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In ihren Parteien als Schwäche ausgemacht: Frank Henkel (CDU) und Michael Müller (SPD).

© dpa

Berlin vor der Wahl: Niederlagen könnten für SPD und CDU ein Sieg sein

Den Noch-Partnern SPD und CDU steht in Berlin eine Schicksalswahl bevor, die beide als Verlierer sehen könnte. Daraus könnte jedoch auch ein Neuanfang folgen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Mit 28 Prozent wird es nichts mehr. So viel holte Klaus Wowereit 2011. Derzeit reicht es für Berlins SPD wohl nur zu 21 Prozent – Tendenz: seit Monaten sinkend. Bleibt es so, wäre es das schlechteste Ergebnis seit 1946. Das muss der Partei wehtun, die seit 2001 den Regierenden Bürgermeister stellt. Michael Müller ist zwar beliebtester Politiker – aber mit einem Wert, den sein Vorgänger selbst noch hatte, als er wegen des BER-Debakels abtrat. Müller zieht nicht bei den Wählern, er verkörpert offenbar nicht das Berlin-Gefühl wie der charmant-burschikose Wowereit. Nun wächst bei Genossen die Unruhe.

Dabei hat Müller im Herbst 2014 überzeugend begonnen: Er versprach, mit harter Arbeit wieder das so wichtige Kleine groß zu machen. Nach der Phase, in der Berlin weltweit hip wurde mit Glamour und Party, die Stadt wieder für die Berliner zu justieren in all den Dingen, die hier nicht funktionieren – von Schulen bis zur Verkehrslenkung, von Bürgerämtern bis zur Sauberkeit auf den Straßen. Diese Erwartung ist verpufft. Die bemerkenswert unbestimmten, fast zaghaft wirkenden Plakate, die selbst bei Genossen als nicht gelungen gelten, passen dazu. Die CDU dekliniert dagegen auf kernige Weise ihre Kernvokabel „sicher“ – von Schule bis Nahverkehr. Das hat die CDU mit nun 20 Prozent zur SPD aufschließen lassen.

Auch die Wähler haben gemerkt, dass der vom SPD-Parteichef ausgerufene Lagerwahlkampf keiner ist. Wo stehen denn grundsätzliche Richtungsentscheidungen an, die mit der CDU nicht zu machen sind und solche Abgrenzung rechtfertigten? Unüberbrückbare Positionen gibt es nicht. Gymnasien abschaffen will niemand, sondern stärken, wie SPD-Fraktionschef Raed Saleh gerade betonte. Und mehr Polizisten für die Sicherheit, mehr Investitionen für Infrastruktur, Bildung und mehr Personal für die Verwaltung versprechen beide. Das Burka- und Doppelpass-Getöse ist Wahlkampf-Folklore.

Berlin steht um vieles besser da als vor fünf Jahren

Tatsächlich steht Berlin um so vieles besser da als vor fünf Jahren, auch wenn die große Koalition in vielem sehr klein agierte. CDU-Chef Frank Henkel kann begründet betonen, dass Rot-Schwarz für Berlin ein erfolgreiches Projekt war. Es könnte sich nach dem Wahltag als schwerer Fehler erweisen, dass Müller die CDU strikt als Partner ausgeschlossen hat – vorausgesetzt, es reicht für eine Koalition. Wählern ist es schnurz, ob sich die Partner wegen der unterschiedlichen Partei-Mentalitäten nicht mögen – das müssen Politiker schon aushalten.

Unter Sozialdemokraten wird man auch gewahr, dass eine von Müller forsch als bundesweites Signal vorgetragene rot-rot-grüne Koalition, die es angesichts der ebenso mageren Zustimmung für Grüne und Linke schon bräuchte, um eine Mehrheit zusammenzubekommen, für die SPD komplexes Neuland bedeuten würden. Weniger Senatorenposten – und vor allem die Möglichkeit, dass Grüne und Linke gemeinsam die SPD am Senatstisch überstimmen können. Koch und Kellner – kannste vergessen.

Den Noch-Partnern steht deshalb eine Schicksalswahl bevor, die beide als Verlierer sehen könnte. Denn auch die CDU kann nicht hoffen, wie 2011 auf 23 Prozent zu kommen – da ist die AfD davor. In beiden Parteien wird deshalb schon über den Wahltag hinaus gedacht. Weil einige eine Niederlage schon einkalkulieren, erklärt sich manch überraschende Gelassenheit angesichts der schlechten Werte. Verantwortlich gemacht werden dann die beiden Spitzenkandidaten. Das eröffnet Perspektiven – für eine CDU ohne Henkel, der als Innensenator und Parteichef enttäuschte, für eine SPD ohne Müller, wenn er das Amt verspielt.

Eine Niederlage, die jeweils ein Neuanfang sein könnte. Bei der CDU für einen Kulturbruch mit einem im agilen Berlin vielfach altbacken wirkenden Konservatismus, verbunden mit einem ernsthaften Diskurs mit den Grünen. Und für manchen, wie den ehrgeizigen SPD-Fraktionschef Saleh, ist selbst eine Niederlage vielleicht auch ein Karrieresprung.

Noch 20 Tage.

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