.

Für Berkeley steht mit den Sparmaßnahmen besonders viel auf dem Spiel: der Weltruhm. Linke Intellektuelle beunruhigt das doppelt. Sie sehen in Berkeley ihre akademische Hochburg, seit hier die Studentenproteste der sechziger Jahre entfacht wurden. Vergeblich schickte der damalige Gouverneur Ronald Reagan Truppen der Nationalgarde. Wegen der anhaltenden Neigung der Campus-Angehörigen zu politischem Aktivismus wird Berkeley von den Kaliforniern noch immer „Beserkeley“ genannt (engl. beserk - durchgeknallt). Am Eingangstor „Sather Gate“ halten Radikale Reden. Berkeley rühmt sich der landesweit ersten Biomensa. An der Ökonomie-Fakultät forschen auch Keynesianer, bei den Politologen auch Sozialisten.

Aber viele alteingesessene Kalifornier hängen an Berkeley nicht wegen seiner Liberalität. Sie sehen in der University of California die Hochschule, an der schon Oma und Opa studiert haben, die Uni der Familie eben. Und als Universität, die allen begabten Kaliforniern offenstehen sollte, ist die UC 1868 auch gegründet worden. Die kalifornischen Verfassungsväter waren überzeugt, dass eine Universität zu „Ruhm und Glück“ der nächsten Generationen noch mehr beitragen werde als das Gold Kaliforniens.

Wegen der ständig wachsenden Studierendenzahlen ist die UC inzwischen auf zehn Standorte expandiert. Seit 1960 hat die UC den Auftrag, die besten 12,5 Prozent der kalifornischen Schulabsolventen aufzunehmen. Die Hochschulliga darunter, die Gruppe der Californian State Universities (CSU) mit 23 Unis, ist für die besten 33,3 Prozent gedacht. Die übrigen Schulabgänger können sich an den nur zweijährigen Community Colleges einschreiben, haben aber wegen großzügiger Quoten gute Chancen im Anschluss für die zwei Jahre bis zum Bachelorgrad einen Platz an der UC oder an einer CSU zu bekommen.

Das allen offene, aber gleichwohl selektive System galt in den USA mit als Grund für den wirtschaftlichen Erfolg Kaliforniens, von Hollywood bis zum Silicon Valley. Doch die vor 50 Jahren eingeführte Gebührenfreiheit gibt es schon seit den achtziger Jahren nicht mehr. Nun wird auch noch die alte Bevorzugung der kalifornischen Landeskinder bei der Zulassung ausgehöhlt. Berkeley hat bereits damit begonnen, mehr Studierende aus anderen US-Staaten oder aus dem Ausland aufzunehmen, weil diese dreimal so hohe Studiengebühren zahlen müssen. Während etwa am Standort Merced noch 98 Prozent der Studierenden Kalifornier sind, liegt der Anteil in Berkeley bereits bei nur noch 73 Prozent. Er soll weiter sinken.

Berkeleys prominente Politologie-Professorin Wendy Brown brandmarkte die Verdrängung der Landeskinder durch besser zahlende Auswärtige schon vor zwei Jahren. Dies sei ein weiterer Effekt der rasch voran schreitenden Privatisierung der UC, sagte Brown bei einem „Teach in“ in Berkeley anlässlich der Sparmaßnahmen. Das gleiche gelte für die steigenden Studiengebühren, für den wachsenden Einfluss der Wirtschaft auf die Forschung sowie für die Abwertung der Geisteswissenschaften und der Grundlagenforschung, die sich auch in der dramatischen Gehaltsspreizung in der Professorenschaft niederschlage: „The beast is in the house“, sagte Brown (zu sehen auf „Youtube“).

Die hohen Gehälter mancher Professoren, besonders in der Medizin, bei den Juristen und den Ökonomen sowie bei den leitenden Verwaltungsmitarbeitern an den staatlichen Unis erregen auch den Unmut anderer Kalifornier. Da die Gehälter anders als in Deutschland veröffentlicht werden, kann sich jeder selbst ein Bild machen, etwa unter sacbee.com/statepay. Demnach verdiente Berkeleys Ökonomie-Professor Teck-Hua Ho im Jahr 2009 rund 557 000 Dollar, sein Kollege, der Physik-Nobelpreisträger George F. Smoot, nur rund 149 000 Dollar. Nach einer Umfrage der American Association of University Professors kommen Berkeleys Professoren im Schnitt auf 143 000 Dollar im Jahr und damit USA-weit auf den 13. Platz. Am besten verdienen Harvards Professoren, im Schnitt 194 000 Dollar.

Doch während Wissenschaftler aller staatlichen Unis in Kalifornien Zwangsurlaube mit Gehaltseinbußen hinnehmen müssen, bekommen neue Verwaltungsleiter gegenüber ihren Vorgängern weiter üppige Aufschläge. So genehmigte das Kuratorium der State Universities soeben dem neuen Präsidenten der San Diego State University, Elliot Hirshman, jährlich 400 000 Dollar. Das entspricht dem Gehalt des US-Präsidenten und liegt 100 000 Dollar über dem Gehalt von Hirshmans Amtsvorgänger. In derselben Sitzung beschlossen die Kuratoren die Erhöhung der Studiengebühren an den State Universities um zwölf Prozent, auf 5500 Dollar. Die Entscheider erklärten, man müsse eben wettbewerbsfähig bleiben.

Bei den Professoren wird das nicht leicht. Soeben erregte der Wechsel dreier angesehener Naturwissenschaftler von der UC San Diego an die private Rice University in Texas Aufsehen. Rice lockte das Trio mit 40-prozentigen Gehaltserhöhungen, zehn Millionen Dollar zusätzlicher Forschungsmittel und neuen Gebäuden, berichtete die „Los Angeles Times“. Die Wissenschaftler erklärten: „Die staatlichen Hochschulen können das Spiel einfach nicht mehr mitspielen.“

Das wissen auch die Privaten. Sie machen renommierten Professoren staatlicher Unis jetzt verstärkt Angebote. „Es ist wie bei den Piranhas. Sie merken, dass Blut im Wasser ist“, sagte Gene Lucas aus der Leitung der UC Santa Barbara der Zeitung. An der UC Davis hat sich die Zahl der Rufe gegenüber dem vergangenen Jahr verdoppelt, die Zahl der abgewendeten Abwerbungsversuche sank dem Bericht zufolge von 90 auf 72 Prozent.

Berkeley beklagt als Flaggschiff der UC-Flotte noch keine Verluste. Doch weil die Zukunft ungewiss ist, haftet jetzt jeder Abwerbung etwas Unheilvolles an. Die Politologin Wendy Brown, seit Jahrzehnten mit der UC verbunden, erklärte der „Los Angeles Times“, sie erwäge, ein attraktives Angebot der privaten Columbia University in New York anzunehmen: Dort winke ein um zwölf Prozent höheres Gehalt sowie Zuschüsse für Forschung und Unterkunft. Zwar versuche Berkeley mitzubieten und auch hänge sie an der staatlichen Universität, sagte Brown. Doch treibe sie die Sorge um, Berkeley könne sich zu einer „Lernfabrik“ entwickeln.

Schon länger ist bekannt, dass die Columbia University auch Wendy Browns Lebenspartnerin, die Starphilosophin Judith Butler, umwirbt. Die Hochschule ist zuversichtlich, dass Butler dem Ruf folgen wird.

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