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WERT sachen: Sternenhimmel

Von Christoph Markschies, Präsident der Humboldt-Universität

Richtig verstanden habe ich den berühmten Satz des Königsberger Philosophen erst, als ich während meines Studiums Gelegenheit hatte, fast vierzehn Tage in der Wüste Sinai zu wandern, und am Ende eines Tages meinen Schlafsack samt einer isolierenden Matte einfach irgendwo auf den Sand legte.

Fern jeder größeren oder kleineren Ansiedlung sah ich im Schlafsack liegend ein herrliches, tiefschwarzes Gewölbe voller größerer und kleinerer Sterne, viele Sternbilder und die Milchstraße dazu, noch viel schöner als in der Kuppel des Planetariums am Fuß des Insulaners. Denn Kaliningrad ist heute eine laute und lärmige russische Großstadt, und dort, wo Kant einst wohnte, läuft der Hauptverkehr auf einer Schnellstraße. Man kann sich nur noch schwer vorstellen, dass ihn dort (wie er 1788 schreibt) „der bestirnte Himmel über mir“ mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht erfüllte, ebenso wie „das moralische Gesetz in mir“.

Aber in der einschlägigen Fachliteratur kann man nachlesen, wie Kant als Student durch das Spiegelteleskop, durch das ein heute nur noch den Spezialisten bekannter Königsberger Philosoph namens Martin Knutzen seine Studenten schauen ließ, für die Astronomie begeistert wurde und diese Interessen nach dem Studium als Hauslehrer auf dem Land pflegte. In Kants „Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels“ von 1755 ist entsprechend auch ausführlich von Fixsternen und Planeten die Rede, von der Weite des Himmels – aber auch schon von der ewigen Harmonie einer Natur, in der alle Glieder aufeinander bezogen sind.

In einer Großstadt wie Berlin denken vermutlich viele Menschen beim Stichwort „Sternenhimmel“ eher an eine der großen Medienpreisverleihungen, bei denen Stars und Sternchen beispielsweise die Freitreppe des Konzerthauses am Gendarmenmarkt heraufschreiten, während sich unten die Betrachter die Hälse nach ihnen verrenken. Vielleicht kommen ihnen auch die großen beleuchteten Sterne in den Sinn, die schon bald weihnachtliches Flair in trübe Novembertage zu zaubern versuchen werden.

Um Sternenhimmel in Berlin zu sehen und nicht einfach nur den Himmel über Berlin, muss man eben auch ins Planetarium am Insulaner oder ins Zeiss-Großplanetarium am Prenzlauer Berg gehen. Aber in gehöriger Entfernung vor der großen Stadt lässt sich dann auf märkischem Sand bisweilen doch erleben, was den Königsberger Philosophen mit Bewunderung und Ehrfurcht erfüllte. Am Sternenhimmel aber zu lernen, dass es durchaus Dinge gibt, die weder verspottet noch bezweifelt werden müssen, sondern Ehrfurcht und Bewunderung verdienen, lohnt auch noch lange nach Kants Tod.

Der Autor ist Kirchenhistoriker und schreibt an dieser Stelle jeden zweiten Montag über Werte, Wörter und was uns wichtig sein sollte.

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