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Brandenburg: Abhängig vom Ehemann, abhängig vom Schnaps

Im Prozess gegen die Mutter der neun toten Babys erinnern sich Ermittler an deren Aussagen kurz nach der Entdeckung der Kinderleichen

Von Sandra Dassler

Frankfurt (Oder) – Zweimal stritt Sabine H. alles ab. Sie habe, beteuerte sie bei ihrer ersten Vernehmung am 31. Juli 2005, nichts mit den neun Babyleichen zu tun. Die waren kurz zuvor auf dem Grundstück ihrer Eltern in Brieskow-Finkenheerd gefunden worden. Erst als der Kriminalist Frank K., der die heute 40-jährige Frau damals vernahm, ihr sagte, man werde durch Gen-Tests feststellen, wer die Eltern der Kinder seien, gab sie auf. „Sie haben Recht. Es ist so. Ich habe die neun Kinder getötet“, sagte sie laut Vernehmungsprotokoll.

Frank K. erinnerte sich gestern genau an diese Worte. Das Landgericht Frankfurt (Oder) muss auf seine Aussage und das Protokoll zurückgreifen, da sich die Angeklagte im Prozess nicht äußert. Auch gestern blieb sie stumm, nur manchmal lag ein schmerzlicher Zug auf ihrem Gesicht. Ihr wird vorgeworfen, zwischen 1992 und 1998 acht ihrer Neugeborenen getötet zu haben. Der Tod des eines weiteren Kindes aus dem Jahr 1988 ist verjährt. Möglicherweise war aber diese Tat eine Art Auslöser für die folgenden. In ihrer Vernehmung hatte Sabine H. zu erklären versucht, wie es dazu kam: Sie lernte ihren späteren Ehemann Oliver H. sehr jung kennen. 1985 wurde ihre Tochter geboren – da war sie 18 Jahre alt – 1987 und 1988 folgten zwei Söhne.

Ihr Ehemann habe schon auf die Nachricht von der dritten Schwangerschaft nicht erfreut reagiert. Drei Kinder seien ihm zu viel gewesen, sagte Sabine H. in der Vernehmung. Oliver H. war zu dieser Zeit hauptamtlicher Stasi-Mitarbeiter und soll gesagt haben, alle seine Kollegen hätten zwei Kinder, ein drittes schade seinem Ruf. Angeblich vertrug Sabine H. die Pille nicht, sie wurde wieder schwanger. Sie habe einerseits große Angst gehabt, ihrem Mann etwas von der Schwangerschaft zu erzählen, andererseits aber gehofft, er werde es selbst bemerken und dann doch akzeptieren: „Jeder Mann hätte sehen können, dass ich schwanger war“, sagte sie bei der Vernehmung.

Obwohl die Angeklagte nichts Negatives über Oliver H., von dem sie seit Jahren geschieden ist, verlauten ließ, wurde durch Aussagen bisheriger Zeugen deutlich, wie abhängig sie von ihm war. „Der Oliver hat das Geld verdient und der bestimmte, wo es langgeht“, sagten viele.

Gestern erzählte Frank K., dass Sabine H. bei der Vernehmung ausgesagt habe, dass sie befürchte, ihr Mann würde sich wegen der erneuten Schwangerschaft von ihr trennen. Sie hatte Angst, dass er die drei Kinder zugesprochen bekäme. Das angeblich verheimlichte Kind, ein Mädchen, brachte Sabine H. dann in einer Nacht im Badezimmer zur Welt. Es fiel in die Toilettenschüssel. Sabine H. will dann das Bewusstsein verloren haben. Als sie erwachte, sei das Baby tot gewesen. Sie habe es in ein Handtuch gewickelt, eine Flasche Schnaps getrunken und das Kind auf dem Balkon in einem Blumengefäß vergraben. Ihr Ehemann habe geschlafen und nichts bemerkt. Das nächste Kind brachte Sabine H. im Mai 1992 während eines Lehrgangs in Goslar zur Welt. Sie blieb morgens mit der Begründung, sie habe Schmerzen, im Bett. Kurz nachdem der Junge geboren war, kam eine Kollegin zurück. Weil das Kind wimmerte, warf Sabine H. eine Decke darüber. Am nächsten Morgen sei es leblos gewesen. An die Geburten der weiteren Kinder könne sie sich nicht erinnern, sagte sie Frank K.. Wenn die Wehen einsetzten, habe sie Alkohol getrunken, wenn sie aus dem Rausch erwachte, seien die Kinder begraben gewesen.

Prozessbeobachtern stellte sich die Frage nach der Rolle des Ehemanns. Niemand kann sich vorstellen, dass er von allem nichts bemerkt hat. Zweifelhaft ist auch, ob es stimmt, dass die Babys zwischen 1988 und 1998 geboren wurden. Nach Aussagen eines Kriminalbeamten war eine Leiche sehr gut erhalten, so dass Rechtsmediziner davon ausgingen, dass dieses Baby 2004 geboren wurde.

Die Schädelverletzung eines der Kinder erklärte Sabine H. während ihrer Vernehmung damit, dass dies wohl beim Umgraben der Blumengefäße geschehen sein müsse. Sie hatte alle Babys in Blumenkübeln und -kästen versteckt und diese dann bepflanzt. „Wenn ich draußen saß und eine rauchte, war ich froh, dass ich die toten Kinder nicht weggeworfen, sondern um mich herum hatte“, sagte sie in der Vernehmung damals. Sie habe dann oft gedacht, die könnten jetzt auch auf ihrem Schoß sitzen. Weil „dieser Gedanke so schmerzlich war“, habe sie dann wieder zur Flasche gegriffen.

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