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Grün und dicht – so könnte das Berlin der Zukunft aussehen.

© Philipp Obkircher

„Klimastadt Berlin 2030“: Bündnis fordert Strategie für klimagerechten Wandel vom Senat

Partizipation und Klimafreundlichkeit drohen der aktuellen Stadtentwicklungsverwaltung verloren zu gehen – ein breites Bündnis geht nun in die Offensive.

Die aktuelle Stadtentwicklungsverwaltung hat keine Strategie für den klimagerechten Umbau der Stadt – das meint ein neu gegründetes, breites Bündnis aus Berliner Initiativen, Umwelt- und Mieterverbänden sowie Einzelpersonen aus der Architektur, Stadtplanung und dem Ingenieurswesen. Damit über eine solche Strategie für Berlin endlich ernsthaft und konkret gesprochen wird, haben sie selbst die Eckpunkte dafür skizziert. Am Dienstag stellt das Bündnis „Klimastadt Berlin 2030“ ihr sechsseitiges Eckpunktepapier vor, das dem Tagesspiegel vorab vorlag.

„Wir wollen nicht immer nur herummäkeln, sondern Diskussionsangebote machen“, sagt Architekt Matthias Sauerbruch vom Architekturbüro Sauerbruch Hutton. Deshalb haben die Bündnismitglieder nun in mehreren Workshops an einer Diskussionsgrundlage für genau die Strategie gearbeitet, die sie vom Senat vermissen.

Es geht um einen ganz umfassenden Ansatz: Mit Klimaresilienz, Mobilitätswende und Bauwende stehen zwar drei Themenkomplexe ganz oben auf der Liste, die im engeren Sinne Themen aus dem Klimabereich stammen. Darüber hinaus skizziert das Bündnis aber auch seine Vision für eine kooperative Stadt, für Gemeinwohl und bezahlbaren Wohnraum, kulturelle Freiräume und die Metropolregion Berlin-Brandenburg.

Es geht also um die ganz große Frage, wie ein klimagerechter Wandel sozial, kulturell und regional verankert sein muss, um in der gesellschaftlichen Breite mitgetragen zu werden. „Auch die am besten organisierte und eingerichtete Stadt wird nur dann funktionieren, wenn es sozialen Frieden gibt. In diesem Sinne sind kulturelle Freiräume die Basis für alles Gelingen“, erklärt Sauerbruch.

Wir wollen nicht immer nur herummäkeln, sondern Diskussionsangebote machen.

Matthias Sauerbruch, Architekt

Und so ist die Förderung von Experimentierräumen und Foren für Bürgerbeteiligung genauso Teil der Forderungen wie die Entsiegelung von Böden und die Pflanzung von 10.000 Straßenbäumen pro Jahr, ein Fällmoratorium für geschützte Bäume und die Verankerung von großflächiger Dach- und Fassadenbegrünung.

Im Baubereich zielt das Bündnis auf eine Transformation der Landesbauordnung zu einer „Umbauordnung“, auf ein Abrissmoratorium und die rechtlich verbindliche Reduktion der CO₂-Emissionen im Bausektor, unter anderem dadurch, dass nicht bloß der Energieverbrauch eines Hauses beim Betrieb, sondern auch während des Bauens unter die Lupe genommen wird.

Weitere Forderungen sind mindestens ein Modellprojekt pro Bezirk als kultureller Ankerpunkt und Zwischennutzung leerstehender Immobilien durch kulturelle Projekten. Nicht zuletzt soll es mehr klimafreundliche Verkehrsverbindungen nach Brandenburg geben, eine regionale Holzbauinitiative zur Stärkung einer kreislaufgerechten Wertschöpfungskette und die Umsetzung einer Klima-Bauausstellung von Berlin und Brandenburg gemeinsam.

Zielkonflikte verhandeln

Klar ist: Der Anspruch ist enorm. Mit dem Eckpunktepapier liegt die Strategie für eine klimagerechte und soziale Stadtentwicklung aber noch nicht fertig vor. „Wir sind nicht gegen alles, was vom Senat kommt“, so Sauerbruch. „Im Gegenteil, wir würden uns wünschen, dass die Expertise von uns Fachkundigen mehr in Anspruch genommen wird.“

Das Bündnis versammelt schließlich vielfältige Expertise aus den relevanten Bereichen: Das Bauhaus der Erde ist Teil des Bündnisses, wie die Architects for Future Berlin, der BUND und der Mieterverein, die Koalition der Freien Szene, das Berliner Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung und KIEZconnect. Außerdem noch mehrere Bürgerinitiativen und eine Bandbreite von Architekten wie Philipp Oswalt, Prager Richter Architekten, Slavis Poczebutas, Eike Roswag-Klinge, Anna Bernegg, Sabine Müller, Theresa Keilhacker, Robertneun-Architekten und Christian Schöningh. Die Initiative geht auf die vor etwa einem Jahr gegründete Berlin-Plattform zurück.

Das Bündnis fordert viel Partizipation, damit der Klimaschutz von der Bevölkerung mitgetragen wird.
Das Bündnis fordert viel Partizipation, damit der Klimaschutz von der Bevölkerung mitgetragen wird.

© KIEZconnect

Positiv und fast ein bisschen überraschend sei, wie lösungsorientiert im Bündnis diskutiert worden sei – obwohl es so viele Zielkonflikte gebe, und die auch durch die sehr unterschiedlich verorteten Mitglieder des Bündnisses repräsentiert seien. Beispiel Nachverdichtung: Das Bündnis Nachhaltige Stadtentwicklung mit ihren 33 Kiezinitiativen tritt in der Regel gegen Nachverdichtung und Gentrifizierung ein.

Gleichzeitig gilt Nachverdichtung im Bestand aber auch als wichtige Maßnahme, um keine neuen Flächen zu versiegeln. „Ich finde es ein sehr positives Signal, wie konstruktiv wir im Bündnis die Eckpunkte miteinander aushandeln konnten“, so Sauerbruch. „Das ist auch ein Zeichen dafür, wie groß die Notwendigkeit dafür ist.“

Partizipation in Eigenregie

Interessens- und Zielkonflikte aushandeln, Fachexpertise zu Rate ziehen – man kann es fast als eine Art Partizipationsprozess in Eigenregie betrachten, was das Bündnis nun in Gang bringen möchte. Eine Veranstaltungsreihe zu den Einzelaspekten ist in Planung, sagt Sauerbruch. Man wolle eben ernsthaft das Angebot machen, den Senat mit der eigenen Perspektive zu beraten, als eine Art Sparringspartner – auch oder gerade obwohl die aktuelle Senatsverwaltung daran womöglich gar nicht so interessiert ist.

Denn von sich aus greift die Senatsverwaltung in der Wahrnehmung der Bündnismitglieder seit der neuen Legislaturperiode viel weniger auf Anregungen von außen zurück: „Im Erbe von Frau Lüscher und Frau Lompscher spielt Partizipation eine wichtige Rolle, und der Versuch, auf Klima und die Zukunftsfähigkeit der Stadt einzugehen.“ Seit einem Jahr sehe man stattdessen eine Top-Down-Mentalität, mit einem Schwerpunkt auf der Förderung von Rekonstruktion. Für Sauerbruch ist das aber völlig aus der Zeit gefallen: „Das ist ‘Architects for past’.“

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