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Jorgo Chatzimarkakis: „Es ist gewagt, was den Griechen zugemutet wird“

Jorgo Chatzimarkakis, Abgeordneter der FDP im EU-Parlament, über den Ernst der Lage, die Sparziele Griechenlands und billiges Geld von der Europäische Zentralbank.

Herr Chatzimarkakis, nach Ansicht von Unionsfraktionsvize Michael Fuchs haben die Griechen den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Stimmt das?

Nein. Ich glaube, dass Herr Fuchs noch nie in seinem Leben eine griechische Zeitung zur Hand genommen haben dürfte oder kürzlich in Griechenland vor Ort war. Den Ernst der Lage haben die Griechen sehr wohl erkannt. Man darf nicht glauben, dass diejenigen, die gegen die Sparpläne demonstrieren, die große Mehrheit der Bevölkerung vertreten. Diese Mehrheit ist sich bewusst, dass es radikale Reformen geben muss.

Gibt es nicht dennoch die Tendenz in der griechischen Öffentlichkeit, von den wahren Ursachen der Krise abzulenken? So wurde in der linksliberalen Zeitung „Eleftherotypia“ beklagt, auch der Internationale Währungsfonds (IWF) gehöre auf Druck Deutschlands zu den Geldgebern.

Das ist doch eine völlig legitime wirtschaftspolitische Fachdebatte, wie sie auch in Deutschland stattgefunden hat und bei der sich die Kanzlerin durchgesetzt hat. Ich bin auch gegen eine Beteiligung des IWF – wie übrigens selbst der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble. Aber das ist vergossene Milch – die Entscheidung ist gefallen.

Kann es Griechenland tatsächlich gelingen, die Neuverschuldung bis Ende 2012 unter die erlaubte Marke von drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes zu drücken?

Es hat in der jüngeren Geschichte nur eine Phase gegeben, in der ein derartiges Sparpaket in einer Rezession ausprobiert wurde. Das war die Politik des Reichskanzlers Heinrich Brüning in der Weimarer Zeit – wir in Deutschland kennen die Folgen. Es ist gewagt, was den Griechen zugemutet wird. Wie sollen sie in der Rezession, in der sie sich befinden, allein mit dem Sparplan Wirtschaftswachstum schaffen? Unter rein wirtschaftstheoretischen Gesichtspunkten wird es verdammt schwer sein, dies zu schaffen.

Das Sparziel der EU ist also unrealistisch?

Dies wird nur zu erreichen sein, wenn wir mit flankierenden Maßnahmen zur Wirtschaftsbelebung beitragen. Ein Beispiel: Wenn sich etwa allein die Billigsupermarktkette Lidl in ihren griechischen Filialen bereit erklären würde, dass im Warenangebot des Discounters 50 Prozent der Artikel künftig griechischen Ursprungs sind, dann könnten die Griechen es schaffen. Tengelmann bekommt beispielsweise Gelder der Europäischen Investitionsbank für sein Rumäniengeschäft nur dann, wenn sich die Handelskette verpflichtet, dort tatsächlich rumänische Waren anzubieten – zu 50 Prozent. Die griechische Wirtschaft muss produktiver werden, dafür braucht sie zunächst einmal Inlandskonsum.

Zu den Problemen Griechenlands gehören auch die relativ hohen Löhne.

Die maßgebliche Fehlentwicklung bestand darin, dass die Europäische Zentralbank billiges Geld in alle Euro-Länder gepumpt hat. Die Griechen haben anders als Spanier und Portugiesen das billige Geld nicht in Investitionen gesteckt, sondern in den Konsum. Solche Fehlentwicklungen lassen sich nur beheben, wenn wir den Geburtsfehler des Euro, die fehlende Wirtschaftskoordinierung, beseitigen: Wir brauchen jetzt eine Kohärenz in der europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik.

– Das Gespräch führte Albrecht Meier.

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