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Wirtschaft: „Weg vom Produkt, hin zum Prozess“

Der Kaufmann und Coach Joachim Kobuss berät Designer und stellt fest: Marketing hat ausgedient.

Herr Kobuss, glauben Sie, dass Marketing keine Zukunft hat?

Marketing als Instrument ist tot und wird gegen Ende der Dekade keine Rolle mehr spielen. Tut es heute eigentlich schon nicht mehr, es taugt nur noch dazu, den Status quo zu erhalten.

Wie geht es also weiter?

Wir befinden uns in einem Paradigmenwechsel. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es drei Wettbewerbszyklen, den Preis-, den Qualitäts- und den Gestaltungswettbewerb. Den letzten kennen wir am besten, weil er die letzten beiden Jahrzehnte bestimmt hat. Er wird gerade abgelöst, obwohl wir noch immer darüber reden.

Und wie heißt der nächste Wettbewerb?

Identitätswettbewerb. Gestaltung wird nicht mehr so eine Rolle spielen. Marketing hat als Instrument dazu beigetragen, dass wir zum Gestaltungswettbewerb gekommen sind. Im neuen Zyklus können wir das Marketing nicht mehr brauchen.

Nachhaltigkeit und Marketing passen also nicht zusammen?

Die Thesen von nachhaltigem Marketing sind grober Unfug. Es gibt eine Inflation von Designwettbewerben, wir haben allein zwei Bundespreise. Alle kommerziell ausgerichteten Preise investieren gerade ungeheuer viel in Wachstum – ein Zeichen, dass sie bald absterben. Die Akteure wollen ihren Status quo sichern und pushen das jetzt noch mal.

Deshalb ist ja auch in der Mode alles so durcheinander. Alle reden von „Heritage“, auch wenn die Firma erst drei Jahre alt ist.

Dadurch verwässert alles. Wichtig ist, dass ein Designer eine Identität hat, die ihn von anderen unterscheidet. Das ist das Elementare. Es gibt natürlich immer noch unendlich viele, die mit klassischen Instrumentarien arbeiten. Die werden sich neu aufbauen müssen oder verschwinden.

Schließen sich Marketing und Identität aus?

Das Identitätsmodell ist genauso alt wie das Marketing, es hat sich in den Nachkriegsjahren nur nicht durchgesetzt. Man war schon vor dem Zweiten Weltkrieg auf die Idee gekommen, den Leuten zu vermitteln, dass es nicht um die Bedarfsdeckung, sondern die Wunschbefriedigung geht. Marketing ist ein Instrument, das ausschließlich zur Konsummaximierung entwickelt wurde. Es ging nicht um Bedarf, es ging nicht um Umwelt und auch nicht um gesellschaftlich relevante Themen, es ging schlichtweg darum, profitorientierte Ziele zu verfolgen.

Was ist das Problem am Marketing?

Es ist ein nahezu perfektes Instrument – aber der Kollateralschaden, die Umweltbelastung, Ressourcenausbeutung, Klimabelastung sind enorm. Wie Einstein sagte: „Ein Problem kann man nicht mit der gleichen Denkweise lösen, wie es entstanden ist.“ Wir brauchen also eine neue Denkweise.

Was hat das alles mit Mode zu tun?

Es gibt keine klaren Tendenzen mehr, keine eindeutigen Trends. Das Durcheinander ist ein Zeichen dafür, dass eine Veränderung eintritt. Die Modebranche ist deshalb interessant, weil sie die Spitze der Orientierungslosigkeit ist.

Was zeigt sich an der Mode besonders gut?

Mode ist wirtschaftlich relativ unbedeutend, aber im Image ist es genau umgekehrt. Wie das Beispiel mit der Marke, die für jedes verkaufte Produkt eines spendet. Nichts gegen dieses Verfahren, aber es ist doch verdächtig am Marketing orientiert. Wenn man genauer hinschaut, ist das nichts anderes als eine Positionierung.

Wenn Marketing dem Konsumwachstum dient, ist Identität dann die Reduzierung?

Das ist ein Trugschluss. Wenn wir über Wachstum reden, meinen wir fast immer quantitatives Wachstum. Das geht dann nicht mehr. Wenn die Ressourcen verbraucht sind, kann es kein Wachstum geben, und bei der Verschuldung der Staaten haben wir auch immer weniger Finanzmittel zur Verfügung.

Also geht es um qualitatives Wachstum …

… richtig. Und da sind wir wieder bei der Entwicklung von Identitäten und Persönlichkeiten. Das bedeutet fürs Design: Es wird weniger in konkrete Gestaltung investiert und mehr in das, was davor passiert: weg vom Produkt, hin zum Prozess – das ist die Zukunft.

Könnten Designer da eine entscheidende Rolle spielen?

Sie werden eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen. In unserem Buch kommen wir zu dem Ergebnis: Designer schaffen die Voraussetzung für Innovation und Orientierung in Wirtschaft und Gesellschaft. Wenn ich das Designern präsentiere, dann zucken die.

Wie können die Designer denn zu Moderatoren werden?

Wir denken zu vertikal. Wir arbeiten in ganz schmalen Spezialgebieten und bilden systematisch Fachidioten aus. Da weiß der eine nicht, was der andere tut. Wir müssen horizontale Verbindungen herstellen. Da haben Designer die besten Voraussetzungen aufgrund ihrer Gestaltungskompetenz, Emotionalität und Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen. Sie sollten nicht Pixel schieben, sondern etwas Sinnvolles.

Das Gespräch führte Grit Thönnissen

Joachim Kobuss, 58, hat mit dem Designberater Michael B. Hardt ein Buch geschrieben. „Erfolgreich als Designer – Designzukunft denken und gestalten“, Birkhäuser Verlag, Basel 2012

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