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Brandenburg: Der Gesetzgeber als Sicherheitsrisiko

Eine Rechtslücke verhindert, gefährliche Straftäter für immer wegzuschließen Von Erardo Rautenberg

Anfang Februar wird aus dem brandenburgischen Strafvollzug ein Mann entlassen werden, der dann eine elfjährige Freiheitsstrafe wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern voll verbüßt haben wird, aber weiter als gefährlich gilt. Da die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten vor dem 1. August 1995 in den neuen Bundesländern begangen worden waren, war die Anordnung einer sich an die Freiheitsstrafe anschließenden Sicherungsverwahrung gesetzlich ausgeschlossen. Die nunmehrige Anordnung einer „nachträglichen Sicherungsverwahrung“ nach der Vorschrift des Paragrafen 66b Strafgesetzbuch, die seit dem 29. Juli 2004 gilt, scheitert nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daran, dass nach der Verurteilung während des Strafvollzuges keine „neuen erheblichen Tatsachen“ bekannt geworden sind. An der Entlassung dieses gefährlichen Mannes führt also kein Weg vorbei, und dem Vernehmen nach droht auch in anderen neuen Bundesländern die Freisetzung „menschlicher Zeitbomben“, es sei denn, der Gesetzgeber wird endlich tätig.

Das Problem ist längst bekannt: Am 15. Juli 2005 wurde in Mecklenburg-Vorpommern die 16-jährige Carolin sexuell missbraucht und ermordet. Der Täter war eine Woche zuvor nach Verbüßung einer siebenjährigen Freiheitsstrafe aus der Haft entlassen worden. Bei seiner Verurteilung wegen eines schweren Sexualdeliktes hatte das Gericht von der Anordnung anschließender Sicherungsverwahrung abgesehen. Und die Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung war auch in diesem Fall nicht möglich, weil sich an der dem Gericht bereits bei der Verhängung der Freiheitsstrafe bekannten Gefährlichkeit nichts geändert hatte.

Wegen der einschlägigen obergerichtlichen Rechtsprechung hatte die Staatsanwaltschaft darauf verzichtet, einen Antrag auf Erlass der Anordnung nachträglicher Sicherungsverwahrung zu stellen. Dafür wurde sie von der damaligen Opposition in einem Untersuchungsausschuss an den Pranger gestellt. Gleichwohl wird eine integre Staatsanwaltschaft auch künftig darauf verzichten, offensichtlich unbegründete Anträge bei Gericht zu stellen, um den Zorn über eine der Öffentlichkeit nicht kommunizierbare Rechtslage von sich auf die weniger angreifbaren Richter zu lenken.

Nachdem der Untersuchungsausschuss seine Schuldigkeit als Kampfarena im Landtagswahlkampf getan hatte, der unbequeme Generalstaatsanwalt aus Altersgründen pensioniert worden war und die damalige Opposition nun die Justizministerin stellt, konnte sich auch in Mecklenburg-Vorpommern die Erkenntnis durchsetzen, dass die Staatsanwälte nur geltendes Recht angewandt hatten und dieses offenbar eine Lücke aufweist, der Bundesgesetzgeber also im Besitz des Schwarzen Peters ist.

Bereits am 19. Mai 2006 hat der Bundesrat den Entwurf eines Gesetzes zur „Stärkung der Sicherungsverwahrung“ beschlossen, um diese Gesetzeslücke zu schließen. Mit Schreiben vom 28. Juni 2006 hat die Bundeskanzlerin den Entwurf an den Präsidenten des Deutschen Bundestages mit einer Stellungnahme der Bundesregierung weitergeleitet. Darin teilt die Bundesregierung „die Auffassung des Bundesrates, dass das System der Sicherungsverwahrung zum Schutz insbesondere von Frauen und Kindern vor schweren Sexual- und Gewalttaten der Ergänzung bedarf“, und kündigt an, dass sie „in Kürze“ einen eigenen Entwurf vorlegen werde, der die zutage getretenen Probleme einer umfassenden und differenzierenden Lösung unter Beachtung verfassungsrechtlicher Vorgaben zuführen solle. Bei dieser Ankündigung ist es bisher leider geblieben, was zu einem ungewöhnlichen Vorgang geführt hat: Die Justizministerin des Landes Brandenburg hat den anfangs geschilderten Fall im Kabinett vorgetragen, wonach auf ihre Bitte der Ministerpräsident deswegen die Bundesjustizministerin Anfang dieses Monats angeschrieben und um Beschleunigung des Gesetzgebungsverfahrens gebeten hat.

Auch mir fehlt jedes Verständnis dafür, wenn erkannte Gesetzeslücken, die zur Begehung schwerster Straftaten führen können, nicht unverzüglich geschlossen werden. Für Straftäter, bei denen die materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung bei der Aburteilung vorlagen, diese aber aus formellen Gründen nicht angeordnet werden konnte, die Gefährlichkeit für die Allgemeinheit aber fortbesteht, und für Straftäter, bei denen eine derartige Gefährlichkeit auf einer nicht behandelbaren psychischen Erkrankung beruht, könnte in der Tat gelten, was der Basta-Kanzler 2001 verkündete: „Wegschließen – und zwar für immer!“

Erardo Rautenberg ist Generalstaatsanwalt des Landes Brandenburg.

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