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In den Fluren der Silberlaube der Freien Universität begegnen sich alle Angehörigen der Uni.

© imago/Priller&Maug

Was tun bei Machtmissbrauch?: „Betroffene wissen nicht, an wen sie sich wenden können“

An Unis gibt es viele Anlaufstellen gegen Fehlverhalten und Diskriminierung. Warum sie in konkreten Fällen oft wenig genutzt werden, diskutierten Diversity-Beauftragte und Vertrauenspersonen an der Freien Universität Berlin.

Die Universität bietet Raum zur Selbstentfaltung. Zu studieren oder in Forschung und Lehre zu arbeiten, schätzen viele Hochschulangehörige als Privileg. Es besteht aber auch großer Frust über ihre hierarchische Arbeits- und Lernkultur, die Kritiker:innen zufolge Machtmissbrauch begünstigt.

Dass dieser Vorwurf berechtigt ist, wurde jetzt auch in einer Gesprächsrunde zum Thema an der Freien Universität Berlin (FU) schnell klar. Diversity-Beauftragte auf verschiedenen Ebenen diskutierten mit zwei Graduiertenvertreterinnen, wie Fehlverhalten und Belästigung an der FU verhindert und besser sanktioniert werden könnte.

Die Gründe dafür, dass Vorfälle wie sexuelle Übergriffe oder Mobbing nicht gemeldet werden, sind zahlreich, zeigte die Diskussion. Oft fängt es schon mit Unklarheit darüber an, wo eine Grenzüberschreitung überhaupt beginnt. Wie in anderen Jobs kommt es auch in der Wissenschaft vor, dass man Berufliches in ungezwungener Atmosphäre, bei einem Bier, bespricht.

Große Abhängigkeiten, große Verantwortung

Schnell entstünden so Grauzonen, die sich leicht ausnutzen ließen, merkte Marianne Braig, Politikwissenschaftlerin und ehemalige Vizepräsidentin an der FU, an. Zudem schwinge beim Betreuungsverhältnis zwischen Doktorandin und betreuendem Professor „oft Bewunderung mit für die intellektuellen Vorbilder“. Die Verantwortung liege daher zunächst bei den Professor:innen beziehungsweise den Personen in den überlegenen Positionen, findet Braig. „Machtmissbrauch fängt für mich an, wenn Kolleg:innen unverantwortlich mit der Abhängigkeit anderer umgehen.“

Dass Profs für ihre Position keine Führungskompetenzen vorweisen müssen, wird als Teil des Problems benannt. So schlägt Alette Winter, Koordinatorin eines FU-Graduiertenzentrums, verpflichtende Kurse vor, um sogenannte Soft Skills gezielt zu vermitteln. Zwar stimmen dem alle auf dem Podium zu. Doch dies einfach von oben durchzusetzen ist an einer Universität nicht leicht: Ein Großteil wichtiger Fragen wird „dezentral“ entschieden, liegt also in der Verantwortung der Fachbereiche. Winter fordert, „die Dekanate oder das Präsidium müssen sich trauen“ etwas zu ändern.

Fachbereiche entscheiden vieles unabhängig

Ähnlich schwierig dürfte es mit einer weiteren Reform werden, die zur Vorbeugung gegen Machtmissbrauch oft angebracht wird, und zwar, eine Doktorarbeit nicht von derselben Person betreuen und bewerten zu lassen. Die Promotionsordnungen, die dies regeln, liegen ebenfalls bei den Fachbereichen. Ein Professor aus dem Publikum wandte dazu ein: „Bei mir am Fachbereich war eine Reform der Betreuung gar nicht diskutierbar!“

In der zentralen Frage, warum so viele Fälle erst gar nicht gemeldet werden, bringt die Doktorandin Grace Klass das Problem auf den Punkt. Als Sprecherin eines Graduiertenkollegs macht sie die Erfahrung: Peers, die sich falsch behandelt fühlen, wenden sich erstmal an Menschen, die sie kennen und denen sie vertrauen.

Kluft zwischen Organen und ihrem Nutzen

Die diversen Stellen gegen Diskriminierung und Fehlverhalten an der Uni, etwa Frauenbeauftragte und Ombudspersonen, stellen laut Klass jedoch eine zu hohe Hürde dar. Viele Betroffene seien um Verschwiegenheit und Konsequenzen besorgt, sie zweifelten oft: „Habe ich noch die Hoheit über diesen Fall oder bekommt das eine Eigendynamik, die ich nicht mehr einfangen kann?“ Rebecca Mak, Leiterin einer neu eingerichteten „Stabsstelle für Diversity und Antidiskriminierung“, benennt als weiteres Problem mangelnde Klarheit über die Beschwerdewege: „Betroffene wissen oft nicht, an wen sie sich wenden können.“

Tatsächlich bleibt nach dem Gespräch der Eindruck: Es gibt eine Kluft zwischen den Bekenntnissen auf Verwaltungsseite und ihrem tatsächlichen Nutzen. So existieren an der FU bereits zahlreiche Stellen, die mit der Thematik formal befasst sind: zentrale und dezentrale Frauenbeauftrage, die Diversity-Stabsstelle, zentrale und dezentrale Ombudspersonen für gute wissenschaftliche Praxis, außerdem Satzungen und Richtlinien, die ermahnen, nicht abzuschreiben, zu mobben oder zu belästigen.

Während die Diversity-Beauftragten auf dem Podium mitunter überlegen, ob es für Machtmissbrauch an der FU noch eine eigene Satzung bräuchte, sind die Sorgen der Doktorand:innen konkreter. Eine Doktorandin aus dem Publikum macht ihrem Ärger am Ende Luft. Sie drängt auf mehr Schutz für Betroffene und darauf, individuell „Haltung zu zeigen“. Die Unis müssten sich bei jedem Fall von Fehlverhalten, der für Beschuldigte folgenlos bleibt, klar machen: „Die Leute gehen. Und die Leute, die nicht gehen können, fügen sich – zulasten von anderen.“

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