zum Hauptinhalt

WERT sachen: Anwesenheit

Zu den Kernforderungen der gegenwärtig protestierenden Studierenden gehört die Abschaffung der Anwesenheitskontrollen. Wer noch im alten System studiert hat, wird sich wahrscheinlich verwundert die Augen reiben: Anwesenheitskontrollen in Vorlesungen gab es früher eigentlich nirgendwo, in manchen Hauptseminaren wurde dagegen kontrolliert, in anderen nicht.

Zu den Kernforderungen der gegenwärtig protestierenden Studierenden gehört die Abschaffung der Anwesenheitskontrollen. Wer noch im alten System studiert hat, wird sich wahrscheinlich verwundert die Augen reiben: Anwesenheitskontrollen in Vorlesungen gab es früher eigentlich nirgendwo, in manchen Hauptseminaren wurde dagegen kontrolliert, in anderen nicht.

In Marburg an der Lahn wurde in den Geisteswissenschaften nicht kontrolliert: Ich besuchte während meines Studiums bei einem sehr prominenten dortigen Philosophen ein Hauptseminar zu Aristoteles, bat am Ende der letzten Sitzung um einen Teilnahmeschein und der Professor sagte, mich streng musternd: „Sie waren doch nie da!“. Das traf mich nicht wenig, denn eigentlich war ich immer da. Und daher stotterte ich: „Ich glaube … schon.“ Da schaute der Philosoph den vorausgefüllten Schein an, bemerkte: „Glauben … ach, so, Theologe“ und setzte zur Unterschrift an. In Tübingen führte dagegen der Professor im neutestamentlichen Hauptseminar ganz selbstverständlich eine Anwesenheitsliste. Es zeugte auch vom Interesse des Professors an seinen Studenten, wenn immerhin bemerkt wurde, dass man fehlte und – hatte man sich nicht entschuldigt – nach einem gefragt wurde.

Wie auch immer: Natürlich gehört es zu den absurden Zügen der Umsetzung der Bologna-Reform in einigen – längst nicht in allen – Fächern und Universitäten, wenn jetzt Studierende in jeder Vorlesungsstunde ihre Matrikelnummer in eine große Liste schreiben und dann diesen Eintrag noch unterschreiben sollen. Aber genauso absurd wäre es, wenn man jetzt flächendeckend verbieten wollte, dass in den Hauptseminaren festgehalten wird, wer da ist und wer fehlt, denn zum Studium gehört nun einmal das Engagement und die Bereitschaft, nicht Dienst nach Vorschrift zu schieben, sondern sich leidenschaftlich um die Sache zu bemühen. Adsum, zu Deutsch: „ich bin anwesend“, sagt seit Jahrhunderten im Gottesdienst der, der zum katholischen Priester geweiht wird. „Ich bin anwesend“ sollten auch die sagen, die sich für eine Zeit oder für ihr Leben der Wissenschaft weihen wollen. Übrigens nicht nur Studierende, sondern zuallererst die Professorinnen und Professoren.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden dritten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false