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Der Bauch einer Schwangeren wird mit Ultraschall unetrsucht. Die Umrisse des Kindes sind auf dem Bildschirm an der Wand zu erkennen.

© picture-alliance/ dpa

Schwangerschaft: Zwischen Vorsorge und 3-D-Fernsehen

Werden Schwangere wirklich zu häufig untersucht? Von schädlicher Überversorgung kann kaum die Rede sein.

Inflationäre Vorsorge! Geschäft mit der Angst! Gesunde Frauen werden unnötig zu Patientinnen gemacht! Das sind die Schlagzeilen in den Medien. Und es mögen auch die Gedanken sein, die die Nachricht von der frisch veröffentlichten Befragung der Bertelsmann-Stiftung zur Vorsorge von Schwangeren hervorruft.

Was ist dort wirklich zu lesen? Die Gesundheitswissenschaftlerinnen Rainhild Schäfers von der Bochumer Hochschule für Gesundheit und Petra Kolip von der Universität Bielefeld haben im Auftrag der Stiftung Fragebögen von insgesamt 1293 Frauen ausgewertet, die zwischen November 2013 und Oktober 2014 ein Kind bekommen haben und sich danach an ihre Schwangerschaften erinnerten.

Die Frauen entstammen einer Zufallsstichprobe von Versicherten der Barmer GEK, bei über der Hälfte von ihnen war es das erste Kind. Alle hatten sie die Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch genommen, die seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts von den gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der (mit der Zeit veränderten und erweiterten) Mutterschaftsrichtlinien angeboten werden. Fast alle – 99 Prozent der Befragten – hatten darüber hinaus auch Untersuchungen und Tests bekommen, die dort nicht aufgelistet sind. Zumindest nicht für Frauen, bei denen sich während der Schwangerschaft keine besonderen Probleme zeigen.

Manche Schwangere wollen sich vergewissern, dass ihr Kind lebt

Über 90 Prozent der Frauen hatten mindestens einmal, meist aber deutlich öfter die Herztöne der Kindes und ihre eigenen Wehen per Kardiotokogramm (CTG) ermitteln lassen, das während der Schwangerschaft laut Richtlinie nur bei Risiken wie einer drohenden Frühgeburt zum Einsatz kommen soll. „Einen strikten medizinischen Grund dafür gibt es selten“, sagt der Gynäkologe Klaus Vetter, langjähriger Chefarzt der Geburtshilfe bei Vivantes Neukölln. Allerdings falle es schwer, auf ein CTG zu verzichten, wenn eine Schwangere Angst hat, dass ihr Kind sich nicht mehr bewegt.

Was erstaunte, war das Ausmaß, in dem der Ultraschall zum Einsatz kam. Dreimal soll während einer normalen Schwangerschaft ein Ultraschall gemacht werden. Um die 20. Schwangerschaftswoche herum kann er „erweitert“ sein, die Suche nach Fehlbildungen der Wirbelsäule und der inneren Organe umfassen. Plastische Bilder in 3-D oder 4-D stehen dagegen nicht auf der Liste der Kassenleistungen. Trotzdem berichteten fast 90 Prozent der Mütter davon.

Wie ist das zu bewerten? Wenn Uwe Schwenk von der Bertelsmann-Stiftung mahnt: „Mehr ist nicht zwingend besser“, ist ihm unbedingt zuzustimmen. Mit Recht warnen Vertreter der wissenschaftlichen „evidenz-basierten“ Medizin, dass generell in Kliniken und Arztpraxen zu viele Tests gemacht werden, deren Ergebnis für den konkreten Patienten eigentlich irrelevant ist. Und zu viele Behandlungen, die ihm nicht nützen, möglicherweise aber schaden. Weise auswählen, muss die Devise heißen. Stimmt es aber auch, wenn Schwenk von einer „klaren Überversorgung während der Schwangerschaft“ spricht?

Der Berufsverband der Frauenärzte hat dem energisch widersprochen. Er verweist darauf, dass heute deutlich mehr Frauen mit Risiken wie Übergewicht, hohem Blutdruck und Diabetes schwanger werden als in der Anfangszeit der Vorsorgeuntersuchungen. Tatsächlich erinnerten sich 71 Prozent der von der Bertelsmann-Stiftung Befragten daran, bei ihnen habe es mindestens einen belastenden Befund gegeben. Das Ergebnis ist natürlich subjektiv, weil es einer rückblickenden Befragung entstammt. Die bundesweite Auswertung der Perinataldaten von 2013, die sich auf die Angaben in den Mutterpässen stützte, zeigte allerdings ein ähnliches Bild: Bei 76 Prozent der Schwangerschaften gab es zumindest ein besonderes Problem. Das könnte einige Zusatzuntersuchungen erklären.

Ein Test auf Streptokokken kann eine Blutvergiftung des Kinders verhindern

Dazu kommt, dass Tests wie der vaginale Abstrich, mit dem gegen Ende der Schwangerschaft nach Beta-Streptokokken gefahndet wird, zwar nicht in den Mutterschaftsrichtlinien stehen, aber von der US-Seuchenbehörde CDC als Routinemaßnahme empfohlen werden. Wenn man von der Infektion der Mutter weiß, kann man eine Blutvergiftung der Neugeborenen verhindern.

Aber die schönen Bilder des Ungeborenen in 3-D und 4-D, die so genau sind, dass zu Hause die Großeltern schon vor der Geburt ihres Enkels nach Ähnlichkeiten suchen können? Welchen medizinischen Nutzen haben sie? „Da von Ultraschalluntersuchungen keine Gefahren für das Baby ausgehen, kommen Frauenärztinnen und -ärzte diesem Wunsch nach, wenn sie darum gebeten werden“, kommentiert man beim Berufsverband. Für vier von fünf Zusatzleistungen zahlen der Befragung zufolge die Eltern selbst.

„Insgesamt ist bei der Befragung das herausgekommen, was wir schon wussten: Es wird in der Schwangerschaftsvorsorge mehr gemacht, als vorgeschrieben ist“, sagt der Gynäkologe Vetter. Diskutiert werden muss, ob Vorschläge von Frauenärzten, von Freunden und nicht zuletzt aus den Medien, doch lieber noch diese und jene Zusatzuntersuchung zu machen, bei den werdenden Eltern Ängste schüren. Ob durch diagnostische Möglichkeiten Druck entsteht, vor allem bei besonders gebildeten und gewissenhaften werdenden Müttern. Auch ob Ärzte und Hebammen es aus Angst vor juristischen Konsequenzen und aus Gewinnstreben mit Diagnostik übertreiben.

Was werdende Eltern auf jeden Fall brauchen, ist sachliche Information über Sinn und Zweck aller Vorsorgeuntersuchungen. Den Wunsch nach möglichst viel Sicherheit sollte man ihnen jedoch nicht verübeln. Dass sie grundsätzlich nicht zu den Ängstlichen gehören, sondern eher mutig sind, zeigt ihre Entscheidung für ein Kind.

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