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In Zukunft ohne Zivis: Pflegebranche in Sorge

Zum 1. Juli wird nicht nur die Wehrpflicht ausgesetzt, sondern auch der Zivildienst beendet und durch einen Freiwilligen-Dienst ersetzt. Droht nun der Pflegebranche der Kollaps?

„Wo ist denn der nette junge Mann?“ Immer wieder stellen die Bewohner einer Berliner Senioren-WG diese Frage. Philipp spielte mit ihnen Skat, half beim Kochen, las vor, hörte zu. Es waren nur Hilfstätigkeiten, aber sie haben das Leben der zehn 60- bis 100-Jährigen lebenswerter gemacht. Jetzt ist Philipps Zivildienstzeit zu Ende. Einen Nachfolger gibt es nicht. Im Zuge der Bundeswehrreform wird zum 1. Juli mit der Wehrpflicht auch der Zivildienst ausgesetzt. Zurzeit gibt es zwar noch Zivis, aber es werden immer weniger: 45 125 sind es bundesweit – im März 2002 waren es nach Angaben des Bundesamtes für den Zivildienst noch 118 583. Wer in diesen Wochen seinen sechsmonatigen Dienst antritt, tut das freiwillig. Die letzten Zivis können im Juni anfangen und wären Ende des Jahres fertig.

Die zehn Senioren aus Marzahn-Hellersdorf werden von dem häuslichen Pflegedienst Meißner & Walter versorgt. Der Zivi Philipp habe Aufgaben erledigt, für die sich reguläre Pflegekräfte zwar gern Zeit nehmen wollten, aber selten könnten, sagt Geschäftsführer Thomas Meißner. „Sich unterhalten, zuhören – das ist gerade bei Demenzkranken wichtig.“ Für ältere Menschen bedeute der Wegfall des Zivildienstes „weniger Zuwendung, weniger Gespräche“. „Das Pflegepersonal kann das unmöglich alles kompensieren“, so Meißner. „Ich sehe die große Gefahr, dass die Menschlichkeit in der Pflege reduziert wird.“

Manch ein Pflegebedürftiger könne nur mit Hilfe eines Zivildienstleistenden am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, sagt der Präsident des Deutschen Pflegerates, Andreas Westerfellhaus. Aber auch die vermeintlich kleinen Hilfen im Alltag seien viel wert. „Das fällt nun weg oder muss mit sehr viel Aufwand finanziert werden.“ Wie die Bundeswehr sorgt sich auch die Pflegebranche um die Rekrutierung ihres Nachwuchses. „Ein Großteil der Karrieren von Männern in der Pflege wurde durch den Zivildienst initiiert“, sagt Westerfellhaus. Er befürchtet daher, dass es ohne Zivis auch weniger Auszubildende in der Pflege geben werde – fatal vor dem Hintergrund von Pflegenotstand und demografischem Wandel.

Der Leiter der Caritas-Arbeitsstelle Zivildienst, Michael Bergmann, warnt vor Panikmache. „Wenn der Zivildienst wegbricht, wird er zwar Löcher reißen.“ Das Kerngeschäft sei aber auch künftig gewährleistet. Schließlich hätten Zivis stets nur Zusatzarbeiten verrichtet – mit der Zeit, die den regulären Pflegern fehle. In Altenheimen, Krankenhäusern und Kindergärten kümmerten sie sich um alte, kranke und behinderte Menschen. Sie verrichteten Fahrdienste, manche engagierten sich auch im Umweltschutz. Die große Mehrheit, etwa zwei Drittel, arbeitete im unmittelbaren Dienst am Menschen. Dabei sollten sie keine regulären Arbeitskräfte ersetzen. Nicht selten wurde aus dem jungen Zuhörer ein guter Freund, aus dem alten Geschichtenerzähler ein enger Vertrauter.

Beim Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband machten die etwa 12 000 Zivildienstleistenden nur zwei Prozent der Mitarbeiter aus – „nicht viel“, urteilt Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider. „Qualitativ ist es nicht so, als bricht jetzt alles zusammen.“ Außerdem könne ein Zivi keinen Pfleger ersetzen. Aber auch Schneider sagt: „Es war eine gute Form, Menschen für unsere Arbeit zu gewinnen, das war für uns ungeheuer wichtig.“ Neidvoll blickt er auf die Bundeswehr. „Anders als der Verteidigungsminister haben wir nicht fünf Millionen Euro, um in der ,Bild’-Zeitung Werbung zu machen.“ Für eine eigene Kampagne fehle dem Paritätischen das Geld. Stattdessen will Schneider junge Menschen im persönlichen Gespräch für eine Ausbildung in der Pflegebranche begeistern, zum Beispiel an den Schulen. Weil es immer mehr Alte und zu wenige Pfleger gebe, steuere Deutschland auf ein großes Pflegeproblem zu – ob mit oder ohne Zivis.

Mit einem neuen Freiwilligendienst will die Bundesregierung den Wegfall der Zivis zumindest teilweise ausgleichen. Jährlich 35 000 Freiwillige visiert das Familienministerium an. Im Juli sollen die ersten ihren Dienst aufnehmen, im Regelfall für ein Jahr. Bewerben können sich Junge, Alte, Männer und Frauen. „Jeder, der sich engagieren will, soll sich engagieren können“, verspricht der Bundesbeauftragte für den Zivildienst, Jens Kreuter. „Schwerpunkt werden aber realistischerweise zunächst die 18- bis 27-Jährigen sein.“

Für den Bundesfreiwilligendienst ist eine groß angelegte Werbekampagne geplant. Zurzeit können Werbeagenturen aus ganz Europa Entwürfe einreichen. Der beste Beitrag soll im April präsentiert werden. Auf den Plakaten ist Kreuter zufolge ein freies Feld vorstellbar, auf das die Wohlfahrtsverbände ihr Logo drucken können. Pflegerats-Präsident Westerfellhaus hofft, dass die Kampagne das Image der Freiwilligenarbeit aufpoliert. „Wenn es gelingt, das positiv zu besetzen, dann können wir Interessenten für den Freiwilligendienst gewinnen.“

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) plant eine eigene Werbekampagne. Die ersten Plakate sollen Ende März hängen. Freiwillige müssten mehr Wertschätzung erfahren, auch durch Zeugnisse, sagt der AWO-Bundesvorsitzende Wolfgang Stadler. Dafür brauche es aber auch attraktivere Stellen. Schließlich sei es ein Unterschied, ob sich jemand freiwillig bewerbe oder – wie beim Zivi – zum Dienst gezwungen werde. Manche wenig fordernde, monotone Arbeiten hätten die jungen Männer mit zusammengebissenen Zähnen verrichtet, zum Beispiel auf der Poststelle Briefe zu sortieren. Heranwachsenden müsse vermittelt werden, dass soziales Engagement ihnen etwas bringe und sie nicht nur billige Arbeitskräfte seien. „Sie müssen merken, dass es ihnen Orientierung für den Beruf geben kann, dass es eine Zusatzqualifikation ist“, sagt Stadler.

Christine Cornelius

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