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Wissenschaftsgeschichte: Klinik der Regierung: Die dunkle DDR-Geschichte der Charité

Der Forschungsstand zur DDR-Geschichte des Universitätsklinikums ist „noch immer dürftig“ - zum Jubiläum im nächsten Jahr soll sich das ändern. Die politischen Verstrickungen der Ärzte dürften für die größten Diskussionen sorgen.

Wie sehr waren die Ärzte der Charité in die Unrechtstaten des DDR-Regimes verstrickt? Dass diese Frage auch zwanzig Jahre nach dem Mauerfall die Gemüter erregen kann, zeigte sich Ende der vergangenen Woche bei einer Podiumsdiskussion zur DDR-Geschichte des Klinikums im Berliner Abgeordnetenhaus. Großen Beifall erntete eine Zuhörerin, als sie forderte, einen Schlussstrich unter die Stasi-Debatte zu ziehen: „Es sollte doch viel wichtiger sein, dass diese Leute wissenschaftlich Großes geleistet haben“, rief sie empört. Harald Mau, der 1990 das Amt des Dekans übernahm, widersprach ebenso empört: Wer mit der Stasi zusammenarbeitete, habe andere in ihrer Existenz behindert und sich „ins moralische Abseits“ begeben. „Das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden“, sagte Mau – und erntete gleichfalls großen Applaus in den Reihen der 150 Zuhörer.

Im nächsten Jahr feiert die Charité ihren 300. Geburtstag. Das größte Uniklinikum Europas blickt dann auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Um die Wende zum zwanzigsten Jahrhundert war die Charité weltweit der Mittelpunkt der modernen Medizin. Es folgten dunkle Jahrzehnte. Während des „Dritten Reichs“ arbeiteten Ärzte beflissen mit den Nazis zusammen. In der DDR setzte sich die „prekäre Rolle“ der Charité fort, wie es Thomas Schnalke, der Direktor des Medizinhistorischen Museums des Klinikums, formulierte: Die Charité war das Vorzeigekrankenhaus der DDR-Führung.

Die Kollaboration der Charité-Ärzte mit den Nazis ist inzwischen von Historikern untersucht worden. Der Forschungsstand zur DDR-Geschichte ist dagegen „noch immer dürftig“, sagte Schnalke. Zum Jubiläum soll sich das ändern. So sucht das Klinikum für eine Ausstellung zur DDR-Vergangenheit Zeitzeugen, die bis 1989 an der Charité arbeiteten und über den Alltag am Klinikum berichten können. „Wir dürfen 40 Jahre DDR-Geschichte mit Rückgriff auf die goldenen Jahre der Charité nicht einfach ausblenden“, sagte Volker Hess, Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin der Charité. Karl Max Einhäupl, der Vorstandsvorsitzende der Charité, rief die Angehörigen seines Klinikums auf, „mit der Aufarbeitung zu beginnen“.

Die politischen Verstrickungen dürften für die größten Diskussionen sorgen. Ingrid Reisinger, nach der Wende Ärztliche Direktorin und von ihrem Studium bis zur Emeritierung 2007 fast ununterbrochen an der Charité, berichtete von einer „Cliquenbildung“ unter den leitenden Ärzten, die von der SED ausgewählt wurden. Man habe als Arzt gleichwohl „relativ frei arbeiten können“. Druck, der SED anzugehören, sei kaum vorhanden gewesen, solange man nicht Karriere machen wollte und „bestimmte Grenzen“ nicht überschritten habe. Man konnte sich „in der sozialistischen Hängematte gut aufgehoben“ fühlen. Sie vermute, die Ärzte seien für die gesundheitliche Versorgung so wichtig gewesen, dass die Partei ihre Distanz zum System akzeptiert habe.

Dem widersprach Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED-Staat der FU. Viele Medizinstudierende seien schon bei den geringsten Zweifeln an ihren politischen Ansichten aus der Charité ausgeschlossen worden. Ärzte hätten ihren Job verloren, sobald sie einen Ausreiseantrag stellten. Auch dass sich Ärzte seltener für die Stasi verpflichtet hätten, stimme nicht: Vielmehr liege die Quote etwas höher als bei der Durchschnittsbevölkerung. Der Genetiker Erhard Geißler erinnerte daran, wie es in den achtziger Jahren „eine strikte Anweisung von ganz oben“ gegeben habe, das Thema Aids unter den Teppich zu kehren.

Der Medizinhistoriker Volker Hess berichtete, eine erste Befragung von Charité-Mitarbeitern zum Arbeitsalltag in der DDR habe ein „widersprüchliches Bild“ ergeben. So hätten viele zwar ein „großes Gemeinschaftsgefühl“ gelobt – aber sich gleichzeitig beklagt, ständig politisch gegängelt worden zu sein. Man sei stolz gewesen, zu einem „Leuchtturm des Ostens“ zu gehören, habe aber tatenlos zusehen müssen, wie wegen der Mangelwirtschaft „viele Geräte den Bach runtergingen“. Die Wendejahre seien als „traumatisches Ereignis“ erlebt worden.

Wie nahm die Bevölkerung das wichtigste Krankenhaus der DDR wahr? Die Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe, die 1975 kurzzeitig als Hilfspflegerin in der Charité arbeitete, sagte, über „Privilegiensysteme“ für Medikamente aus dem Westen oder Wartezeiten bei Operationen sei häufig diskutiert worden. Man habe aber auch über Fluchtmöglichkeiten aus den grenznahen Häusern der Charité spekuliert. Tilmann Warnecke

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