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Werbung für die AfD am S-Bahnhof Marzahn.

© Ingo Salmen

Update

Berlin-Wahl in Marzahn-Hellersdorf: "Die AfD soll jetzt Verantwortung übernehmen"

Zwei Direktmandate, ein Stadtrat: Die AfD hat in Marzahn-Hellersdorf einen großen Erfolg erzielt. Doch das Ergebnis im Bezirk ist differenzierter, als es auf den ersten Blick scheint.

Die Wahl am Sonntag hat Berlin erschüttert - und das Epizentrum lag in Marzahn-Hellersdorf. Für das Abgeordnetenhaus holten die Rechtspopulisten die meisten Zweitstimmen aller Parteien im Bezirk. Das gab es sonst nirgendwo. Am Ende lagen die AfD mit 23,6 Prozent hauchdünn vor der Linken mit 23,5 Prozent. Der Vorsprung betrug 71 Wählerstimmen.

Zwei ihrer Kandidaten errangen Direktmandate für den Einzug ins Landesparlament. Jessica Bießmann ließ in Hellersdorf-Nord (Wahlkreis 3) Gabriele Hiller von den Linken mit 29,8 Prozent zu 28,1 Prozent hinter sich. AfD-Mann Gunnar Lindemann schlug im Wahlkreis 1 (Marzahn-Nord mit Ahrensfelde) Wolfgang Brauer mit 30,6 Prozent zu 28,7 Prozent. Es ist ein Debakel für den Linken-Politiker: Brauer hatte den Wahlkreis seit 1999 viermal in Folge direkt geholt. Auch die AfD-Bezirksvorsitzende Jeannette Auricht zog über die Liste ins Abgeordnetenhaus ein.

Der kleine Trost für die Linke: Mit 26,0 Prozent verteidigte sie den ersten Platz bei der Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung. Doch sie musste in einem ihrer Stammbezirke erneut Anteile abgeben (2011 waren es noch 31,2 Prozent, 2001 für die PDS sogar 51,1 Prozent). Alles läuft auf Dagmar Pohle als neue Bezirksbürgermeisterin hinaus. Die Linke hat 16 Sitze in der BVV. Zusammen mit der SPD von Amtsinhaber Stefan Komoß (18,3 Prozent, 11 Sitze, ein Minus von 8,1 Prozentpunkten) und den Grünen (4,6 Prozent, 2 Sitze) könnte es für eine rot-rot-grüne Mehrheit von 29 der 55 Sitze im Kommunalparlament reichen.

Auf Bezirksebene erzielte die AfD mit 23,2 Prozent das zweitbeste Ergebnis für die BVV-Wahl und wird 15 Bezirksverordnete stellen. Das bedeutet, dass sie mit einem Stadtrat im Bezirksamt vertreten sein wird. "Das Ganze ist ein katastrophales Ergebnis", sagte Bürgermeister Stefan Komoß in einer ersten Reaktion. "Das wird den Bezirk weit zurückwerfen." Der SPD-Politiker hatte in den letzten Jahren mit seinen Kollegen von der Linken und der CDU viel dafür getan, Marzahn-Hellersdorf als modernen Bezirk zu positionieren, der wirtschaftlich wächst. Kurz vor der IGA 2017 ist nun das mühsam aufgebaute Image wieder gefährdet.

Bei der ersten Prognose konnte Stefan Komoß (rechts) noch hoffen - doch viele Genossen waren schon entsetzt.
Bei der Prognose konnte Stefan Komoß (rechts) noch hoffen - viele Genossen waren schon entsetzt.

© Ingo Salmen

Die anderen werden mit der AfD zusammenarbeiten müssen

Große Ungewissheit herrscht in der Frage, wie sich künftig die Zusammenarbeit mit der AfD gestalten soll. Ja, Zusammenarbeit. Denn das Bezirksamt ist ein Kollegialgremium, Woche für Woche müssen die Stadträte das kommunale Verwaltungshandeln abstimmen. Für die AfD war zuletzt Manfred Bittner im Gespräch - früher für die Union Wirtschaftsstadtrat von Hellersdorf, dann wegen Korruptionsvorwürfen angeklagt, aber freigesprochen, schließlich Bürgermeister in einer brandenburgischen Gemeinde. Bittner sei jedoch zu alt, die gesetzliche Grenze für eine Wahl ins Bezirksamt liege bei 65 Jahren, erläutert Linken-Kandidatin Pohle am Montagmorgen.

Sie spricht sich dafür aus, die Rechtspopulisten nun in die Pflicht zu nehmen. "Wenn sie schon gewählt sind, dann sollten sie jetzt auch Verantwortung übernehmen und arbeiten, damit sie keine Zeit haben, auf dumme Gedanken zu kommen", sagte Pohle dem Tagesspiegel. Von der Überlegung, dem AfD-Stadtrat nur ein bedeutungsloses Ressort zu überlassen, hält die Linke nichts.

Pohle fordert jedoch von der Partei, "das sie die hetzerischen Sprüche aus dem Wahlkampf, die sich auch gegen Bürgerinnen und Bürger aus dem Bezirk richteten, bleiben lassen". Wie der Alltag im Bezirksamt aussehen könnte, hänge vom Personalvorschlag ab, den die AfD nun machen müsse. Die Kommunalregierung müsse "nach außen mit einer Stimme sprechen", sagt Pohle. "Da kann nicht einer aus der Reihe tanzen."

"Es kommt auf die Personen an", sagt auch Christian Gräff, der für die CDU in den letzten zehn Jahren einen Stadtratsposten bekleidet hat. "Wenn in der BVV und im Bezirksamt vernünftige Leute sitzen, wird man einen Weg finden." Auch bisher seien schon zehn Prozent der Entscheidungen nicht einstimmig gefällt worden, sagt Gräff.

Linke, SPD und CDU müssten sich nun an einen Tisch setzen, fordert er. Es gehe um eine Gestaltungsmehrheit, nicht nur eine Bürgermeisterwahl. Es gehe darum, sich darauf zu verständigen, welche Aufgaben im Bezirk gemeinsam zu bewältigen seien. Dann könnte es sogar möglich sein, dass die CDU für eine linke Bürgermeisterin stimmt. "Es muss über einen langen Zeitraum stabile Mehrheiten geben." Pohle sieht das ähnlich - und kündigt Gespräche mit SPD, CDU und Grünen an.

Czaja mit bestem Ergebnis aller Direktkandidaten in Berlin

Komoß und Gräff weisen gleichermaßen auf die Heterogenität von Marzahn-Hellersdorf hin - zwischen Großsiedlungen und Einfamilienhäusern. Dem Erfolg der AfD zum Trotz: Das stärkste Ergebnis aller Direktkandidaten in ganz Berlin erzielte Mario Czaja. 47,2 Prozent stimmten in Kaulsdorf-Süd und Mahlsdorf für den CDU-Senator, der mit Lageso-Chaos und dem monatelangen Hickhack um die Unterbringung der Flüchtlinge in den Bezirken wahrlich keine gute Ausgangslage hatte.

Und es war kein Zittersieg oder Erfolg mit Dämpfer: Czaja legte deutlich zu, vor fünf Jahren hatte er den Wahlkreis mit (ebenfalls starken) 41,5 Prozent gewonnen. Ein regelrechtes Plebiszit für den Senator auf heimischem Terrain: Die Wahlbeteiligung stieg in seinem Wahlbezirk von 69,1 Prozent auf 78,5 Prozent.

Ohnehin konnte sich die CDU überraschend stark in Marzahn-Hellersdorf gegen die AfD behaupten. Mit Christian Gräff holte aller Voraussicht nach ein zweiter Christdemokrat ein Direktmandat im Bezirk. Er lag im Wahlkreis 4 (Marzahn-Süd und Biesdorf) mit 26 Prozent knapp vor Regina Kittler von der Linken. In absoluten Zahlen: 22 Stimmen. Hier ist eine Nachzählung unausweichlich. Entgegen dem Landestrend verlor die CDU bei den Zweitstimmen lediglich 0,2 Prozent - und liegt nun bei nun 17,3 Prozent.

Ausgerechnet an einem Abend, an dem das Klischee von Marzahn-Hellersdorf wahr zu werden scheint, bestätigt sich ein Werbeslogan des Bezirks: "Anders als erwartet."

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