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Panorama: Die Fährte des Wolfs

Neue Dokumente aus der Birthler-Behörde im Fall Günter Wallraff: Der verflixte 17. Dezember 1971 und die Folgen bis heute. Warum fuhr Anwalt Wolf-Dieter Reinhard nach Ost-Berlin und traf Stasi-Mitarbeiter? Die unendliche Geschichte von Vorwürfen und Dementis.

Er bot sich an wie warmes Bier. Er tat plump-vertraulich und trat auf wie der Meisterspion Richard Sorge… Er offerierte sich der politischen Polizei als Spitzel.

Zeitschrift „konkret“, März 1968: Mit diesen Sätzen reißt das Politblatt einen Artikel von Günter Wallraff an. Darin beschreibt er seinen Versuch, sich der politischen Polizei in den Uni-Städten Heidelberg und Würzburg zum Schein als Informant beim Sozialistischen Deutschen Studentenbund anzudienen. Rollenspiele dieser Art machen ihn später berühmt. Die Reportage endet mit dem Hinweis „Fortsetzung folgt“.

Kaum dass der ziemlich linke „Spitzel“-Beitrag im Westen gedruckt war, rühmte sich Stasi-Offizier Heinz Dornberger im Osten einer neuen Eroberung: „Als im April 1968 eine operativ günstige Situation vorhanden war, wurde W. direkt angesprochen und zu einer Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst der DDR geworben.“ Dornberger, bei der Hauptverwaltung Aufklärung, HVA, für „Schaffung und Steuerung von Einflußagenten“ zuständig, verfasste diese interne „Auskunft“ 1976. Wallraff erhielt den Decknamen „Wagner“ (der Tagesspiegel berichtete), die Spionagetruppe stuft ihn als „zuverlässigen Verbündeten“ ein, führt ihn als „IM-Vorgang mit Arbeitsakte“, Registriernummer XV 485/68. Wahrlich keine berauschende Vorstellung, in Dornbergers Darstellung schrumpft der vom Publikum verehrte Aufklärer Wallraff zur Stasi-Handpuppe. Der Major rechnet sich nämlich an, „von uns übergebene Materialien wurden seit Anfang Oktober 1969 zu vielfältigen publizistischen Maßnahmen…genutzt“.

Puzzleteile

Zur Erinnerung: Kraft Amtes hatte Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, im Sommer geurteilt, „es gibt nun ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass er aktiv für die Stasi tätig war – das gilt vor allem zwischen 1968 und 1971“. Der Starautor wehrt sich seitdem vehement und bestens beraten gegen den Vorwurf, gleichsam ein Doppelleben geführt zu haben. „Zu keiner Zeit“ habe er sich „gegenüber dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit zur Lieferung von Informationen bereit erklärt oder diesem Informationen gegeben". Ihn womöglich belastende Karteikarten und Papiere tut Wallraff als „Wichtigtuereien“ von Stasi-Leuten ab, „übliche Großsprecherei“, „aufgewärmter Rufmordversuch". Die um ihn bemühte HVA-Abteilung X, „Aktive Maßnahmen/Desinformation“ war auf Propaganda im „Operationsgebiet BRD“ spezialisiert.

Unschuldsbeteuerungen des unter Spitzel-Verdacht gestellten Wallraff sind in einer unendlichen Geschichte von Vorwürfen und Dementis das eine. Höchst dubiose Begleitumstände seines DDR-Komplexes, von Reisen, Kontakten, Bezugspersonen und Publikationen das andere. Man sollte nichts ausschließen bei Mielkes Firma, aber es müsste schon eine gigantische Verschwörung zu seinem Nachteil gewesen sein, würden die ihn ins schiefe Licht setzenden Puzzleteile ein total falsches Bild zeichnen. Allen voran hätte just ein so ausgeschlafener Publizist wie er die Widersprüche in der Sache aufzuhellen versucht, grade der Enthüller Nr.1 würde den Ungereimtheiten gnadenlos nachspüren, bekannt für prüfende, skeptische Augen, mit denen er Machenschaften sondierte.

Nun vergrößern dem Tagesspiegel vorliegende Schriftstücke das Rätsel weiter. Diverse Stasi-Vermerke suggerieren, dass Wallraffs Beziehung nach drüben doch eine andere Qualität gehabt haben könnte als nur die von ihm behauptete. Er beteuert stets, er habe dort „nur Archive genutzt, bin aber nie selbst benutzt worden“. Das jetzt aufgetauchte Material legt jedoch den Schluss nahe, dass der Preisgekrönte schon einmal die Enttarnung der DDR-Connection fürchten musste. Alles, was ihn heute in Erklärungsnot bringt (und die Glaubwürdigkeit tangiert), kreist um den 17.Dezember 1971.

Ein verflixter Freitag. Wallraff saß im Kopenhagener Bahnhofslokal mit Heinz Gund- lach zusammen. Im Hauptberuf Redakteur der Rostocker „Ostsee-Zeitung“, kam er nach Darstellung der Bundesanwaltschaft als „Inoffizieller Mitarbeiter“, Deckname „Friedhelm“, dorthin. In Marsch gesetzt von besagtem Dornberger. Wallraff gegenüber nannte der sich übrigens „Gebhard“. Er hatte seinen „Friedhelm“ als „Instrukteur“ an den aufstrebenden Publizisten herangespielt; Instrukteure waren gemäß Stasi-Lehrmaterial „Vertreter der Zentrale vor Ort“. Wallraff wählte nach amtlicher Erkenntnis das Ziel Kopenhagen aus. Ihre Begegnung „diente dem Zweck, einerseits die von Günter Wallraff auftragsgemäß beschafften Informationen und Materialien entgegenzunehmen und andererseits Wallraff für dessen weitere Tätigkeit zu instruieren“, nachzulesen in einer Anklageschrift aus den 90ern gegen Oberst Wagenbreth, Dornbergers Chef. Dauer ihrer Unterredung eine Stunde. Den Beteiligten sei „die Notwendigkeit der Konspiration im Umgang miteinander bewußt gewesen“. Was sie nicht ahnten: Die dänische Reichspolizei observierte.

„IM Friedhelm“ reiste von Berlin-Tempelhof nach Kopenhagen. Dornberger schleuste ihn an der Friedrichstraße routiniert durch die Grenze, füllte dazu bloß eine weiße Karte mit dem Kürzel „1 Person A“ (wie Ausreise) aus, kolportieren Stasi-Veteranen. Der Flugplan bot Gundlach via Hamburg vier Verbindungen, um ohne Stress die 15-Uhr-Verabredung zu erreichen. Der „Instrukteur“ übernachtete im Regina Hotel, „Room 9“, wenn die Polizei richtig guckte.

Kalte Füße

Am anderen Tag war Gundlach für die Heimreise gebucht. Beim Umsteigen in Hamburg wird er wegen seines auf den Namen Heinz Guntermann laufenden Falschpasses C 0743341 verhaftet, vom BKA als Stasi-Arbeit identifiziert. Sein Führungsoffizier hatte das Papier wie üblich in der getarnten Stasi-Villa neben dem Friedhof Hohenschönhausen abgeholt, aber auch sonst Pech mit Kurieren, „vier bis fünf“ seien ihm weggefangen worden. Die Bundesanwaltschaft war 1993 sicher: Gundlach benutzte den BRD-Pass, „um den DDR-Kontakt Wallraffs zu verschleiern“.

Wie war die Lage? „IM Friedhelm“ saß in U-Haft. Die Polizei hatte Material beschlagnahmt, Notizen und Unterlagen, die ihm Wallraff übergeben haben soll. Die Frage war, was würde er preisgeben? Für aufgeflogene Kuriere galt, der „Erstüberprüfung“ durch Feindesorgane standzuhalten, eine „Rückzugslegende“ aufzutischen. Die eingeübte Story sollte testen, „was weiß der Gegner“?, berichtet ein Ex-Offizier. Zum Klassenfeind entsandte Instrukteure hatten für Notsituationen die Nummer eines Decktelefons, „DT“, im Kopf, „das A und O des Verbindungswesen“. Zur Kontaktaufnahme konnten Verwandte alarmiert werden. Gundlach erklärte der Stasi nach seiner Freilassung, er habe sich „zu gegebenem Zeitpunkt als DDR-Bürger und Journalist zu erkennen gegeben“.

Wie Wallraff von der Verhaftung Gundlachs erfuhr, darüber schweigen die Akten. Die schriftliche Anfrage des Tagesspiegel dazu ließ Wallraff unbeantwortet. Versuche, ihn am Telefon zu sprechen, scheitern. Stasi-Kader betonen, es müsse für Verhaftungen ein „Warnsystem“ gegeben haben. Dass Wallraff wegen des einsitzenden Gundlach kalte Füße bekommen haben soll, ließe sich aus der Akte des zuständigen Dornberger herauslesen. Er dokumentierte: „Als ,Wagner’ (alias Wallraff, Red.) von der Festnahme des ,Friedhelm’ erfuhr, führte er panikartige Handlungen durch (im betrunkenen Zustand Auto geführt), welches auch zu einer Offenbarung seines Kontaktes zum MfS gegenüber der KP ,Wolf’, Abteilung IV, führte.“ Im Klartext ist hier von einer „Kontaktperson ,Wolf’“ der „Militärischen Aufklärung“ die Rede. Es handele sich „um einen Rechtsanwalt, der Personen aus Kreisen der Baader-Meinhof-Gruppe verteidigte“. „Wolfs“ Fährte war bisher nicht aufzunehmen, der Name nicht entschlüsselt.

Nach Tagesspiegel-Informationen verbirgt sich dahinter der Hamburger Strafverteidiger Wolf-Dieter Reinhard, damals Anwalt der zur Terrorszene gerechneten Marianne Herzog. Der Schriftsteller selbst erklärte in einer früheren Stellungnahme, „von panikartigen Handlungen konnte keine Rede sein“. Er habe diesem Anwalt gegenüber, „von dem ich keineswegs wußte, dass er Kontakte zum MfS hatte, die Situation so geschildert, wie ich sie auch zuvor Freunden dargelegt hatte“. Vom Tagesspiegel zu den Stasi-Notizen befragt, erklärt Reinhard am Telefon, mit Rücksicht auf seine Verschwiegenheitspflicht könne er keine Äußerung machen. „Ich kann nicht bestätigen, dass ich die Kontaktperson ,Wolf’ bin.“ Allgemein führte er aus, sofern es „Interessen“ von Klienten diente, habe er Kontakt zur Stasi gesucht. „Man muss als Verteidiger auch mit dem Teufel reden.“ Bemerkenswert bleibt: Wallraff will nicht gewusst haben, dass der Jurist MfS-Kontakte hatte.

Der hier erstmals zitierte „Vorgang Reinhard“ schildert den Fall völlig anders. Am 24.Januar 1979 tippt Hauptmann Helmut Voigt von der „Terror-Abwehr“ für eine Personenkontrolle drei Seiten in die Maschine: „Betr. Reinhard, Wolf-Dieter“. Demnach seien mit Reinhard seit 1968 „in regelmäßigen Abständen Treffs in der Hauptstadt der DDR durchgeführt worden“. Der Vermerk spricht von „kontinuierlicher Zusammenarbeit“ mit der HVA. Wörtlich: „Er erklärte sich bereit, dem MfS Informationen zu übermitteln.“ Bedeutsames soll er „jedoch nicht erarbeitet haben“. Reinhard werde „sehr intelligent eingeschätzt“, zeigte bei Treffs, dass er „mit den Regeln der Konspiration gut vertraut ist“. Es widerspricht jeder DDR-Realität, West-Anwälte hätten zur Regelung von Rechtsgeschäften rasch durch die Mauer gehen können.

Was ist faul an der Sache?

Dann fasst Voigt im Stasi-Deutsch den brisanten Inhalt eines Gesprächs mit Reinhards HVA-Kontaktleuten zusammen: Er habe sich „im Zusammenhang mit der Inhaftierung eines Kuriers des MfS in Hamburg“ wieder bei der HVA gemeldet „und bat um Unterstützung, da einer Person…in der BRD, die diesem Kurier Material übergeben hatte, Schwierigkeiten entstehen könnten“. Handschriftlich ist der Name dieser Person mit „Wolhrab“ eingefügt, man könnte auch „Walhrab“ entziffern. Insider berichten, Voigts Informant habe stark gesächselt, jedenfalls setzt der ein Fragezeichen hinter den Namen, wohl weil er sich der Schreibweise nicht sicher ist und das Gehörte phonetisch wiedergibt. Mit „Wolhrab“ kann nur der Voigt offensichtlich nicht geläufige Wallraff gemeint sein.

Der Hauptmann schreibt unter der Kopfzeile „Reinhard“ mit durchaus skeptischem Unterton weiter, in Verbindung mit der zuständigen Diensteinheit seien dann „angeblich mit R. konkrete Verhaltensmaßnahmen und das Vorgehen in der BRD vereinbart“ worden. Das Ergebnis? „Nach einigen Monaten erschien R. wieder in der DDR und berichtete, dass die eingeleiteten Maßnahmen nicht zur Dekonspiration geführt haben.“ Dekonspiration bedeutet laut Stasi-Wörterbuch „die Enttarnung politisch-operativer Arbeitsprinzipien“. Also, eine Enttarnung hat nicht stattgefunden! Wahr ist: Wallraff flog nicht auf, die Bundesanwaltschaft recherchierte den Sachverhalt mit „Instrukteur“ Gundlach erst nach 1990 und klassifizierte dabei den Autor als „nachrichtendienstliche Quelle“.

Drüben untersuchte die Stasi fleißig Gundlachs Panne. Aus Unterlagen „sowie den Bekundungen von ,Friedhelm’ und ,Wagner’“ ergebe sich, dass „Wagner“ (alias Wallraff, Red.) weder zeugenschaftlich vernommen wurde, noch eine Gegenüberstellung erfolgte, obwohl die Verhaftung des „Friedhelm“ eine „unmittelbare Folge“ des Treffs mit ihm gewesen sei. Man kam nicht dahinter, was an der Sache faul sei. Heute weiß man, dass das BKA zwar auf „nachrichtendienstliche Tätigkeit“ tippte. Da Wallraff im Zuge einer Terroristenfahndung observiert wurde, hielten Fahnder die Jagd nach Baader-Meinhof-Mitgliedern für wichtiger. Diese interne Abwägung verhinderte ein Spionageverfahren. Hätte sich in diesem Rahmen der Verdacht geheimdienstlicher Tätigkeit erhärtet, den Bestseller-Autor Wallraff hätte es wohl nie gegeben.

Gundlach kam mit der läppischen Urkundenfälschung und 5000 Mark Geldstrafe davon. Nach drei Monaten U-Haft kehrte er noch am gleichen Tag „in Begleitung seines Verteidigers in die DDR zurück“, verbuchte Dornberger. Es kann nur der Münchner Horst-Dieter Pötschke, gewesen sein, in Sicherheitskreisen für gute Beziehungen nach Ost-Berlin bekannt; sein berühmtester Fall war Kanzleramts-Spion Guillaume. Pötschke erklärt, er könne sich nicht mehr „nachhaltig genug“ an die Sache erinnern, was etwas seltsam klingt, da er Gundlach doch gen Osten eskortiert haben soll.

Advokat Reinhard erntete im Nachgang Stasi-Lob: Man moniert „extremistische Tendenzen“ des Linksanwalts, rechnete ihm aber hoch an: „Auch im Zusammenhang mit der Festnahme eines Kuriers in Hamburg hat er unter Beweis gestellt, dass er in der Lage ist, sich konspirativ zu verhalten und Lücken und Mängel im Regime der BRD für sich auszunutzen.“ Seit 1998 kursiert in der Justizverwaltung Hamburg eine amtliche Mitteilung, laut der „Herr Rechtsanwalt Wolf-Dieter Reinhard inoffiziell für den Staatssicherheitsdienst tätig gewesen ist“. Absender: Birthler-Behörde.

Nachdem Gundlach beim Hauptfeind gesessen hatte, jammerte er daheim (ein IM schrieb mit), er sei erschüttert gewesen, wie schnell man „von denen“ (gemeint: Stasi) fallengelassen wird, wenn man seine Arbeit getan hat. Sein Treffpartner machte Karriere. In der eingangs erwähnten Spitzel-Reportage steht: „Zuletzt wurde er fast geschnappt: konkret-Reporter Günter Wallraff.“

Jürgen Schreiber

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