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Zukunft der Gesundheit: Armutsbedingt und wenig beachtet

Mehr als eine Milliarde Menschen in mehr als 149 Ländern leiden an mindestens einer von 17 vernachlässigten Tropenkrankheiten. Die Bundesregierung fördert die Erforschung dieser Krankheiten.

Die Krankheiten haben seltsam klingende Namen, zum Beispiel Buruli Ulkus oder Chagas. Manche verursachen Fieber, blutigen Durchfall oder Atemnot. Andere bilden Geschwüre oder zerstören innere Organe. Gemeint sind Tropenkrankheiten, vor denen man am liebsten die Augen verschließt; hofft, keine Bilder sehen zu müssen und sich nicht vorstellen mag, wie sehr die Betroffenen leiden. Krankheiten, gegen die es zum Teil sogar Medikamente gibt. Doch niemanden, der sie bezahlt. Denn die, die unter diesen Krankheiten leiden, gehören zu den ärmsten der Welt.

Mehr als eine Milliarde Menschen in mehr als 149 Ländern und Gebieten der Erde leiden an mindestens einer von insgesamt 17 Krankheiten, die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als vernachlässigte tropische Erkrankungen zusammenfasst. NTDs (von engl.: Neglected Tropical Diseases), wie die Erkrankungen im Fachjargon abgekürzt werden, sind Infektionen, die in der Regel durch Bakterien, Viren, Würmer oder tierische Einzeller (Protozoen) hervorgerufen werden.

Sie sind zumeist chronisch, selten tödlich und grassieren fast immer dort, wo Armut, mangelnde Hygiene und eine schlechte medizinische Versorgung vorherrschen. Besonders betroffen sind afrikanische Länder südlich der Sahara sowie tropische Regionen Asiens und Südamerikas. Schwangere und Kinder unter fünf Jahren haben besonders unter den Infektionen zu leiden – ihr Immunsystem kann sich gegen viele der Krankheitserreger nicht wehren.

Wie groß die Last durch die Tropenkrankheiten ist, zeigt der DALY (Disability Adjusted Life Years Lost) an. Der Wert ergibt sich aus der Zahl der Lebensjahre, die durch eine Krankheit beeinträchtigt sind, und der Zahl der Jahre, die durch einen vorzeitigen Tod verloren gegangen sind. Mit einem DALY von weltweit 57 Millionen Lebensjahren wirken sich die NTDs auch auf die Volkswirtschaften aus. Viele Erkrankte sind in ihrem Alltag so stark beeinträchtigt, dass sie weder zur Schule noch zur Arbeit gehen können, der Weg aus der Armut ist damit versperrt.

Doch sind die Krankheiten wirklich so tückisch, dass die Medizin kein Gegenmittel findet? Nicht unbedingt. Tatsächlich gibt es gegen einige der Krankheiten sogar wirksame Medikamente. „Manchmal fehlen nur noch ein paar klinische Studien, die Zulassung in einem afrikanischen Land oder Wege, die Medikamente zu den Patienten zu bringen“, sagt Professor Christian Drosten. „Doch das Geschäft mit den Tropenkrankheiten rechnet sich für die Pharmakonzerne einfach nicht“, fasst der Leiter des Instituts für Virologie am Universitätsklinikum Bonn, die bittere Wahrheit zusammen.

Auch die Forschung hinkt dem Bedarf an medizinischer Versorgung hinterher. So kamen zwischen 1974 und 2004 beispielsweise 1556 neue Pharma-Wirkstoffe auf den Markt, aber nur zehn davon richteten sich gegen vernachlässigte tropische Infektionserkrankungen. Ein Grund: Die Industrienationen haben jahrzehntelang ausschließlich in die Erforschung solcher Krankheiten investiert, die die eigene Bevölkerung betreffen.

Erst nach und nach gelingt es den Verantwortlichen wirklich global zu denken: So erweitert die Bundesregierung im Jahr der Gesundheitsforschung ihre tropenmedizinische Förderinitiative. 20 Millionen Euro sollen – verteilt auf vier Jahre – in die Erforschung armutsbedingter oder vernachlässigter Erkrankungen fließen.

Besonders das Engagement privater Stiftungen wie der Bill und Melinda Gates Foundation rüttelt die Verantwortlichen in den großen Industrienationen auf. „Bill und Melinda Gates haben der Tropenmedizin zum Durchbruch verholfen“, sagt der Professor Peter Kremsner. „Sie haben andere mit ihrem Engagement mitgezogen und die Idee wachgehalten, dass wir eine gemeinsame Welt sind.“ Kremsner, der neben der Tübinger Tropenmedizin auch das Albert-Schweitzer-Krankenhaus in Lambaréné in Gabun leitet, begrüßt die Initiative der Bundesregierung und hofft, dass sie weitere Fördermaßnahmen anstoßen wird.

Vergleicht er die 20 Millionen Euro, die das Forschungsministerium nun in die Erforschung vernachlässigter und armutsbedingter Erkrankungen investiert, jedoch mit dem Budget seiner internationaler Kollegen, ist die Summe allerdings verschwindend gering. Vor allem Länder mit einen langen Kolonialgeschichte engagieren sich wesentlich stärker für die Tropenmedizin. Doch man werde auch mit 20 Millionen Euro etwas erreichen, so der Tübinger Arzt.

Das Fördervolumen ist gering, der Forschungsbedarf riesig. Denn die Maßnahme soll nicht neuen Schwung in die Erforschung der 17 von der WHO genannten vernachlässigten tropischen Erkrankungen bringen. Auch intensiv beforschte Infektionskrankheiten wie HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria stehen im Fokus der staatlichen Förderung. Die „Großen Drei“ der Tropenerkrankungen gehören zwar nicht zu den vernachlässigten Tropenkrankheiten. Ihre Verbreitung in den Entwicklungsländern ist aber eng an die Armut gekoppelt. Eine Behandlung wie sie in den westlichen Industrienationen üblich wäre, kann sich in den Tropen fast niemand leisten.

Wichtiges Instrument der neuen Förderinitiative des Bundesforschungsministeriums sind daher auch sogenannte Produktentwicklungspartnerschaften, kurz PDP. Die Allianzen sind international organisiert und bündeln das Know-how von Pharmafirmen, akademischen Labors und zivilgesellschaftlichen Organisationen.

Gemeinsam treiben sie als Non-Profit-Unternehmen die Entwicklung von Präventionsmaßnahmen, Diagnostika oder Medikamenten voran. Öffentliche und private Geldgeber finanzieren sie. Dafür stellen die PDPs später ihre Produkte den Betroffenen zu einem sehr geringen Preis zur Verfügung.

Forschungsinvestitionen, innovative Partnerschaften – alle Anstrengungen laufen jedoch ins Leere, wenn nicht auch die Menschen vor Ort einbezogen werden. Die Bevölkerung in den Infektionsgebieten muss wissen, woher die Krankheiten kommen und wie sie sich davor schützen kann. Darüber hinaus muss eine geeignete Infrastruktur geschaffen werden, damit Arzneimittel produziert und verteilt werden können. Forschung allein wird die Medikamente noch nicht zu den Menschen bringen.

Julia Thurau

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