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 Durch die brasilianische Metropole fahren täglich fast 100.000 Fahrzeuge.

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Alles begann mit Omega: Wie gut sind wir auf Hitze und Trockenheit vorbereitet? 

Erst Hitzerekorde, dann Tote: Im „Jahrhundert-Sommer 2003“ wurde der Klimawandel vielleicht zum ersten Mal spürbar. Trotzdem gibt es bis heute kein ausreichendes Hitzeschutzkonzept.

Von Pepe Egger

Strahlender Sonnenschein und Badewetter – der Sommer ließ sich zunächst harmlos an. Schon der Juni 2003 war der heißeste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen, Deutschland steuerte auf einen „Supersommer“ zu: Die Sonne schien fast doppelt so oft wie in anderen Jahren, aber das verhieß ja erst einmal nur wolkenloses Sommerwetter. Auch als das Hoch „Michaela“ im August neue Hitzerekorde bescherte und es immer trockener wurde, schlug die Stimmung nicht um: Die Zeitungen schrieben vom „Karibik-Feeling“, von Hitzefrei und lauen Sommernächten.

Erst allmählich, als Michaela nicht weichen wollte, stellte sich heraus: Der „Jahrhundert-Sommer“ war in Wahrheit eine Jahrhundert-Naturkatastrophe, die halb Europa erfasste. Wohl mehr als 40.000 Menschen starben, vor allem ältere, die Flüsse fielen auf Tiefststände, sodass die Schifffahrt stockte, die Schäden für die europäische Landwirtschaft gingen in die Milliarden.

In Frankreich herrschte im September blankes Entsetzen: So viele alte Menschen waren in der Gluthitze der Hauptstadt gestorben, dass es kaum zu fassen war. Das Gesundheitssystem war darauf nicht vorbereitet, die Altersheime dafür nicht ausgelegt. Und zum ersten Mal nach einer Extremwetterphase begann die Diskussion, ob das nun der Klimawandel sei, der hier für alle spürbar geworden war.

Was waren die Ursachen für die schlimmste Naturkatastrophe in Europa seit dem Erdbeben von Messina im Jahr 1908? Und vor allem: Wären wir heute gegen eine solche Hitzewelle besser gewappnet?

Meteorologieprofessor Uwe Ulbrich leitet an der Freien Universität die Arbeitsgruppe Klimadiagnostik und meteorologische Extremereignisse. Er erklärt die Ursachen des Rekordsommers so: Die Hitzewelle 2003 sei nicht per se anders gewesen als vorherige Hitzewellen. Entscheidend sei für eine Hitzewelle grundsätzlich, wie lange sich die zugehörige Wetterlage festsetze. Wenn nicht immer wieder kühlere Meeresluft von Tiefs herangeführt wird und die Hitze abmildert, heizen sich die Temperaturen durch fortgesetzte Sonneneinstrahlung immer weiter auf. „Omega-Lage“ heißt diese Art der hartnäckigen Wetterblockierung, bei der die Hitze sich immer weiter hochschaukelt.

Grüne Korridore: 2017 ließ die Stadtverwaltung von São Paulo vertikale Flächen begrünen. Gepflanzt wurden etwa 30 Arten, darunter Basilikum, Rosmarin, Oregano, Iris, Buntnessel und Lilie.
Grüne Korridore: 2017 ließ die Stadtverwaltung von São Paulo vertikale Flächen begrünen. Gepflanzt wurden etwa 30 Arten, darunter Basilikum, Rosmarin, Oregano, Iris, Buntnessel und Lilie.

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Warum aber hatte die Omega-Lage im Sommer 2003 so verhängnisvolle Auswirkungen? Ulbrich sagt, den Ausschlag für die von einer Hitzewelle betroffene Region gäben die jeweiligen Eigenheiten der Wetterkonstellation: wo und wie genau sich die Omega-Lage festsetzt und wie stabil sie ist. 2003 waren Frankreich, Teile Deutschlands, England und Südeuropa betroffen. Die Auswirkungen hingen aber wesentlich davon ab, wie gut man auf das Auftreten solcher Ereignisse vorbereitet sei.

Im Nachgang hatten Meteorologen berechnet, dass eine solch spezielle und besonders unwahrscheinliche Wetterkonstellation Deutschland nur alle 500 Jahre heimsucht. Uwe Ulbrich meint dazu allerdings: Die Berechnung von Wiederkehrperioden hänge von der Berechnungsgrundlage ab, also von der Vergangenheit als konstanter Basis. Das Problem dabei: „Wir haben keine konstante Basis mehr, auf die wir derartige Daten beziehen können. Die deutlichen Temperaturanstiege der vergangenen Jahre und die zu erwartende weitere Entwicklung durch den Klimawandel müssten berücksichtigt werden.“

Hitzewellen seien aber nicht die einzige Art von Extremwetter, bei dem wir uns auf veränderte Häufigkeiten und Intensitäten einstellen müssen. Feuerwehren und Wasserversorger, die Deutsche Bahn oder der Verband der Versicherungen sind dabei, ihre Modelle zur Risikoeinschätzung von Extrem-Wetterlagen anzupassen und dafür die meteorologischen Einschätzungen zu berücksichtigen.

Weniger Asphalt, weniger Versiegelung, mehr Grünflächen und Bäume. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns lebenswichtige Kaltluftschneisen nicht zubauen.

Lena Partzsch, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik am Otto-Suhr-Institut

Wie heftig die Auswirkungen von Hitzewellen aber tatsächlich seien, sagt Ulbrich, hänge davon ab, wie gut die Menschen in den betroffenen Landstrichen darauf vorbereitet seien: In Südeuropa sei man an hohe Temperaturen besser angepasst als im Norden. Bei gleichen Temperaturen seien die Auswirkungen dort weniger dramatisch.

2003 war ein Schock für viele Menschen. Aber haben Politik und Gesellschaft aus dem Jahrhundertsommer auch etwas gelernt? Was wurde getan, um künftig besser vorbereitet zu sein?

Lena Partzsch, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Umwelt- und Klimapolitik am Otto-Suhr-Institut, analysiert, dass über die Hitzewelle 2003 öffentlich zwar als Naturkatastrophe diskutiert worden sei, aber nicht sofort als Folge des Klimawandels. Das zeige, dass wissenschaftlicher Konsens zu einem gewissen Thema nicht ausreiche, damit ein Problem politisch relevant werde: Es brauche erst gesellschaftliche Akteure, die das Thema politisch aufs Parkett bringen. Und es brauche umsetzbare Lösungsvorschläge: Erst dann sei die Politik so weit, sowohl diskursiv als auch gesetzgeberisch zu reagieren.

Aus dem Hitzewarnsystem und geplanten Schutzplänen wurde wenig

Partzsch weist darauf hin, dass auch Klimaschutz-Befürworterinnen und -Befürworter sich früher stark auf Emissionsvermeidung konzentriert hätten und nicht auf Anpassung, weil jede vermiedene Treibhausgasemission Anpassungskosten in der Zukunft verringere. Inzwischen sei aber Konsens, stärker auf Anpassung zu zielen, was die In­frastruktur, das Gesundheitssystem und die Stadtplanung angeht.

Zwar wurden nach dem Hitzesommer einzelne Maßnahmen ergriffen – etwa ein Hitzewarnsystem beim Deutschen Wetterdienst (DWD) eingerichtet und Schutzpläne für ältere Menschen vorbereitet. Wie wenig aber daraus geworden ist, zeigt sich auch an den jüngsten Äußerungen des Bundesgesundheitsministers: Mitte Juni kündigte Karl Lauterbach (SPD) an, einen Hitzeschutzplan erarbeiten zu wollen. Mehrere Tausend Hitzetote jedes Jahr seien nicht akzeptabel. Tatsächlich hat das Robert-Koch-Institut errechnet, dass es 2022 in Deutschland rund 4500 Hitzetote gab. Lauterbach strebt ein Konzept nach dem Vorbild Frankreichs an, wo bei großer Hitze Schutzmaßnahmen greifen, etwa die verstärkte Versorgung älterer Menschen.

Hitze ist ein Problem vor allem der Städte, die sich viel stärker erwärmen werden als der globale Durchschnitt. Eine durchschnittliche Erderwärmung von 2 Grad würde sehr wahrscheinlich dazu führen, dass es in Deutschland doppelt so warm wird. Und in den Städten dann noch heißer, was bedeuten könnte, dass wir uns dort auf eine Erwärmung von bis zu 6 Grad einstellen müssten.

Lena Partzsch sieht nicht, dass das Thema heute in dem Maß auf der politischen Agenda steht, wie es von der Wissenschaft gefordert wird: „Es bräuchte Klimaanlagen in allen Altersheimen, Schulen und Kindergärten“, sagt sie. „Wir sind da noch nicht auf der Höhe der Herausforderung.“ Auch die Anpassung der Städte nach dem Prinzip „Schwammstadt“ werde nicht so verfolgt, wie es nötig wäre: Dabei geht es darum, das Wasser in der Stadt zu halten, anstatt es, wie in der Vergangenheit, möglichst abfließen zu lassen. Es bräuchte, sagt Partzsch, „weniger Asphalt, weniger Versiegelung, mehr Grünflächen und Bäume. Wir müssen auch aufpassen, dass wir uns lebenswichtige Kaltluftschneisen nicht zubauen.“

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