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Teilchenfalle. Allein der Magnet erforderte bei der Montage alle Kraft. Der gesamte Detektor wiegt fast sieben Tonnen. Inzwischen sind alle Tests abgeschlossen und die Forscher warten auf den Start.

©  Nasa

Weltraumforschung: Teilchendetektor auf dem Weg ins All

Das bisher teuerste und raffinierteste Messgerät soll am Freitag zur Raumstation fliegen. Physiker wollen damit nach Spuren von Antimaterie suchen.

Von Rainer Kayser, dpa

Es ist der vorletzte Flug einer amerikanischen Raumfähre: Am Freitagabend um 21.47 Uhr (MESZ) startet die „Endeavour“ zur Internationalen Raumstation ISS. Und sie hat eine besondere Fracht an Bord: das Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS). Der 1,5 Milliarden US-Dollar teure, fast sieben Tonnen schwere Detektor ist das bislang wichtigste wissenschaftliche Experiment an Bord der Station. „Es ist ein extrem empfindliches Messinstrument, dass uns ein völlig neues Forschungsgebiet zugänglich macht“, sagt Stefan Schael, Professor für Physik an der RWTH Aachen.

Schael ist einer von rund 600 Wissenschaftlern an 56 Instituten in 16 Ländern, die am AMS-Experiment beteiligt sind. Das weltweite wissenschaftliche Interesse an dem Vorhaben kommt nicht von ungefähr. Es geht um große Fragen: Warum gibt es überhaupt Materie im Kosmos? Woraus besteht die mysteriöse Dunkle Materie, die Galaxien und Galaxienhaufen zusammenhält? Und gibt es vielleicht einen anderen, dichteren Zustand der Materie als den, den wir kennen?

Die Physiker wollen mit dem AMS energiereiche Teilchen erforschen, die aus den Tiefen des Alls zur Erde kommen. „Würden diese Teilchen ungehindert auf die Erde gelangen, dann würde es hier kein Leben geben“, sagt Schael. „Doch zum Glück absorbiert die Atmosphäre einen Großteil dieser Partikel. Deshalb müssen wir den Detektor ins Weltall schaffen, um diese Teilchenstrahlung zu untersuchen.“ Ein großer Magnet sortiert dazu die eintreffenden Teilchen entsprechend ihrer Ladung. Zudem wird ihre Masse bestimmt. Die Physiker hoffen, in diesem Teilchenstrom Hinweise auf Antimaterie, auf Dunkle Materie und auf Seltsame Materie zu finden.

Die physikalischen Gesetze sind symmetrisch, deshalb sollten beim Urknall Materie und Antimaterie in gleichen Mengen entstanden sein. Doch Materie und Antimaterie vernichten sich gegenseitig, übrig bleibt nur Strahlung. „Demnach sollte es im Kosmos heute eigentlich nur noch Strahlung geben und keine Materie mehr“, erläutert Schael. Da es in der Realität aber offensichtlich anders ist, suchen die Physiker nach einer Erklärung. Vielleicht gibt es im Kosmos räumlich getrennte Regionen aus Materie und Antimaterie. Oder es gibt ein bisher unbekanntes Phänomen, das Materie gegenüber der Antimaterie bevorzugt.

Mit früheren Experimenten konnten die Wissenschaftler ausschließen, dass es in einem Umkreis von 30 Millionen Lichtjahren größere Ansammlungen von Antimaterie gibt. „AMS könnte diese Grenze nun weit nach außen schieben, bis an den Rand des sichtbaren Kosmos“, sagt Schael. „Wenn AMS keine Antimaterie findet, dann wissen wir, dass es eine grundlegende Asymmetrie in den Naturgesetzen geben muss.“

Die Physiker hoffen außerdem, mit AMS Hinweise auf die rätselhafte Dunkle Materie zu finden. Rund 80 Prozent der Masse im Kosmos ist dunkel und verrät sich nur über ihre Schwerkraft. Woraus die Dunkle Materie besteht, wissen die Forscher bislang nicht. Zu den aussichtsreichsten Kandidaten zählen hypothetische Elementarteilchen namens Neutralinos. Da die Teilchen der Dunklen Materie aber kaum mit normaler Materie reagieren und sich entsprechend schwer nachweisen lassen, sucht AMS nicht nach den Neutralinos selbst, sondern nach normalen Teilchen, die bei Zusammenstößen von Neutralinos entstehen.

Erste Hinweise auf solche Teilchen – zum Beispiel Positronen, elektrisch positive Gegenstücke der Elektronen – haben bereits frühere Experimente geliefert. Nun hoffen die Physiker, dass AMS diese Hinweise bestätigt – oder widerlegt und damit die Neutralinos als Erklärung für die Dunkle Materie aus dem Rennen wirft.

Noch spektakulärer wäre der Nachweis von Seltsamer Materie. Darunter verstehen die Physiker Materie, die aus anderen Grundbausteinen aufgebaut ist als die normale Materie, aus der Sterne, Planeten und Lebewesen bestehen.

Materie ist aus Atomen aufgebaut, diese wiederum aus Elektronen und einem Atomkern aus Neutronen und Protonen. Diese Kernteilchen schließlich bestehen aus jeweils drei Quarks. Dabei kommen in normaler Materie nur zwei Arten von Quarks vor – genannt Up und Down –, obwohl es noch weitere gibt.

Doch es könnte auch Materie geben, die sogenannte Strange-Quarks enthält: „seltsame“ Quarks, nach denen diese Materieform auch benannt ist. Seltsame Materie könnte beispielsweise unter den extremen Druckverhältnissen im Inneren von Neutronensternen entstehen. Und sie könnte möglicherweise stabiler sein als gewöhnliche Materie.

Als die Wissenschaftler 1998 an Bord der Raumfähre „Discovery“ einen Prototyp des AMS testeten, registrierte der Detektor zwei Teilchen, die mit den Vorhersagen für Seltsame Materie übereinstimmten: Im Verhältnis zu ihrer elektrischen Ladung waren sie viel zu schwer. Innerhalb weniger Monate nach seiner Installation auf der ISS sollte das AMS diesen Fund entweder bestätigen oder widerlegen. Sollte es Seltsame Materie tatsächlich geben, so könnte sie in Milliarden von Jahren der Endzustand aller Materie im Kosmos sein. Rainer Kayser

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